Nach Geländegewinnen der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) hat Äthiopiens Zentralregierung am Dienstag mit sofortigem Effekt einen sechsmonatigen, landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen. Er ermöglicht unter anderem die Errichtung von Strassensperren, die Unterbrechung der Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen sowie die Übernahme der Verwaltung durch das Militär in bestimmten Bereichen. Zudem ist die Inhaftierung von Verdächtigen mit Verbindungen zum Gegner bis zur Dauer des Ausnahmezustands möglich, wie der Ministerrat erklärte. Er kündigte für die nächsten Tage weitere Ausführungsbestimmungen an.
UN-Chef António Guterres verlangte erneut eine sofortige Waffenruhe in Äthiopien sowie ungehinderten Zugang für humanitäre Helfer. «Der Generalsekretär ist äusserst besorgt über die Eskalation der Gewalt in Äthiopien und die jüngste Ausrufung des Ausnahmezustands», teilte Sprecher Stephane Dujarric mit.
Der militärische Konflikt begann vor rund einem Jahr, als Ministerpräsident Abiy Ahmed anfing, die in der Tigray-Region an der Macht befindliche TPLF zu verdrängen. Seit Anfang August weitete sich der Konflikt auf die Nachbarregionen Afar und Amhara aus – er hat zu einer schweren humanitären Krise im Norden des Landes geführt.
Die Behörden in der Hauptstadt Addis Abeba riefen die Einwohner dazu auf, ihre Wohngegenden im Konflikt mit der TPLF zu verteidigen. Die Menschen sollten innerhalb der nächsten zwei Tage Schusswaffen polizeilich registrieren lassen. Alle Teile der Gesellschaft seien zur Kooperation aufgerufen. Abiy Ahmed hatte am Montagabend nicht näher benannte Ausländer weisser und schwarzer Hautfarbe beschuldigt, die TPLF zu unterstützten.
Die US-Botschaft in Äthiopien warnte unterdessen Amerikaner vor der sich verschlechternden Sicherheitslage im Land. Die Situation habe sich in den vergangenen Tagen «erheblich verschlechtert», so die Botschaft in Addis Abeba am Dienstag. Der bewaffnete Konflikt und die zivilen Unruhen in den Regionen Amhara, Afar und Tigray seien weiter eskaliert. «Wir empfehlen US-Bürgern dringend, Reisen nach Äthiopien ernsthaft zu überdenken, und diejenigen, die sich derzeit in Äthiopien aufhalten, sollten Vorbereitungen treffen, um das Land zu verlassen», so die Botschaft.
Im dem Konflikt musste sich das Militär in den vergangenen Tagen aus wichtigen Städten in der Region Amhara, welche an die Hauptstadt grenzt, zurückziehen. Gemeinsam mit Rebellen der Oromo Liberation Army (OLA) konnte sich die TPLF Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschaffen. Sie rückt nun auf Addis Abeba vor.
Die USA drohten Äthiopien mit der Kündigung eines wichtigen Handelsabkommen. US-Präsident Joe Biden informierte den Kongress in einem am Dienstag vom Weissen Haus veröffentlichten Schreiben über seine Pläne, die er mit anhaltenden Menschenrechtsverstössen in dem Land begründete. Sollte es bis zum Beginn des neuen Jahres keine Besserung geben, droht der Rausschmiss aus dem Agoa-Programm. Es steht für African Growth and Opportunity Act und garantiert vielen afrikanischen Staaten zollfreien Zugang für Tausende Waren in den US-Markt. Für Äthiopien hat das Abkommen einen hohen ökonomischen Stellenwert. (saw/sda/dpa)