Eine Vergewaltigung ist ein erzwungener Beischlaf durch einen männlichen Täter an einem weiblichen Opfer. Dies sagt das Schweizerische Strafgesetzbuch. Alles andere, wenn beispielsweise ein Mann einen anderen Mann zum Sex zwingt, ist zwar sexuelle Nötigung, aber keine Vergewaltigung.
«Das ist diskriminierend», findet Hugues Hiltpold. Der Genfer FDP-Nationalrat reichte im Juni eine entsprechende Motion ein, am 3. September antwortete der Bundesrat: «Dringenden Handlungsbedarf gibt es da keinen». Dies akzeptiert Hiltpold nicht: «Opfer einer analen Vergewaltigung – seien es Männer oder Frauen – fühlen sich genauso vergewaltigt wie eine Frau, die vaginal vergewaltigt wurde», glaubt Hiltpold aus seiner Tätigkeit bei der Genfer Opferberatung zu wissen. Der Kanton Genf unterstütz ihn in seinem Anliegen: «Die Unterscheidung zwischen Beischlaf und anderen entsprechenden sexuellen Handlungen, die heute, sofern sie einvernehmlich sind, als fester Bestandteil dessen gelten, was die Gesellschaft als Beischlaf ansieht, ist künstlich und überholt», sagt er.
Den Unterschied im Strafmass, wo für eine Vergewaltigung eine Mindeststrafe von einem Jahr vorgesehen ist, bei der sexuellen Nötigung jedoch nicht, hält Hiltpold ebenfalls für inakzeptabel. Das Höchstmass – zehn Jahre Freiheitsstrafe – ist bei beiden Delikten dasselbe. Andere Länder wie Frankreich würden diese Unterscheidung im Übrigen nicht kennen.
Fedor Bottler, Psychologe und Männer-Berater bei der Opferberatung Zürich, kennt das Problem aus dem Alltag: «Das Wort Vergewaltigung hat eine begriffliche Bedeutung. Es gibt männliche Opfer, die irritiert reagieren, wenn sie erfahren dass sie den Begriff juristisch für sich nicht in Anspruch nehmen können», sagt er. Er glaubt, das Wort würde für die Opfer eine gewisse Anerkennung bedeuten. Das Ausmass des Traumas hänge aber sowieso nicht von der Art der Vergewaltigung, sondern vom individuellen Verarbeitungsprozess ab.
Auch Sexualtherapeutin Ingrid Hülsmann findet: «In diesem Punkt ist der Rechtsblick etwas schief.» Anale Penetration könne ebenfalls eine Vergewaltigung sein. «Nur schon aus Gründen der Gleichstellung vor dem Gesetz wäre diese Anpassung nötig», sagt Hülsmann.
Die Rechtsgelehrten sehen das jedoch ganz anders. «Was Hiltpold bestrafen will, wird heute schon bestraft», sagt SP-Nationalrat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch, «und zwar in ausreichender Härte». Ein Mann könne nach heutiger Auffassung physiologisch nicht zum Beischlaf gezwungen werden, in der Praxis würden aber analer und vaginaler Missbrauch ähnlich hart bestraft. «Dieser Vorstoss bedeutet einzig und allein eine mühsame gesetzgeberische Übung, die in der Praxis nichts verändern würde», sagt Jositsch. Dieselbe Haltung vertritt Rechtsanwalt und Mediator Stephan Bernard, der das «Mannebüro Züri» präsidiert.
Sei es nun eine populistische Motion oder eine schmerzhafte Lücke im Strafgesetzbuch: Jetzt muss sich der Nationalrat mit dem Thema auseinandersetzen.