Hubschrauber kreisen über den rotbraunen Blocks der Wohnanlage Mjølnerparken im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro – ein trostloses Getto im Norden der Stadt. Die meisten, die in Mjølnerparken leben, sind Migranten.
Hierher ist Omar Abdel Hamid El-Hussein, der mutmassliche Attentäter von Kopenhagen, mit dem Taxi gefahren, nachdem er am Samstag vor einem Kulturzentrum einen Menschen erschossen hatte. Die Polizei durchkämmte die Siedlung, durchsuchte Wohnungen und fand Kleidung, die der 22-Jährige bei der ersten Tat getragen haben soll - und Waffen.
Wohnte El-Hussein auch hier? «Ja», sagen ein paar Jugendliche, die vorbeigehen. Sie wisse es nicht, sagt eine Frau mit Kinderwagen. Sie habe den mutmasslichen Attentäter aber vom Sehen gekannt, er sei öfter in der Gegend gewesen. Am Klingelschild der Hausnummer 38 steht der Name «Hussein» - der Mann, der die Wohnungstür öffnet, sagt einem britischen Reporter aber, nichts mit El-Hussein zu tun zu haben.
Zwei Tage nach dem Terror wird das Bild von Omar Abdel Hamid El-Hussein, Sohn palästinensischer Flüchtlinge, langsam schärfer. Er war ein Krimineller, der Waffen und Drogen besass, Kontakt zu Banden hielt, gewalttätig war und mehrmals zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde. Erst vor zwei Wochen war er nach rund einem Jahr aus der Haft freigekommen - vorzeitig. Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) nach Syrien könne man bislang nicht erkennen, sagt die Polizei. Ähnlich äusserte sich auch Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt am Montag.
Hinweise auf Sympathien für den IS
Aber war El-Hussein «nur» ein normaler Krimineller? Immer mehr deutet darauf hin, dass es noch eine andere Seite gibt.
Die Zeitung «Berlingske Tidene» berichtet, der 22-Jährige habe im Gefängnis offen geäussert, er wolle sich in Syrien dem IS anschliessen - deshalb hätten die Gefängnisbehörden seinen Namen auf eine Liste mit 39 anderen radikalisierten dänischen Inhaftierten gesetzt. Eine offizielle Bestätigung für diesen Bericht gibt es nicht.
Die Zeitung «Ekstra-Bladet» meldet online, El-Hussein habe auf seiner Facebookseite nur 45 Minuten vor dem Angriff auf das Kulturcafé ein Video hochgeladen, das den bewaffneten Dschihad gepriesen habe und von einer mit dem IS sympathisierenden Gruppe komme. 30 Minuten vor dem Angriff habe er auf seinem Facebook-Profil einen Koranvers gepostet, der zum Kampf gegen Ungläubige aufruft.
Es scheint, als habe sich El-Hussein politisch radikalisiert. Wann, durch welche Gruppen, ob er Kontakt zu einer bestimmten Moschee oder Führungsfiguren der islamistischen Szene hatte - all das ist noch völlig unklar. Auch darüber, wer die zwei angeblichen Komplizen sind, die an diesem Montag festgenommen wurden und die El-Hussein Waffen besorgt haben sollen, gibt es noch keine Details. In Medienberichten heisst es, sie stammten aus Einwandererfamilien.
Woher kam der Hass?
Wenn die bisherigen Annahmen stimmen, wonach El-Hussein sowohl Verbindungen zu kriminellen Banden in Kopenhagen hatte als auch mit den Islamisten sympathisierte, dann könnte der Werdegang des jungen Mannes exemplarisch für eine sehr gefährliche Entwicklung stehen - ein «Alptraum» werde für die Behörden wahr, schreibt «Jyllandsposten.»
Der mutmassliche Attentäter soll früher Kontakte zur Gang «Brothas» gehabt haben, die rund um die Siedlung Mjølnerparken berüchtigt ist. Ob El-Hussein auch zuletzt noch mit der Bande in Kontakt stand, ist nicht sicher. Die Gang weist das dänischen Medienberichten zufolge zurück und verurteilt seine Tat.
Woher aber kam El-Husseins Hass? Ein klassischer gesellschaftlicher Verlierer war er nicht. Auf einer Schule im Kopenhagener Vorort Hvidovre wollte er einen - mit dem deutschen Fachabitur vergleichbaren - Abschluss machen. Der Vorortszug braucht vom Hauptbahnhof eine knappe Viertelstunde hierher. 2013 hat El-Hussein in einem Waggon eben dieser Bahnlinie mit dem Messer auf einen 19-Jährigen eingestochen und ihn schwer verletzt.
Vor dem Schulgebäude, einem Plattenbau, steht Hamdi mit ein paar Freundinnen. Sie ging mit El-Hussein in eine Klasse. Er sei freundlich gewesen, hilfsbereit, habe immer gegrüsst, sagt sie. Aber er sei immer allein gewesen, Kontakt habe er kaum gesucht. Ob er religiös sei? Ja, Muslim. Ob er eine Freundin hatte? Nein, das wisse sie nicht, sagt sie. Andere Mitschüler erzählen, dass El-Hussein Juden gehasst haben und in Diskussionen hitzig gewesen sein soll.
Sie hätten öfters mit ihm zusammen geraucht, er sei ein «normaler» Typ gewesen, sagen hingegen die Jungs. Seit er im Gefängnis gewesen sei, hätten sie ihn aber nicht mehr gesehen, sagen sie.
El-Hussein war ein guter Schüler, hat sein ehemaliger Rektor dem dänischen Fernsehen gesagt. Und er war offenbar ein guter Boxer, Kampfname Omar «Captain» Hussein, schreiben Zeitungen und zitieren ehemalige Gegner, die ihn als gnadenlos beschreiben.
Sein Vater sagte der «Jyllandsposten», er habe erst durch einen Anruf der Polizei von den Taten seines Sohnes erfahren. Mehr wolle er nicht sagen – nur dass er genauso schockiert sei wie der Rest der Welt.
Das Internetcafé Powerplay Netcafé liegt ein paar Hundert Meter entfernt von der Wohnsiedlung Mjølnerparken. Hier soll sich El-Hussein zwischen den beiden Angriffen vom Samstag aufgehalten haben. Im selben Laden nahm die Polizei am Tag nach dem Terror vier Männer fest. Der 35-jährige Adeel, der in dem Internetcafé arbeitet, spricht von beklemmenden Szenen, alle hätten sich auf den Boden geworfen. Den mutmasslichen Täter habe er nie gesehen.
Ein paar Strassenzüge weiter hat die Polizei El-Hussein in der Nacht zu Sonntag erschossen. Die Dänen haben an der Stelle Blumen niedergelegt - sie gedenken auch des Mannes, der den Terror nach Kopenhagen brachte.