«Viele haben nach dem Schauen geweint»: Diese Frau fordert ein Umdenken bei Pornos
Die Bilder, die auf der Startseite von Make Love Not Porn vorbeilaufen, lassen wenig Raum für Fantasie. Wir befinden uns auf einer Plattform für Erwachsenenvideos.
Ihr Alleinstellungsmerkmal? Die Inhalte, von normalen Nutzerinnen und Nutzern produziert, sollen eine realistische Form von Sexualität zeigen. Hinter den Kulissen arbeitet ein sechsköpfiges Team, das die Profile der Beitragenden sorgfältig prüft und jedes Video einzeln freigibt. Gründerin Cindy Gallop gehört ebenfalls dazu. Sie ist eine der Gästen des Events TEDxLausanneWomen, das am Freitag, 21. November, im SwissTech Convention Center in Ecublens VD stattfand.
Warum haben Sie eine solche Plattform ins Leben gerufen?
Cindy Gallop: Ich treffe mich mit jüngeren Männern. Vor 18 Jahren wurde mir während meiner intimen Beziehungen mit Partnern in ihren Zwanzigern klar, dass Pornografie zu einer Art Sexualerziehung werden kann – dann nämlich, wenn nicht offen und ehrlich über Sexualität gesprochen wird. Im Bett geriet ich in merkwürdige Situationen – und mir war klar, dass dieses Verhalten aus der Pornografie stammte. Ich konnte mir nicht vorstellen, die Einzige zu sein, der das so erging. Doch damals sprach niemand darüber. Also gründete ich eine Website, um die Unterschiede zwischen Fiktion und Realität schriftlich festzuhalten. Ein Beispiel: In Pornos haben Frauen keinen Schamhaarwuchs. Im wirklichen Leben können sie welchen haben oder nicht – je nachdem, wie sie sich entscheiden.
Wie ging es dann weiter?
Ich stellte die Plattform 2009 erstmals auf einer TED-Konferenz vor. Die Resonanz war überwältigend, von überall erhielt ich positive Rückmeldungen. Männer und Frauen, junge wie ältere Menschen, Homo- wie Heterosexuelle erzählten mir von ihrem Sexualleben und ihrem Umgang mit Pornografie. Da wusste ich: Dieses Projekt muss ich weiterführen. So entstand Make Love Not Porn. Das Portal verzeichnet inzwischen rund 150'000 Besucherinnen und Besucher pro Monat sowie 500 Content-Creators.
Wird die Plattform auch in der Schweiz genutzt?
Im Juli 2025 belegten die Schweizerinnen und Schweizer den vierten Platz unter den Ländern mit den meisten Nutzenden auf der Plattform, nach den USA, Grossbritannien und Deutschland. Heute rangieren sie auf Platz zwölf.
Die meisten Ihrer Videos sind auf Englisch. Begrüssen Sie Content aus anderssprachigen Ländern?
Jede Nation hat ihre eigene sexuelle Identität. Sie ist Teil von Tradition und kulturellem Erbe. Menschen machen Liebe unterschiedlich, je nachdem, aus welcher Gesellschaft sie stammen. Darum sage ich: Schweizerinnen und Schweizer, zeigt euer Land! Zeigt, dass Sexualität eine Quelle nationaler Identität und Stolzes sein kann.
Zusammen mit Ihren fünf Kolleginnen und Kollegen betreuen Sie die gesamte Inhaltsverwaltung von Make Love Not Porn. Was ist der Mehrwert davon?
Die Tech-Welt wird von jungen weissen Männern dominiert. Sie entwickeln die Plattformen, die unsere Gesellschaft prägen: Meta, OpenAI, Snapchat, TikTok. Doch sie selbst sind nicht Ziel von sexistischen oder sexuellen Übergriffen, von Rassismus, Vergewaltigung oder Online-Belästigung. Deshalb ergreifen sie auch keine Massnahmen, um solche Verhaltensweisen zu verhindern. Diejenigen, die Gewalt erfahren, haben sichere Plattformen entworfen – doch sie erhalten nicht die nötigen Mittel, um sie zu finanzieren. Wir merken gar nicht, wie viel sicherer das Internet wäre, wenn es aus einer weiblichen Perspektive gestaltet würde.
Und nach welchen Kriterien findet sie Verwaltung statt?
Mein Team und ich sehen uns alle Videos an. Wir stellen sicher, dass alle Beteiligten wissen, dass sie gefilmt werden. Wenn wir ein ungutes Gefühl haben, veröffentlichen wir das Video nicht. Jeder Creator muss ein strenges Formular ausfüllen und dabei unter anderem seine Identität mit zwei Dokumenten – zum Beispiel Reisepass und Führerschein – bestätigen. Auch Kommentare werden gelesen und freigegeben. Wir verfügen über nur geringe Einnahmen, um unser Unternehmen zu finanzieren, und arbeiten seit 13 Jahren auf diese Weise. Stellen Sie sich vor, was TikTok, Snapchat oder Instagram in puncto Sicherheit mit ihren finanziellen Mitteln umsetzen könnten.
Heutzutage gibt es Plattformen wie OnlyFans oder Mym in Frankreich, die pornografische Inhalte teilen. Sie geraten häufig in die Kritik wegen ihrem Umgang mit Frauen. Wie positionieren Sie sich im Vergleich zu diesen Seiten?
Wir sind das Gegenteil. Wir setzen auf Gleichberechtigung in Sexualität, Liebe, Beziehungen und beim Orgasmus. Unsere Inhalte sind für Männer oft eine Offenbarung. Sie danken uns, dass wir ihnen etwas bieten, das sie sonst nirgendwo im Internet finden: einen Ort, an dem sie im sexuellen Kontext emotional offen und verletzlich sein können. Viele haben nach dem Anschauen ihres ersten Videos geweint. Wir zeigen ausserdem, dass Frauen Sex genauso geniessen wie Männer. Wir feiern echte Körper – Schamhaare, unterschiedliche Penis- und Brustgrössen. Nichts bereitet uns grössere Freude, als Menschen aller Körperformen zu sehen, die unglaubliche Momente im Bett erleben.
Wollen das Menschen im Jahr 2025 sehen?
Jeder möchte Liebe, Intimität und emotionale Nähe erleben. Deshalb werden wir bald Make Love Not Porn Academy starten – eine zweite Plattform, die der Sexualaufklärung dient. Eltern können dort beispielsweise Informationen finden und erklären, welches Verhalten richtig ist. Nur durch die Sexualerziehung von Kindern und Jugendlichen lässt sich die Vergewaltigungskultur nachhaltig bekämpfen. Indem positive Wege gezeigt werden, Liebe zu leben, werden Menschen motiviert, sie selbst auszuprobieren.
