Eigenmietwert: «Wenn sie jetzt nicht durchkommt, ist die Abschaffung für Jahre vom Tisch»
Der Luzerner Nationalrat Leo Müller (Mitte) ist seit Jahren eine treibende Kraft hinter der Abschaffung des Eigenmietwerts. Auch auf seine Initiative hin hat sich die Kommission auf den jetzigen Vorschlag geeinigt. Ein Gespräch über die lange Vorgeschichte, Enttäuschungen und Hoffungen.
Herr Müller, wieso muss der Eigenmietwert weg?
Leo Müller: Weil es eine fiktive Steuer ist und weil diese falsche Anreize schafft. Im heutigen System lohnt sich das Abzahlen der Hypothek nicht. In Tiefzinsphasen ist die Aussage zu relativieren, aber bei einer normalen Zinslage lohnt es sich, die Schulden zu behalten.
Was ist für Sie eine normale Zinslage?
Über die letzten Jahre gesehen etwa 3 Prozent. Früher lagen die Zinsen sogar bei 5 Prozent. Aber das ist nicht mehr ein realistischer Wert. Bei einer Hypozinshöhe von 3 Prozent lohnt es sich aber im aktuellen System nicht, die Schulden abzubezahlen. Das war in den letzten Jahren der Fall. Das ist mitunter der Grund, warum Private im internationalen Vergleich in der Schweiz so hoch verschuldet sind: weil der falsche Anreiz besteht.
Ist das schlimm?
Ja.
Warum?
Wenn es einmal eine Immobilienkrise gibt – wie in den 1980er- oder 1990er-Jahren –, dann fallen die Preise der Immobilien schnell um 10 oder 20 Prozent. Gerade Leute, die mit Hypotheken an die Grenze der Belastung gegangen sind, wären rasch überschuldet. Banken würden Kredite zurückverlangen. Dann ist das ganze Land in der Krise.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es noch einmal passiert, ist aber glücklicherweise nicht so gross.
Nein, aber es ist für die Systemstabilität abträglich, wenn man solche Risiken in der Breite im Privateigentum hat.
Andere Länder kennen eine Rückzahlungspflicht von Hypotheken. Das wäre auch ein Weg für die Schweiz.
Nein. Für mich steht im Zentrum, dass wir das politische System so gestalten, dass ein Anreiz besteht, die Verschuldung zu reduzieren, und wir es nicht staatlich vorschreiben, wie etwas zu machen ist. Das widerstrebt meinem Staatsverständnis. Man muss über Anreize steuern, nicht über Vorschriften.
Seien wir ehrlich: Der Hauptanreiz für viele Eigentümer wird nicht die tiefere Verschuldungsquote sein, sondern, dass sie durch den Wegfall des Eigenmietwerts weniger Steuern zahlen.
Ja, ich weiss. Gerade in der jetzigen Zinslage ist es für viele Menschen attraktiv, den Eigenmietwert abzuschaffen. Man darf sich aber nicht von der kurzfristigen Situation ablenken lassen. Es geht um eine längerfristige Lösung. Kurzfristig kann sie zu Steuerausfällen führen, aber auf grössere Dauer halten sich diese in Grenzen.
Es will niemand, dass die Zinsen wieder steigen.
Klar hofft das niemand. Aber anzunehmen ist, dass sie das mittelfristig tun. Über die letzten Jahre hat sich der durchschnittliche Zinssatz von den 2,6 Prozent wegbewegt, bei denen die Abschaffung des Eigenmietwerts sogar ohne Ausfälle wäre. Aber wir dürfen nicht zu kurzfristig denken. Anfang der 1990er-Jahre haben wir 7,5 Prozent bezahlt. Diese Vorlage ist ein langfristiges Projekt.
Langfristig ist auch die Vorgeschichte. Satte sieben Jahre hat das Parlament an der Abschaffung des Eigenmietwerts gebastelt. Warum dauerte das so lange?
Nicht gebastelt, nach einer guten Lösung gerungen, und die haben wir jetzt auf dem Tisch. Weil ganz verschiedene Interessen zusammenkamen, war es sehr schwierig. Einerseits die der Hauseigentümer, die sagen: Wir wollen raus aus dem Eigenmietwert. Dann die Interessen von Banken und Versicherungen: Sie wollen nicht, dass das Kreditvolumen sinkt, eher das Gegenteil. Dann die Interessen der Mieterinnen und Mieter, die sagen: Die Eigentümer sollen bei den Steuern nicht bevorteilt werden. Und dann – fast das Gefährlichste – die Interessen der KMU, vor allem des Ausbaugewerbes, die das Gefühl haben, wenn der Eigenmietwert weg ist und man die Abzüge nicht mehr machen kann, werde weniger Unterhalt getätigt und das Auftragsvolumen schrumpfe. All diese Interessen zu bündeln und abzuwägen, das brauchte seine Zeit.
In der Parlamentsdebatte wurden verschiedenste Modelle geprüft und vorgeschlagen. Viele bürgerliche Kräfte wollten eigentlich weitergehen und auch noch die Abzugsmöglichkeiten beibehalten.
Das wäre komplett chancenlos gewesen. Dann hätten wir eine «Fünfer und Weggli»-Lösung gehabt, die an der Urne brachial gescheitert wäre. Wir von der Mitte haben versucht, eine tragfähige Lösung zu zimmern, die von möglichst vielen Parteien mitgetragen wird.
Eigentlich ist die jetzige Variante ein Kompromiss nach links.
Ja, wir hatten das Gefühl, dass wir sie so mitnehmen könnten. Es gab auch in der Kommission und sogar in der Debatte viele Stimmen aus dem linken Lager, die sich für die Reform ausgesprochen haben.
Und jetzt machen diese Stimmung gegen die Abschaffung. Enttäuscht Sie das?
Es ist immer enttäuschend, wenn du versuchst, etwas miteinander zu erarbeiten, bei dem beide einen Schritt aufeinander zu machen müssen – und sich die eine Seite dann wieder abwendet.
Es gab Bürgerliche, die sagten, ohne Beibehaltung der Abzugsmöglichkeiten machen wir nicht mit. Jetzt sind die aber alle auf Linie. Wie kam das?
Ich würde meinen: Vernunft. Und politische Knochenarbeit. Man hat sich überzeugen lassen, dass eine andere Vorlage keine Chance hat. Wenn man den Eigenmietwert abschaffen will, dann genau jetzt. Sonst schafft das die jetzige, am Werk befindliche Politikergeneration nicht mehr.
Sie könnten bereits am Tag nach der verlorenen Abstimmung einen neuen Anlauf starten.
Nein, das wäre sinnlos. Es wurde so lange an dieser Vorlage gearbeitet. Alle möglichen Varianten wurden geprüft. Wenn es in der jetzigen Variante nicht durchkommt, ist die Abschaffung für Jahre vom Tisch. Alle anderen Optionen hätten noch einen schwereren Stand an der Urne. Dann müsste man die Realität einfach akzeptieren.
Die Abschaffung ist bereits früher mehrfach gescheitert – auch schon vor dem Volk. Auch die jetzige Vorlage war eine Zangengeburt. Ist so viel Geknorze nicht immer auch ein Zeichen, dass es vielleicht besser ist, den Status quo beizubehalten?
Ich sehe das anders: Was lange währt, wird endlich gut.
Die Schweiz ist ein Land von Mieterinnen und Mietern. Wie erklären Sie denen, warum der Eigenmietwert weg soll?
Weil die Vorlage für alle, die mal Eigentümer werden wollen, eine gute Grundlage ist. Es gibt ja auch noch den Ersterwerberabzug, der Erstkäufern befristet Abzugsmöglichkeiten gewährt. Und grundsätzlich haben alle Schweizerinnen und Schweizer ein Interesse, dass das Immobiliensystem stabil ist und in einer Krise nicht zusammenbricht.
Der Bund muss sparen. Die Vorlage führt zu Mindereinnahmen. Wie erklären Sie jemandem, der sich etwa über die Kürzung der J+S-Gelder aufregt, dass Steuerausfälle hier legitim sind?
Wenn man in der Politik immer das eine gegen das andere ausspielt, kommen wir nie voran. Dann drehen wir uns im Kreis und können nicht mehr gestalten. Das ist Gift für das Land. Zudem betone ich erneut, dass bei einem Zinsanstieg die Steuerausfälle deutlich kleiner werden und ab 2,6 Prozent Hypothekarzins sogar verschwinden
Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Eigenmietwert am 28. September abgeschafft wird?
Es ist noch ein langer Weg. Jetzt haben wir einen Vorschlag auf dem Tisch, der wenig Angriffsfläche bietet. Er ist konsequent, wird auch bei Zweitwohnungen durchgezogen und gleichzeitig fallen die Abzugsmöglichkeiten weg. Zudem schaffen wir endlich Anreize, um die Verschuldung zu reduzieren. Wir werden uns aber anstrengen müssen, um die Bevölkerung zu überzeugen. Ich bin aber zuversichtlich, dass es gelingt
Es wird zu einem emotionalen Abstimmungskampf kommen. Die Linken werden vor Milliardenausfällen warnen. Da haben Sie es mit Ihren Argumenten deutlich schwieriger.
Ich fechte lieber mit Sachargumenten. Und Fakt ist: Das jetzige System führt zu Fehlanreizen. Argumente werden nicht besser, wenn sie lauter verkauft werden. (aargauerzeitung.ch)