Vordergründig behauptet Moskau, es gehe um den Schutz der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine. In Wirklichkeit hat Russland aber auch starke wirtschaftliche Interessen in der Region Donbass: Der Osten ist das industrielle Zentrum der Ukraine; der Rest des Landes ist vor allem landwirtschaftlich geprägt. Der Donbass hingegen ist das Stahl- und Kohlerevier der Ukraine. Wichtig sind für Russland vor allem der Rüstungs- und der Weltraumsektor. Zur Zeit der Sowjetunion wurde jeder zweite Panzer und jede zweite Interkontinentalrakete im Donbass hergestellt. Daran hatte sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR nichts geändert: Die russische Rüstungsindustrie ist noch immer auf die Ukraine angewiesen. Doch Ende März hat die Übergangsregierung in Kiew die militärische Zusammenarbeit mit Moskau aufgekündigt. Es ist schwer vorstellbar, dass der Kreml das einfach so akzeptiert.
Das weiss nur Wladimir Putin. Allerdings ist es offensichtlich, dass der Kreml versucht, die Ukraine zu destabilisieren und einzuschüchtern. Dazu dient auch der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine.
Das behauptet der Kreml. Signifikant ist dieser Rückzug jedoch nicht. Noch immer stehen 35'000 bis 40'000 russische Soldaten an der Grenze. Hinzu kommen ungefähr 25'000 Mann auf der Halbinsel Krim.
Das steht nicht mit letzter Sicherheit fest. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow bestreitet, dass russische Einheiten in der Ostukraine aktiv sind. Allerdings hatte Moskau auch im Krim-Konflikt behauptet, es setze keine eigenen Soldaten ein. Im Nachhinein zeigte sich, dass das gelogen war.
Genaues lässt sich nicht sagen. Die russischen Medien sprechen von «Selbstverteidigungskräften». Tatsache ist, dass sie keine Hoheitsabzeichen tragen und mit halb automatischen Waffen, in der Regel Kalaschnikows, ausgerüstet sind.
Eindeutig ja. Und zwar nicht nur, weil sie Tarnanzüge und Schusswesten tragen, sondern auch, weil die Besetzung mehrerer Gebäude in den verschiedenen Städten sehr planvoll, koordiniert und professionell erfolgte. Es ist offensichtlich, dass die Angreifer über eine militärische Ausbildung verfügen.
Das ist natürlich denkbar. Russland vergleicht denn auch die Separatisten in der Ostukraine mit den Aufständischen des Euro-Maidan in Kiew: Auch in der Ostukraine handle es sich um eine Bürgerbewegung, die der Westen nun ebenfalls unterstützen müsse. Anders als Ende vergangenen Jahres in Kiew kann aber in der Ostukraine nicht von einer Massenbewegung gesprochen werden: Bei den grossen Protesten in der Millionenstadt Donezk gingen grade mal 10'000 Menschen auf die Strasse. Und gemäss einer Ende März durchgeführten Umfrage ist nur ein Drittel der Einwohner von Donezk für einen Anschluss an Russland; zwei Drittel wollen weiterhin zur Ukraine gehören. Auch von der kurzzeitig ausgerufenen «Volksrepublik Donezk» wolle die Bevölkerung nichts wissen.
Kaum. Zumindest gibt es darüber keine glaubwürdigen Berichte. 74 Prozent der russischsprachigen Bevölkerung im Osten und Süden der Ukraine sagten Anfang April laut einer Umfrage, sie fühlten sich wegen ihrer Sprache «nicht unterdrückt oder bedroht». Hingegen sind OSZE-Beobachter – auf der mittlerweile russischen Krim – neuerdings besorgt um die Sicherheit der ukrainischen und der tatarischen Bevölkerungsminderheit.
Ja. Ein Separatist, den die Ukrainer festgenommen haben, sagte aus, er sei vom russischen Geheimdienst rekrutiert worden. Er sei zur Durchführung subversiver Operationen im Osten und Süden der Ukraine geschult worden. Auf russischen Internetseiten werden zudem Freiwillige offen dazu aufgerufen, in die Ukraine zu reisen und dort Unruhe zu stiften. Andererseits hat der russische Aussenminister Sergej Lawrow gerade gestern wieder vehement Vorwürfe zurückgewiesen, Russland heize die Gewalt in der Ostukraine an: «Es gibt dort keine Agenten», sagte er. «Wir mischen uns in die inneren Angelegenheiten der Ukraine nicht ein, das widerspricht unseren Interessen.»
Das ist leider nicht auszuschliessen. Wobei man vielleicht eher von einem «Bruderkrieg» – zwischen Russland und der Ukraine – sprechen müsste. Entscheidend ist, wie sich die prorussischen Separatisten in den kommenden Tagen verhalten. Sollte der Einfluss Moskaus auf sie so gross sein wie vermutet, dürfte viel vom Kreml abhängen: Hält Russland sich zurück, akzeptiert es sogar das Vermittlungsangebot der OSZE, könnte sich die Lage wieder beruhigen. Eskaliert sie jedoch, wird die Übergangsregierung in Kiew kaum um eine Militäraktion herumkommen. Und spätestens, wenn in der Ukraine der erste russische Soldat fällt, ist ein Einmarsch nicht mehr zu verhindern. Dann droht tatsächlich ein Bürgerkrieg.