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Coronavirus in Afrika: Covid-19 könnte noch lange ein Problem bleiben

Heath officials check the listings of people who are to be tested for COVID-19 as well as HIV and tuberculosis, in downtown Johannesburg on Thursday, April 30, 2020. (AP Photo/Jerome Delay)
Ärzte ohne Grenzen ist unter anderem bei Katastrophen in Ländern des globalen Südens vor Ort.Bild: keystone

«Gravierende Ungleichheit»: In Afrika könnte Covid-19 noch lange ein Problem bleiben

Zu Beginn der Pandemie wurde bei der Bekämpfung internationale Solidarität versprochen. Was ist fast ein Jahr später davon geblieben?
11.01.2021, 05:4011.01.2021, 13:41
Lukas Weyell / watson.de
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Zu wenig Impfstoff, zu langsam, mangelnde Koordination: Das sind die Vorwürfe der Parteien mit Blick auf die Corona-Impfstrategie in der Schweiz. Derweil hat der weniger wohlhabende Teil der Welt ganz andere Probleme. Im globalen Süden kommt der Impfstoff bisher nämlich noch gar nicht an. Und dafür sind auch Länder wie Deutschland oder die Schweiz verantwortlich.

Die Idee der Weltgemeinschaft zu Beginn der Pandemie war es, das Coronavirus global zu bekämpfen. Zuständig für die Verteilung des Impfstoffes in ärmeren Ländern ist daher Covax, eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Die Initiative wird von 190 Ländern unterstützt, darunter ist auch die Schweiz. Funktionieren soll Covax so: Die 98 reicheren Mitgliedsländer unterstützen die 92 ärmeren finanziell bei der Beschaffung von Impfstoff. Zumindest theoretisch.

In der Praxis wird das aber dadurch konterkariert, dass die Industrienationen den Markt an verfügbaren Impfstoffen leergekauft haben.

Die Impfstoff-Versorgung im Globalen Süden stockt, weil die von Covax georderten Impfstoffe der Pharmaunternehmen AstraZeneca und Johnson&Johnson noch nicht zugelassen wurden. Und bei anderen Herstellern wie beispielsweise Biontech haben reichere Länder wie die EU-Staaten und die USA sich Vorkaufsrechte gesichert. Das tun sie auch weiterhin: Gerade erst hat die Europäische Kommission weitere 300 Millionen Dosen von Biontech geordert. Für ärmere Länder wird somit der Impfstoff knapp: Mehr als 50 Prozent der Impfstoffvorräte haben die Industrienationen vorab eingekauft.

Ärzte ohne Grenzen: «Es gibt keine globale Solidarität»

Hinsichtlich der Impfstoff-Verteilung zwischen reicheren Ländern und ärmeren spricht Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen daher von «gravierender Ungleichheit». Gegenüber watson erklärt sie: «Es ist leider nicht so, wie man im Frühjahr dachte, dass es eine globale Solidarität gibt.»

Aktuell gehe man davon aus, dass im Jahr 2021 nur rund 685 Millionen Menschen von den 3.9 Milliarden, die im Globalen Süden leben, geimpft werden können. Das ist weit weg von Herdenimmunität. Die ist inzwischen auch gar nicht mehr das Ziel des WHO-Projekts Covax. Man konzentriere sich nun zunächst aufs Gesundheitspersonal, lautet die Erklärung.

Die aktuelle Lage im Globalen Süden in Sachen Virus-Bekämpfung ist daher angespannt. Zwar sind die Zahlen auf dem afrikanischen Kontinent vergleichsweise niedrig und die im Frühjahr befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben. Allerdings könnte das Fehlen von Impfstoff in ärmeren Ländern dazu führen, dass das Coronavirus uns noch lange beschäftigen wird. Massute sagt:

«Es sieht so aus, dass einige Menschen im Globalen Süden bis 2024 nicht geimpft sein werden.»

Diese düstere Prognose hätte selbstverständlich auch Auswirkungen auf den Rest der Welt. Sollte das Virus über Jahre in einigen ärmeren Ländern überdauern, hätten auch die Industrienationen immer wieder mit Rückläufen von Covid-19 zu kämpfen – und mit neuartigen Mutationen.

Wie gefährlich das ist, wurde vielen Anfang Januar bewusst, als Meldungen über eine neuartige und noch infektiösere Mutation des Virus in Südafrika in Umlauf kamen. Solche Mutationen könnten weiterhin drohen, wenn grosse Teile der Weltbevölkerung nicht rechtzeitig geimpft werden.

Davon könnten dann ebenso reichere Länder wie die USA oder Grossbritannien betroffen sein – die aktuell eher Egoismus in der Bekämpfung der Pandemie an den Tag legen. «Nationalistische Ansätze für Impfstrategien können nicht erfolgreich sein im Kampf gegen die Pandemie», so Elisabeth Massute. Es gelte daher, so viele Menschen wie möglich weltweit zu schützen und schneller zu sein als Mutationen. Hierfür ist ausreichender Impfstoff auch für ärmere Länder unabdingbar.

Wiederausbruch der Malaria?

Ein weiteres Problem, das sich speziell im Globalen Süden stellt, sind dort seit Längerem verbreitete Krankheiten wie die Malaria oder Ebola. Die Bekämpfung von Corona sorgt gerade in Afrika für Probleme bei der Behandlung Erkrankter und könnte die Verbreitung dieser und anderer Infektionskrankheiten dort zusätzlich beschleunigen.

Wie auch in der Schweiz gehen viele Menschen in den ärmeren Ländern aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 nicht mehr zu Ärzten oder in Kliniken und bleiben selbst bei Symptomen zuhause. So können sich andere ansteckende Krankheiten unbemerkt weiterverbreiten. Ausserdem ist das Gesundheitspersonal in ärmeren Ländern ebenso wie hier bedroht durch eine Ansteckung mit dem Coronavirus.

Im Globalen Süden ist dies allerdings deutlich bedrohlicher für die Gesundheitsversorgung vor Ort. Länder wie der Senegal haben beispielsweise weniger als einen Arzt für 10'000 Einwohner zur Verfügung. Im Vergleich hierzu kommen in der Schweiz auf 1000 Einwohner mehr als vier Ärzte. Die Konsequenz einer Corona-Erkrankung in Kliniken ist daher in vielen afrikanischen Ländern deutlich gravierender als in den Industrienationen:

«Wenn Gesundheitspersonal nicht geschützt wird, dann besteht die Gefahr, dass Gesundheitssysteme in vielen ärmeren Ländern zusammenbrechen.»
Elisabeth Massute, Ärzte ohne Grenzen

Auch könnten Versorgungsengpässe bei der Lebensmittelversorgung durch die Ausbreitung des Coronavirus entstehen. Gerade auf dem afrikanischen Kontinent könnte das verheerende Auswirkungen haben. Die Weltgesundheitsorganisation warnt aktuell vor einer Hungerpandemie in Afrika südlich der Sahara, die durch die Corona-Pandemie zusätzlich begünstigt würde.

Wie kommt mehr Impfstoff in den Globalen Süden?

Bereits seit einigen Wochen gibt es daher auch in den Industrienationen Überlegungen, wie es möglich ist, den Impfstoff gerechter aufzuteilen. Die Linke hatte im November vorgeschlagen, geistiges Eigentum auf Technologie auszusetzen, die bei der Bekämpfung des Coronavirus eingesetzt wird.

Die Forderung hatten Indien und Südafrika in den Rat der Welthandelsorganisation eingebracht. Durch einen Verzicht auf Patente könnten Impfstoffe günstiger zu produzieren sein und auch einfacher in ärmere Länder gelangen, so die Argumentation.

Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen unterstützt den Vorschlag, sie sieht allerdings auch noch weitere Möglichkeiten, um den Globalen Süden besser mit Impfstoffen zu versorgen. So könnten reichere Länder 5 Prozent ihrer Impfstoffvorräte ärmeren Ländern zur Verfügung stellen. Einen entsprechenden Vorschlag hatte Frankreich zuletzt unterbreitet.

Auch eine Verlagerung der Produktion würde ihrer Meinung nach dabei helfen, schneller entsprechende Mengen an Impfstoff zu produzieren:

«Die Impfstoffproduktion ist aktuell stark im globalen Norden zentriert. Es wäre gut, wenn auch im globalen Süden produziert werden würde.»
Elisabeth Massute, Ärzte ohne Grenzen

Ausserdem gibt es Hoffnung aus dem Weissen Haus: Die USA hatten sich bisher nicht an dem Koordinationsprojekt Covax beteiligt, da sie im vergangenen Jahr auf Drängen von US-Präsident Donald Trump aus der Weltgesundheitsorganisation ausgetreten waren. Unter dem neuen Präsidenten Joe Biden könnte sich das ändern. Es wird generell erwartet, dass sich der neue US-Präsident wieder mehr der Zusammenarbeit mit anderen Staaten zuwenden wird. Eventuell werden dann auch die USA Geld beisteuern, um die Pandemie global zu bekämpfen.

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quelle: keystone / urs flueeler
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34 Kommentare
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neutrino
11.01.2021 06:09registriert Mai 2017
Der Artikel ist reichlich theoretisch. Ich habe Freunde in Kamerun - null Schutzmassnahmen, Stadien, etc. voll. Keine Übersterblichkeit, nichts. Liegt wohl tragischerweise daran, dass die Risikogruppen in Schwarzafrika schon vorher versterben und die Bevölkerung sehr jung ist. Afrika hat sehr viele Probleme - aber Corona ist (ausser in Südafrika) ein sehr kleines Problem.
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neutrino
11.01.2021 06:20registriert Mai 2017
Warum muss man so ein komplett düsteres Bild zeichnen? Im Frühling wurde auch eine Katastrophe für Schwarzafrika aufgrund Corona heraufbeschworen - nun ist es wohl der Kontinent, der fast am besten durchkommt (klar, v.a. wegen der Altersstruktur, etc.) . Klar, bringen negative News mehr Klicks - aber es nervt trotzdem ein bisschen.
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Randalf
11.01.2021 07:34registriert Dezember 2018
Und wieder einmal wird Afrika, aus der Sicht Europas, über einen Kamm geschoren. In Westafrika ist Covid nicht sehr präsent. Beispiel Ghana: In Banken und Einkaufszentren ist Maskenpflicht und Polizisten tragen eine. Bei teuren Überlandbusfahrten ist es, beim Einstieg, auch vorgeschrieben.
Rigorose Einreisebestimmungen. PCR Test vor dem Flug und Schnelltest bei der Ankunft. Alle Grenzen waren von März an geschlossen. Der Flughafen wurde im November wieder geöffnet.
Das Leben geht weiter, imfall.
Auch das ist Afrika.
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