Auch Harley-Davidson: Der Kultmotorradhersteller gerät ins Schleudern
«Born to be Wild» krächzen Steppenwolf in «Easy Rider». Im Kultfilm aus dem Jahr 1969 versuchen Dennis Hopper und Peter Fonda, auf ihren umgebauten Harley-Davidson-Motorrädern dem amerikanischen Spiessbürgertum zu entfliehen. Die beiden coolen Hippies wurden zur Benchmark für unzähmbare Männlichkeit, die jahrzehntelang unerreicht blieb. Und Harley-Davidson? Der Motorradhersteller zementierte sein Image als Hersteller von Rebellen-Schaukeln.*
Heute klingt der Soundtrack von Harley-Davidson anders. Garagentore fallen ins Schloss, Schlüssel rasseln. Von San Francisco bis nach New York und Florida schliessen in den USA zahlreiche Händler ihre Tore. Das meldet das US-Branchenmagazin Jalopnik.
Auch in Duluth, Minnesota, verstummen die Motoren. Dort verkaufte die Familie Kachelmyer 73 Jahre lang die schweren Boliden. Doch jetzt ist Schluss: «Es macht uns traurig, auf diese wirtschaftlich schwierigen Zeiten reagieren zu müssen und vor der schweren Entscheidung zu stehen, unsere Türen zu schliessen und das Geschäft aufzugeben», schreiben Dennis und Suzanne in einem letzten Abschiedsbrief. Ähnlich wie der Film endet die Reise abrupt. Der «easy ride» ist vorbei, das Geschäft liegt in Trümmern.
«Die Händler verdienen schlichtweg nichts mehr», fasst George Gatto gegenüber Revzilla die Probleme zusammen. Der Mann muss es wissen. Er trägt den einprägsamen Titel «Vorsitzender des Harley-Davidson-Händlerrats der nationalen Powersport-Verkäufervereinigung (NPDA)». Die Zahlen geben ihm recht. 2006 verkauften die Händler weltweit 344’000 Harleys. 2024 waren es noch 151’000.
2025 wird ein noch schlechteres Jahr erwartet. Trumps Zollstreit hat die europäische Lust auf US-Produkte nicht vergrössert. Und auch der US-Markt ist im Minus. Die Bilanz retten wird 2025 der Verkauf von Anteilen der Finanzsparte Harley-Davidson Financial Services (HDFS) für 1,2 Milliarden Dollar. Die schwindenden Motorradverkäufe können so etwas kaschiert werden. Doch es ist eine Rettung auf Zeit.
Der durchschnittliche Harley-Fahrer ist über 50 Jahre alt – und nicht mehr Middreissiger wie in den 80er-Jahren. Der sexy Rebell von damals ist heute ein graumelierter Midlife-Crisis-Mann. Ein Boomer ist er nur im Namen – auf das Geschäft wirkt er fatal. Was ein Grossteil der jungen Kundschaft zuletzt will: Sich in den Kreis der alten Männer einzukaufen. Schon gar nicht zu dem Preis. Die günstigste Harley kostet knapp unter 10’000 Dollar. Danach geht es steil nach oben. Die Konkurrenz aus Asien und Europa offeriert leichtere, schnellere und modernere Motorräder – und das ganz ohne Altherrenmief.
Den seit Jahren andauernden Frauenboom in der Motorradszene hat Harley verschlafen. Von den 25’000 neuen Motorrad-Führerscheinen, welche die Schweiz 2021 ausstellte, gingen mehr als die Hälfte (14’000) an Lenkerinnen. Ähnlich sehen die Trends weltweit aus. Und Lenkerinnen, das kann man hier schön nachlesen, haben andere Ansprüche an ein Motorrad als Lenker. Prägnanter beschreibt die Anforderungen (an ein Einsteigerbike) der Schweizer Frauenmotorradclub «Girls on Bikes»: «Niedriger Schwerpunkt + Leichtes Gewicht = Einfach zu hantieren». Dass auch Frauen eine Harley-Davidson beherrschen können, bestreitet indes niemand. Trotzdem fehlen die Amerikaner in der aktuellen Top-10-Liste der beliebtesten Zweiräder deutscher Fahrerinnen – und auch bei den Empfehlungen der «Girls on Bikes».
Die Orientierungslosigkeit von Harley-Davidson hatte diesen Sommer Konsequenzen. Der umstrittene CEO Jochen Zeitz – ihm wurde Verrat an den Firmenwerten vorgeworfen – wird durch Arthur «Artie» Starrs ersetzt. Der 48-Jährige leitete vorher TopGolf. Dabei handelt es sich um eine Driving-Range-Kette, welche die Abschläge der Spieler misst und in einer Art Spiel bewertet. Zuvor besetzte Starrs eine leitende Funktion bei Pizza Hut. Damit setzen die Amerikaner erneut auf einen branchenfremden Manager. Vorgänger Jochen Zeitz hatte Puma aus der Krise geholfen.
Dass die Traditionsmarke neuen Wegen nicht abgeneigt ist, zeigt die Entwicklung von LiveWire. Der Brand wurde für Elektromotorräder aus dem Boden gestampft. Mit fast 30'000 Dollar (aktuell 19’450 Franken) entsprach das Preisschild des ersten Modells (ONE) nicht den Bedürfnissen der Kunden – erhielt aber herausragende Kritiken. Die neuen Modelle, die S2-Linie, sind nun deutlich günstiger – gehen aber auch nicht wie frische Semmeln weg. Im ersten Quartal 2025 wurden nur gerade 33 Stück davon verkauft.
33!
Immerhin zeigen diese Zahlen nach oben. Im zweiten waren es bereits 55, im dritten 184. Der operative Verlust von LiveWire betrug allerdings immer noch 18 Millionen Dollar. Es sind keine Einfachen Zeiten für Harley Davidson. Es sind «wild times». Jetzt müssen die Amerikaner beweisen, dass sie dafür geboren sind.
*In einer ersten Fassung stand irrtümlicherweise, dass Harley Davidson das Image bereits ab 1953 und mit Marlon Brando aufbaute. Das ist falsch.
