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Höchste Zeit für den Schuldenschnitt

Syriza-Anhänger in Athen  
Syriza-Anhänger in Athen  Bild: Petros Giannakouris/AP/KEYSTONE
Wahl in Griechenland

Höchste Zeit für den Schuldenschnitt

Die Wahl in Athen muss der Einstieg in eine neue Politik sein: Die EU sollte den Griechen einen Teil ihrer Schulden erlassen und im Gegenzug eiserne Reformen fordern. Die Strategie «Sparen um jeden Preis» ist gescheitert.
25.01.2015, 19:36
Henrik Müller
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Härte zeigen! Keine Zugeständnisse! Kein Pardon! Alexis Tsipras' Linksallianz Syriza  mag am Sonntag in Griechenland zur nächsten Regierungspartei gewählt werden, aber mit ihren Forderungen darf sie nicht durchkommen: Schuldenschnitt? Schluss mit Sparen? Nicht mit uns.

Diese Haltung ist in Deutschland verbreitet, und sie dürfte auch beim Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister der Eurozone am Montag dominieren. Aber sie ist weder vernünftig noch realistisch. Egal wer die nächste Regierung in Athen stellt: Die Griechenland-Politik von EU, Internationalem Währungsfonds und nicht zuletzt Berlin wird einen Kurswechsel vollziehen müssen. Ein Forderungsverzicht der Gläubiger ist letztlich unausweichlich. Die Frage ist nur, ob er jetzt kommt und ein Neustart möglich wird. Oder später, dann allerdings zu noch viel höheren sozialen, politischen und ökonomischen Kosten.

Die Hardliner in Berlin und Brüssel bestehen auf einer Rückzahlung nach Plan - auch wenn der Plan offensichtlich nicht aufgeht. Letztlich führen sie moralische Argumente ins Feld. Nach dem Motto: Wer Schulden macht, muss dafür geradestehen.

Die Hardliner fragen sinngemäss: Wo kommen wir denn hin, wenn wir ausgerechnet Griechenland - jenem Staat, der einst mit gefälschten Zahlen dem Euro beitrat - viele, viele Milliarden erliessen? Das Signal, so argumentieren sie, wäre verheerend: Es wäre eine Einladung an alle anderen Euroländer, Reformen aufzuschieben und es mit der Haushaltsdisziplin nicht so genau zu nehmen, weil am Ende ja doch die Gemeinschaft - aus deutscher Sicht zuvörderst Deutschland - die Zeche zahlen wird.

Moral Hazard oder Prinzipienreiterei?

Ökonomen nennen diesen Effekt Moral Hazard: die Ausnutzung der Solidarität aus rücksichtslos verfolgtem Eigeninteresse. Würden alle nur an sich denken, würde zunächst Griechenland (Verbindlichkeiten von knapp 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach OECD-Prognose) einen Schuldenschnitt bekommen. Dann stünde Portugal (140 Prozent des BIP) und dann Italien (150 Prozent des BIP) auf der Matte. Spätestens an diesem Punkt würde die globale Finanzwelt in die Katastrophe stürzen, weil einer der grössten Anleihemärkte der Welt implodieren würde. Italien hat immerhin ausstehende Schulden von rund 2.2 Billionen Euro.

Um eine solche Kettenreaktion der moralischen Verderbtheit zu verhindern, so die Logik der Hardliner, muss Griechenland weiter sparen. Auch wenn dort die sozialen Veheerungen der Dauerkrise unübersehbar sind. Auch wenn die seit Jahren herrschende Deflation dafür sorgt, dass der Schuldenberg immer weiter wächst.

Um es klar zu sagen: Griechenland wird seine Schulden nicht abtragen können. Es wird nicht mal in der Lage sein, sie zu halbwegs marktkonformen Zinssätzen zu bedienen. Egal wer die Wahl gewinnt.

Das Moral-Hazad-Argument mag in Situationen gelten, in denen noch etwas zu retten ist. Es verkommt aber zu reiner Prinzipienreiterei, wenn die Probleme so gross sind, dass sie aller Anstrengungen zum Trotz nicht mehr gelöst werden können.

Die Rosskur hat die Schulden nicht senken können

Griechenland hat in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen, die insbesondere in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen werden:

Die öffentlichen Ausgaben wurden so stark zusammengestrichen, dass Griechenland inzwischen einen strukturellen Haushaltsüberschuss von mehr als vier Prozent der Wirtschaftsleistung fährt - den mit Abstand höchsten Wert aller OECD-Länder. Das heisst: Abzüglich des Schuldendienstes kommt Griechenland mit seinen laufenden Staatseinnahmen zurecht.

Die Löhne in Relation zur Produktivität sind in den vergangenen Jahren so stark gesunken wie in keinem anderen OECD-Land.

Die Investitionen sind in der Folge des Sparkurses seit 2008 auf fast null zurückgegangen - eine in Friedenszeiten äusserst rare Entwicklung.

Die Wirtschaftsleistung ist implodiert; das BIP liegt heute um ein Viertel niedriger als 2008.

Die Arbeitslosenquoten sind auf mehr als 25 Prozent gestiegen. Langzeitarbeitslose bekommen keinerlei staatliche Unterstützung.

Das alles ist eine Rosskur sondergleichen. Griechenlands Schulden sind dennoch nicht gesunken, sondern immer weiter gestiegen.

Es stimmt nach wie vor, dass Griechenland weitere tiefgreifende Reformen braucht. Die öffentliche Verwaltung ist noch immer weit von westlichen Standards entfernt. Eine überkommene Cliquenwirtschaft behindert den Fortschritt, zumal sich die Oligarchen den Staat zur Beute gemacht haben.

Nur: In einer wirtschaftlichen Lage, die der grossen Mehrheit der Bevölkerung keine Perspektive mehr bietet, sind solche Veränderungen kaum möglich.

Mit Syriza in eine bessere Zukunft

Eine neue Regierungspartei wie Syriza bietet zumindest die Chance, alte Verkrustungen aufzubrechen und die Fatalismus-Spirale zum Stillstand zu bringen. Ein Schuldenschnitt würde sie stärken, am besten gleich um die Hälfte der ausstehenden Staatsschulden (wir reden über einen Verzicht auf rund 150 Milliarden Euro).

Es wäre ein starkes Signal an andere Euro-Staaten: Wer spart und reformiert, wird mit einem Gläubigerverzicht belohnt. Ähnlich wie im deutschen Insolvenzrecht, das Schuldner nicht bis in alle Ewigkeit verdammt, sondern ihnen nach einer Bewährungsphase einen Neustart ermöglicht.

Es könnte der Einstieg in eine neue Politik sein: scharfe Schnitte mit dem Ziel, untragbar hohe Schuldenüberhänge auf erträgliche Niveaus abzubauen, und zwar nicht nur in Griechenland, sondern auch bei den privaten Schulden Spaniens, Irlands oder Italiens. Auf diese Weise könnte Europa endlich seinen wachstumsbehindernden Schuldenüberhang abbauen und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

So gesehen könnte die heutige Griechenland-Wahl im Euroraum tatsächlich eine Wende zum Besseren einläuten, die endlich an die Wurzeln der Probleme - die hohen Schulden - ginge.

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