Frau Heim, eine Studie des Forschernetzwerks Cochrane Collaboration kommt zum Schluss, dass Tamiflu nicht hält, was es verspricht. Roche hat mit dem Grippemittel Milliarden gescheffelt. Als Gesundheitspolitikerin muss Ihnen das zu denken geben?
Bea Heim: In der Tat. Tamiflu hat scheinbar nicht das gebracht, was Roche versprochen hat. Das Unternehmen hat mit dem Blockbuster-Medikament und dem Segen der WHO das grosse Los gezogen und Milliarden gescheffelt. Wenn sich die Studienergebnisse verifizieren lassen, stellt sich die Frage: Wie konnte es passieren, dass die WHO den Regierungen unzähliger Länder empfahl, Tamiflu im grossen Stil einzukaufen?
Ihre Antwort?
Roche ist gefordert aufzuzeigen, warum die Forscher erst nach einem jahrelangen Kampf Einblick in weitere klinische Studien erhielten, mehr also als den Zulassungsbehörden offenbar vorlagen. Auch die naheliegende Vermutung der Täuschung wäre zu prüfen. Immerhin haben Millionen Menschen auf einen Schutz dank Tamiflu gehofft und die Regierungen haben in der Annahme, das Bestmögliche für den Schutz der Bevölkerung zu tun, für Milliarden von Steuergeldern Tamiflu gekauft und gebunkert.
Ein Medikament, das offenbar nichts taugt.
Gerade was die präventive Wirkung bei der damals drohenden Grippepandemie anbelangt, ist das Resultat, wie schon seit geraumer Zeit vermutet, und nun offenbar durch die Cochrane Experten bestätigt, mehr als enttäuschend. Es ist skandalös und verunsichert auch die Bevölkerung.
Ist es nicht endlich Zeit, Pharmariesen wie Roche besser auf die Finger zu schauen?
Es braucht mehr Transparenz und eine bessere Überwachung des Marktes durch die Zulassungsbehörde Swissmedic. Im Heilmittelgesetz muss festgehalten werden, dass sämtliche Studienergebnisse Swissmedic vorzulegen sind, nicht nur solche mit positiven sondern auch die mit negativen Ergebnissen. Letztere sind entscheidend für die Patientensicherheit.
Wie soll das Heilmittelgesetz angepasst werden?
Die Zulassungsbehörde braucht klarere gesetzliche Grundlagen, um Sanktionen zu verhängen, wenn sich herausstellt, dass den Behörden Studien vorenthalten werden. Daran ist zu arbeiten. Der Bundesrat sollte zudem die Möglichkeit haben, Ergebnisse klinischer Studien nach dem Zulassungsentscheid zu veröffentlichen. Aber es braucht noch mehr.
Was?
Eine klare Publikationspflicht, wie dies in der EU diskutiert wird. Da der Pharmamarkt global ist, will die Schweiz entsprechende Regelungen jedoch nur im Gleichschritt mit der EU treffen. Ich hoffe, dass die laufende Revision des Heilmittelgesetzes zu mehr Transparenz führt. Schon heute haben die Behörden eine rechtliche Handhabung, Hersteller zu belangen, falls ein Medikament schädlich ist, oder wie in diesem Fall offenbar keine oder nur eine geringe Wirkung erzielt.
Welche Konsequenzen wird der Tamiflu-Skandal nach sich ziehen?
Ich erwarte eine eingehende Untersuchung des Falls. Zuerst muss überprüft werden, ob die Feststellungen der Cochrane-Studie in allen Belangen zutreffen. In einem zweiten Schritt muss eruiert werden, ob Roche nachweislich die Ergebnisse ihrer Studien verheimlichen wollte. Falls ja, wäre dies wohl strafrechtlich relevant.
Die Schweizerische Zulassungsbehörde Swissmedic hat Tamifu den Segen erteilt. Wie unabhängig kann eine Behörden sein, die an den Herstellerumsätzen beteiligt ist?
Das ist eine berechtigte Frage, die ich auch schon im Parlament gestellt habe. Doch Bundesrat und Parlament scheinen der Auffassung zu sein, dass Swissmedic trotzdem unabhängig agieren kann ist. Für mich ist dies nicht schlüssig.
Die Herstellerfirma muss die Qualität des Präparats sicherstellen. Dazu braucht es Tests und klinische Studien. Solche durchzuführen, kann nicht Sache der öffentlichen Hand sein und wäre sehr aufwändig. Es braucht ein Institut wie die Swissmedic, das mit der nötigen Kompetenz die Zulassungseingaben prüft und die gesetzlich vorgeschriebene Marktüberwachung wahrnimmt. Zudem haben Ärzte und Spitäler die Pflicht, Nebenwirkungen Swissmedic zu melden.
Was passiert dann?
Swissmedic sammelt und prüft die Meldungen über Nebenwirkungen und trifft dann die nötigen Entscheide für einen Entzug der Marktzulassung.