Ihr Vater ist Autohändler. Und stolz darauf, dass sich mehr Autos in seiner Garage befinden als Bücher im Haus. In Burgos, einer erzkatholischen spanischen Stadt. Trotzdem ist die Tochter Philosophin geworden, Autorin – und Lesbe.
«Schon mit zwei bis drei Jahren war mir klar, dass ich auf Frauen stehe», sagt Beatriz Preciado in einem Interview, «und als ich auf eine von Nonnen geführte Mädchenschule kam, war dies das Paradies.»
Sie verführt dort mit besonderem Eifer die Prinzessinnen. Die typischen Mädchenmädchen. Die besorgten Eltern stecken sie in eine andere Schule, zu den Jesuiten, und bei denen kommt sie minimal zur Ruhe und zum Nachdenken. Und beschliesst, Philosophie zu studieren. Nicht in Spanien, sondern in New York an der New School bei Jacques Derrida.
Weil Derrida Franzose ist und sie mit französischen Theorien infiziert, zieht sie nach Paris, wo sie auch heute lebt, schreibt und unterrichtet, denn: «Ich habe mich in Frankreich verliebt. Und in die Französinnen.» Vor allem in die Skandalfilm-Regisseurin Virginie Despentes («Baise-moi»). Mit ihr ist sie neun Jahre zusammen. Es geht den beiden um Sex, Sex, Sex. Als sie sich 2005 kennenlernen, macht Beatriz Preciado gerade einen Selbstversuch. Einen, der dazu führt, dass sie tagaus, tagein an nichts anderes denkt als an Sex, Sex, Sex.
Ihr Selbstversuch ist von Sigmund Freud inspiriert: Der hatte sich einmal für Recherche-Zwecke 500 Gramm Kokain liefern lassen. Beatriz Preciado beschliesst, nicht mit Kokain, sondern mit Testosteron zu experimentieren. Und mit ihrer Sexualität.
Ein aidskranker Freund hat ihr kurz vor seinem Tod 50 Portionen Testogel à 50 Milligramm geschenkt. Testogel ist ein Testosteronpräparat, das durch die Haut einzieht. Man darf sich danach ein paar Stunden lang nicht duschen und soll vermeiden, dass andere sich über hormongesättigten Schweiss «anstecken». Es sei denn, es handelt sich um Frauen, die zum Mann werden wollen. Auf der Testogel-Packung steht, das Medikament sei «für Frauen und Athleten verboten».
Beatriz Preciado kümmerte dies natürlich nicht. Sie hat zwar keine Absicht, ein Mann zu werden – dabei bleibt sie auch bis Ende 2013 –, aber so richtig als Frau fühlt sie sich auch nicht. Sie streicht sich das Testogel auf den Arm. Nach wenigen Tagen fühlt sie sich klar im Kopf, wach, voller Energie, übersexualisiert. Ihr Schweiss riecht stärker, sie ist entscheidungsfreudig und selbstsicher und schafft es ohne Mühe, ihre ganze Wohnung im Morgengrauen in 25 Minuten um- und aufzuräumen. Nach einer Weile erhält sie sogar für die gleiche Arbeit wie früher mehr Geld. Weil ihr Habitus jetzt maskuliner ist.
Aus dem Versuch entsteht ein sensationelles Buch: «Testo Junkie». Tagebuchartige Erfahrungsberichte wechseln sich ab mit wissenschaftlichen Passagen über die Beziehung der Pharmaindustrie zur menschlichen Sexualität. Von der Pille über Aids bis Viagra. Darüber, wie Medikamente den menschlichen Körper, die Sexualität und die Geschlechtsidentität bis ins winzigste Molekül hinein kontrollieren und verändern können. Und was das am Ende alles mit Politik zu tun hat. Und dass das biologische Geschlecht kein Schicksal ist.
2014 gerät das Leben der Beatriz Preciado aus den Fugen. Sie trennt sich von Virginie Despentes, von der Frau, «mit der ich dachte, mein ganzes Leben zu verbringen». Und dann, am 16. Januar 2015, verkündet sie in ihrer Kolumne in der französischen «Libération», dass sie jetzt nicht mehr Beatriz, sondern Paul B. Preciado heisse. Sie ist jetzt ein Er. Aber ist Paul glücklich?
Am 13. Februar 2015 schreibt er in der «Libération»: «Valentinstag ist eine Qual. Ich möchte den 14. Februar damit feiern, dass ich ein Geheimnis verrate: Ich habe aufgehört, an die Liebe zu glauben. An die Liebe zu zweit ... Die Liebe ist ein brennender Wald, aus dem man nur entkommen kann, indem man sich die Füsse verbrennt ... Ich spüre, dass ich jetzt lerne, was Sterben heisst. Joyeuse Valentine!»
Darüber, ob sie heute noch ein Testo-Junkie ist, gibt sie keine Auskunft. Aber das Ex-Experiment hat das Kommando übernommen. Geschlecht ist ein brennender Wald, aus dem es manchmal die Illusion eines Entkommens gibt.
Ebenfalls sehr zu empfehlen: «Pornotopia – Architektur, Sexualität und Multimedia im Playboy» von Beatriz Preciado.