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Was passiert genau in Äthiopien? Wie frühere Opfer zu Tätern werden

Massendemonstration in Addis Abeba nach der Ermordung des bekannten Oromo-Sängers Hundessa.
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Massendemonstration in Addis Abeba nach der Ermordung des Oromo-Sängers Hachalu Hundessa.Screenshot: Youtube
Analyse

Was passiert genau in Äthiopien? Wie frühere Opfer plötzlich zu Tätern werden

19.07.2020, 14:1420.07.2020, 14:30
Philipp Aerni
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Der Vielvölkerstaat Äthiopien gilt seit der Vertreibung des brutalen kommunistischen Regimes unter Haile Mariam Mengistu Anfang der 1990er Jahre als politisch stabiler und wirtschaftlich prosperierender Staat am Horn von Afrika. Diese politische Stabilität hatte allerdings ihren Preis, denn sie ging einher mit dem Aufbau eines autoritären Regimes, das in der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung stärker auf China als auf den Westen setzte.

Der starke Mann des Regimes war lange Zeit Meles Zenawi, Premierminister von 1995 bis 2012. Es war seine Partei, die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die den Kampf gegen Mengistu anführte und danach das Land reformierte; wobei die EPRDF primär die ethnische Minderheit der Tigray repräsentierte.

Dr. Philipp Aerni
ist Direktor des Zentrums für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit (CCRS) an der Universität Zürich. Der Inhalt des Artikels basiert grösstenteils auf den kritischen Recherchen von Nigist Goytom, einer äthiopischen Architektin. Sie ist mit dem Autor verheiratet.

Regieren mit eiserner Faust

Zenawi war überzeugt, dass dem armen Vielvölkerstaat eine Balkanisierung drohe, wenn er nicht mit eiserner Faust sowohl gegen äussere Feinde (Eritrea) wie auch vermeintliche innere Feinde (militante ethnische Separatisten) vorging.

Auch wenn die Parteibezeichnung EPRDF das Wort «Democratic» enthält, waren die Wahlen, die von der Partei durchgeführt wurden, nie wirklich frei. Zenawi hat jedoch geschickt agiert, indem er die politische Dezentralisierung des Landes förderte und eine wirtschaftliche Öffnung vorantrieb, welche Armut und Hunger im Land merklich reduzierte.

epa03366393 (FILE) A file photo dated 06 December 2011 shows Meles Zenawi, Prime Minister of Ethiopia speaking during the opening plenary session of the High Level Segment of the COP 17 / CMP 7 United ...
Meles Zenawi († 2012) war von 1995 bis 2012 Premierminister von Äthiopien. Bild: EPA

Das Problem des ethnischen Föderalismus

In der politischen Reorganisation setzte er auf das Konzept des ethnischen Föderalismus, das den dominanten Ethnien in den verschiedenen Regionen eine gewisse politische Selbstbestimmung geben soll. Doch das Konzept erwies sich als hochexplosiv, denn viele ethnische Nationalisten sahen darin den erwünschten Anfang vom Ende des äthiopischen Staates und damit einhergehend die Schaffung eines eigenen ethnisch homogenen Staates.

Zenawi bekämpfte diese ethnonationalistischen Tendenzen mit dem Aufbau einer starken Armee und einem Sicherheitsapparat, der vermeintlich gewaltbereite ethnische Separatisten identifizierte und in Gefängnissen verschwinden liess. Dies führte zu einer wachsenden Zahl an politischen Gefangenen und einer politischen Diaspora, die sich zunehmend radikalisierte.

Oromo-Nationalismus im amerikanischen Exil

Die Oromo-Diaspora im Staat Minnesota in den Vereinigten Staaten bildete wohl die einflussreichste Exilopposition. Dies auch daher, weil über 34 Millionen Menschen in Äthiopien den Oromo angehören, die eigentlich kaum noch als Minderheit im Land bezeichnet werden können. Obwohl die Oromo keineswegs eine homogene Ethnie sind, so eint sie doch eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur.

Zenawis Nachfolger, Hailemariam Desalegn, gehörte zwar der EPRDF an, war aber weder ein Tigray noch ein orthodoxer Christ. Er versuchte bei den ethnischen Spannungen zu vermitteln und war auch zu substanziellen Kompromissen bereit. Doch die Kompromissbereitschaft stiess auf keine Wertschätzung. Im Gegenteil, die Forderungen der Ethnien wurden noch radikaler.

Der aethiopische Premierminister Hailemariam Desalegn waehrend einem Treffen in dessen Buero mit der Schweizer Bundespraesidentin Simonetta Sommaruga, nicht im Bild, in Addis Abeba, Aethiopien am Mont ...
Kompromissbereit: Hailemariam Desalegn.Bild: KEYSTONE

Der Kampf um die Hauptstadt Addis Abeba

Einen Höhepunkt der politischen Spannungen bildeten die massiven Proteste der Qeerroo, einer Jugendbewegung von Oromo-Nationalisten, die sich 2016 gegen den Entscheid der Zentralregierung wehrte, die Grenzen der Hauptstadt Addis Abeba auf Kosten des Landes, das den Oromo gehörte, auszuweiten. Die Qeerroos sind junge radikale Ethnonationalisten, die wenig gemeinsam haben mit den alten Ethno-Separatisten unter der Führung der bewaffneten «Oromo Liberation Front» (OLF), doch ansonsten ist wenig bekannt über ihre Organisation und Motive.

Desalegn kam den Qeerroos weitgehend entgegen, indem er die städtischen Expansionspläne stoppte und die Oromo-Sprache weiter förderte. Der Forderung, auch die Hauptstadt Addis Abeba auf den Oromo-Namen Finfinnee umzutaufen und sie administrativ unter Oromo-Kontrolle zu bringen, konnte er jedoch nicht nachgeben, denn die Bewohner der Hauptstadt repräsentieren alle Ethnien.

Verwaltungsgliederung Äthiopiens 
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Verwaltungsgliederung Äthiopiens. Sie folgt ungefähr der Verteilung der Ethnien.Karte: Wikimedia

Jawar Mohammed und die Qeeroos

Der informelle Kopf hinter der Qeeroo Bewegung ist Jawar Mohammed. Jawar verliess Äthiopien bereits im Jahr 2003 als junger Student. Er studierte unter anderem in den USA Politikwissenschaften und Human Rights Studies. Im Staat Minnesota schloss er sich schliesslich der Oromo Exil-Opposition an. Er gründete dort das Oromia Media Network (OMN) mit 1,5 Millionen Abonnenten auf Facebook. Das OMN machte sich die sozialen Medien zu Nutze, um in Äthiopien junge Oromos gegen das Regime zu mobilisieren.

Jawar selbst schreckte auch nicht vor Aufrufen zur Vertreibung von Minderheiten in der Oromoregion zurück. In Medieninterviews gibt sich der 34-jährige Aktivist mit dem Babygesicht allerdings als pragmatisch und kompromissbereit, und an vielen westlichen Universitäten wird er gar als Menschenrechtsaktivist gefeiert, der sich im Unrechtsstaat Äthiopien für die legitimen Rechte der Oromo einsetzt.

Jawar Mohammed during the exclusive interview with Associated Press at his house in Addis Ababa, Ethiopia, Thursday, Oct. 24, 2019. Ethiopia’s Nobel Peace Prize-winning prime minister Abiy Ahmed fac ...
Oromo-Aktivist Jawar Mohammed.Bild: AP

Seine Berühmtheit erlangte er bei den oben erwähnten gewalttätigen Ausschreitungen 2016 in Oromia, indem er auf YouTube Videos veröffentlichte, die angeblich zeigen, wie äthiopische Sicherheitskräfte aus Helikoptern die Protestierenden niedermähen. Die Washington Post deckte damals auf, dass sowohl die Zahl der Toten als auch die Videos fabriziert waren. Doch diese «Fake News» scheinen sich langfristig ausbezahlt zu haben, denn Desalegn verlor durch den Erfolg der Exilopposition zunehmend den Rückhalt in der eigenen Partei und trat schliesslich im Februar 2018 zurück.

Abyi Ahmed und die politische Öffnung

An Stelle von Hailemariam Desalegn wurde Abyi Ahmed zum Premierminister in Äthiopien ernannt. Als protestantischer Oromo, der zugleich aus dem inneren Zirkel der regierenden Elite stammt, handelte er viel kühner als Desalegn. Er liess alle politischen Gefangenen frei, suchte den Frieden mit Eritrea und vergab Schlüsselpositionen in der äthiopischen Regierung sowie das Bürgermeisteramt von Addis Abeba an Oromo. Seine Rhetorik der nationalen Versöhnung, der politischen Öffnung und des wirtschaftlichen Aufbruchs stiess auf positive Resonanz in der eigenen Bevölkerung wie auch im Ausland. Er wurde quasi als Messias gefeiert, der den jahrzehntelangen Grenzkonflikt mit Eritrea und die internen ethnischen Spannungen durch sein grosses Charisma mit einem Schlag aus der Welt schaffen konnte.

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Premierminister und Nobelpreisträger Abyi Ahmed. Bild: EPA

Für seine Bestrebungen hat Abyi Ahmed letztes Jahr den Nobelpreis erhalten – doch sind die Probleme tatsächlich gelöst? Nein, die Grenze zu Eritrea ist nach wie vor geschlossen und seine freundschaftliche Beziehung mit dem eritreischen Diktator Afewerki ist zunehmend fragwürdig, zumal dieser keine Anzeichen zeigt, von seiner repressiven Alleinherrschaft abzurücken.

Auch die internen ethnischen Spannungen haben nicht etwa ab-, sondern zugenommen. Bürgerkriegsähnliche Zustände sind auf dem Land entflammt, wobei die früheren vermeintlichen Opfer, nämlich die Ethnonationalisten der jeweiligen Region, immer mehr zu Tätern mutierten. Oft kommt es gemäss Augenzeugen vor, dass sie Menschen auf der Strasse spitalreif prügeln, nur weil es sich herausstellt, dass diese nicht ihre Sprache sprechen.

Nirgendwo ist die Entwicklung besorgniserregender als in der multiethnischen Oromo-Region. Im Halbjahresrhythmus gibt es in dieser muslimisch dominierten Region Pogrome mit hunderten von Todesopfern. Die Ermordeten sind zumeist Haus- und Firmenbesitzer, die nicht derselben Ethnie oder einer religiösen Minderheit angehören, doch seit Jahrzehnten in der Oromo-Region leben.

Die Ermordung von Hachalu und ihre Konsequenzen

Das letzte Pogrom entzündete sich Ende Juni 2020 als Reaktion auf die Ermordung des Oromo-Sängers Hachalu Hundessa. Seine Lieder handelten von der Geschichte und Ausgrenzung des Oromo-Volkes. So tragisch der Vorfall war, er hatte nichts mit einem Racheakt von Seiten einer anderen Ethnie zu tun; diese hätte ja als Vorwand für erneute ethnische Gewalt dienen können. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Mörder gemäss Angaben der Regierung einer anderen radikalen Oromo-Gruppierung angehörten.

Das Pogrom hingegen war klar von langer Hand vorbereitet. Aus dem Nichts tauchten in diversen Oromostädten mit Macheten bewaffnete Mobs auf; und ihr Ziel war klar, nämlich die ethnische Säuberung in der Region voranzutreiben. Jawar selbst goss weiteres Öl ins Feuer, indem er – gegen den Willen der Familie des Sängers – die Begräbnisfeier nicht im Heimatort Ambo ausserhalb von Addis Abeba, sondern in der Hauptstadt selbst durchführen wollte. Das Ziel war maximales Chaos und Unsicherheit in der Hauptstadt. Es war zu erwarten, dass Abyi dies nicht zulassen würde. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Insbesondere die Verhaftung von Jawar erzürnte die radikalen Oromos zusätzlich. Doch zumindest konnte dadurch in Addis Abeba Schlimmeres abgewendet werden.

People walk along Lexington Avenue after exiting off westbound Interstate 94 on Wednesday, July 1, 2020, in St. Paul, Minn. Protesters apparently outraged by the killing of Hachalu Hundessa, a popular ...
Proteste von Exil-Oromo in St.Paul im US-Staat Minnesota nach Hundessas Ermordung. Bild: keystone

Kein Minderheitenschutz in der Oromo-Region

Auf dem Land hingegen gab es keinen verlässlichen Polizeischutz. Vielerorts in der Oromo-Region liessen die Polizisten den Qeerroo-Mob sogar gewähren, was zu über 200 Toten führte. Die Zahl der Toten wäre weit höher ausgefallen, wenn viele Oromo ihren bedrohten Nachbarn nicht Unterschlupf im eigenen Heim angeboten hätten. Die Stadt Shashamene, das Mekka des Reggae, wurde in Schutt und Asche gelegt, denn die Rastafari-Kultur ist den Oromo ein Dorn im Auge.

Der vielfach prämierte äthiopische Journalist und Menschenrechtsaktivist Eskinder Nega, der unter dem ERDF-Regime selbst viel Zeit im Gefängnis verbracht hatte, erkannte bereits früh, dass die Qeerroos und ihr Anführer Jawar Mohammed gefährliche Brandstifter sind, die einen Genozid herbeiführen könnten wie damals in Ruanda.

Eskinder Nega
ECADF Ethiopian news videos — Journalist Eskinder Nega 
https://www.youtube.com/watch?v=qDofvULPN_A
Erneut ins Gefängnis gesteckt: Menschenrechtsaktivist Eskinder Nega.Screenshot: Youtube

Doch was macht Abyi Ahmed? Nachdem er bereits von Amnesty International kritisiert worden war, Negas Meinungsfreiheit als kritischer Aktivist mit eigener politischer Partei zu beschneiden, entschied sich Abyi schliesslich letzte Woche, ihn ebenfalls ins Gefängnis zu stecken; denn schliesslich ist auch Abyi ein Oromo, der sich erhofft, in den kommenden Wahlen von den Oromo gewählt zu werden. So viel zu Meinungsfreiheit, Demokratie und Minderheitenschutz im Land des frischerkürten Nobelpreisträgers.

Europäer und Amerikaner tragen eine Mitschuld am Chaos

Falls die Situation in Äthiopien tatsächlich eskalieren sollte und somit der einzige friedliche und mehr oder weniger funktionierende Vielvölkerstaat am Horn von Afrika im Chaos und Elend endet, kann erwartet werden, dass Europa und Amerika einmal mehr humanitäre Hilfe leisten werden. Doch wer hat auch nur die kleinste Anstrengung unternommen, um die drohende Katastrophe zu verhindern? Der offizielle Bösewicht im Westen ist ja nach wie vor das ehemalige autoritäre Regime. Und Abyi wird immer noch als Befreier gefeiert, der Jawar, den «kritischen Oppositionellen» und «grossen Intellektuellen», aus seinem amerikanischen Exil zurückgeholt hat, um eine stabile Demokratie in Äthiopien aufzubauen. So das offizielle Narrativ, das sich immer mehr von der Realität abkoppelt.

A group of supporters perform and shout slogans at the house of opposition leader Jawar Mohammed to show their support, in Addis Ababa, Ethiopia, Thursday Oct. 24, 2019. Ethiopia’s Nobel Peace Prize ...
Anhänger von Jawar Mohammed demonstrieren vor seinem Haus in Addis Abeba. Bild: AP

Die Reaktionen im Westen auf das jüngste Pogrom in Äthiopien lassen vermuten, dass sich hier kaum jemand darum bemüht, das alte Narrativ kritisch in Frage zu stellen. Überall lässt sich lesen, dass die Unruhen, die durch die Ermordung des Oromo-Sängers verursacht wurden, von Abyi Ahmed mit Gewalt unterdrückt werden. Also die Oromo einmal mehr als Opfer? Was ist mit den gefährdeten Bevölkerungsgruppen in der Oromo-Region, die immer mehr zur Zielscheibe der ethnisch motivierten Qeerroos werden?

Sie haben etwas verloren, das ihnen weit wichtiger ist als ihre politischen Rechte, nämlich den Schutz vor willkürlicher Gewalt. Sie wissen, dass sich die Pogrome wiederholen werden, und dass es daher ratsam wäre, die Region zu verlassen. Doch zugleich besitzen sie ein wenig Land und auf diesen Besitz wollen sie nicht verzichten, auch wenn der gewaltbereite Mob nur darauf wartet, ihn sich anzueignen. Das alles erinnert an die eigene dunkle Vergangenheit in Europa, und es sind klare Anzeichen für weitere Gewaltausbrüche und Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien. Doch europäische Regierungen geben sich lediglich «besorgt», was soviel heisst wie «bitte lasst uns in Ruhe, wir haben selbst viele Probleme zuhause.» Man schaut auch weg, weil alles so unangenehm kompliziert ist und sich mit solchen Themen keine Wählerstimmen gewinnen lassen.

Abyi Ahmed hat ja schliesslich den Nobelpreis erhalten, unter anderem auch, weil er die Oromo endlich an der Regierung teilhaben liess, also was soll genau das Problem sein?

Meles Zenawi hat es vorausgesehen und ist zugleich mitschuldig

Das Problem ist, dass die Oromo-Nationalisten den Übergang zur Demokratie bloss als Mittel zum Zweck sehen. Es geht ihnen um die Schaffung einer ethnisch homogenen Region mit Addis Abeba als Hauptstadt. Meles Zenawi hat Vieles von dem vorausgesehen und auf die Entwicklungen entsprechend repressiv reagiert. Er setzte auf politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung; denn er wusste, was den Äthiopiern unabhängig von ihrer Ethnie wichtig ist: ein anständiges Einkommen, das es ihnen erlaubt, eine Familie zu unterhalten und Schutz vor willkürlicher Gewalt. Beides kann die heutige Regierung nicht mehr gewährleisten.

Zugleich hat Zenawi mit seiner Idee des ethnischen Föderalismus auch die Saat für die heutigen internen Konflikte gelegt, denn dieses Konzept lässt sich nicht mit demokratischen Werten und dem Minderheitenschutz in einem Vielvölkerstaat vereinbaren.

Das Nilwasser als neue Konfliktzone

Es ist ironischerweise der gegenwärtige Konflikt mit Ägypten um die Nutzung des Nilwassers, der das Potenzial hat, das zerrissene Volk erneut zu einen. Äthiopien ist das Wasserschloss Afrikas, ähnlich wie die Schweiz das Wasserschloss Europas ist. Die Schweiz hat dies zu ihrem Vorteil genutzt und der Bau von Staudämmen hat nicht dazu geführt, dass die Anrainerstaaten sich Sorgen um ihre Wasserversorgung machen mussten. Im Gegenteil, die Wassermengen konnten besser kontrolliert werden, was zu weniger Überschwemmungen und einer produktiveren Landwirtschaft führte.

This satellite image taken Friday, June 26, 2020, shows the Grand Ethiopian Renaissance Dam on the Blue Nile river in the Benishangul-Gumuz region of Ethiopia. New satellite imagery shows the reservoi ...
Das Satellitenbild vom 26. Juni 2020 zeigt den äthiopischen Staudamm am Blauen Nil. Bild: keystone

Die Situation lässt sich vielleicht nicht direkt vergleichen, doch auch bei der Nutzung des Nilwassers für ein erstes grosses Staudamm-Projekt in Äthiopien könnte alles so geregelt werden, dass alle Parteien am Schluss profitieren. Ausserdem kann niemand Äthiopien das Recht auf eine bessere Stromversorgung verweigern.

Ägypten, ein Land, das bereits selber einen der grössten Staudämme gebaut hat, beruft sich auf einen alten Kolonialvertrag der Briten aus dem Jahr 1929, um seinen uneingeschränkten Anspruch auf die Nutzung des Nilwassers geltend zu machen. Das facht natürlich eine nationalistische Wut in Äthiopien an, und zwar quer durch alle Ethnien.

Abyi, der nicht bereit ist, auf weitere Forderungen der Ägypter einzugehen, und angefangen hat, den Stausee aufzufüllen, kann daher auf den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung hoffen. Diese glaubt auch zunehmend, dass Ägypten mit den Brandstiftern im eigenen Land einen Pakt eingegangen sei. Dadurch ist auch die Bereitschaft gestiegen, gegen den vermeintlich neuen Feind im Ausland gemeinsam in den Krieg zu ziehen. Es wäre jedoch tragisch, wenn der drohende Bürgerkrieg nur mit einem Krieg gegen einen Anrainerstaat abgewendet werden könnte.

Die Schweiz als Vermittler

Die Schweiz könnte eine wichtige Vermittlerrolle übernehmen, um beides, den drohenden zwischenstaatlichen sowie den innerethnischen Konflikt in Äthiopien abzuwenden, denn kein anderes Land geniesst dort so viel Vertrauen und Respekt. Doch dies kann nur auf effektive Weise geschehen, wenn auch hierzulande die neue Realität in Äthiopien erkannt und kritisch thematisiert wird.

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Gepimpte VW-Käfer in Äthiopien
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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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_kokolorix
19.07.2020 15:41registriert Januar 2015
Tolle und wertungsfreie Analyse der Situation, auch wenn die Lage nicht so toll scheint.
Einmal mehr setzen sich gewaltbereite, egoistische Dumpfbacken durch und zerstören mutwillig die Lebensgrundlage von Millionen damit sich ein paar wenige im Luxus suhlen können
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B-Arche
19.07.2020 15:26registriert Februar 2016
Überall derselbe Identitäre ethnische Quatsch. Ich kann es wirklich nicht fassen.
"Bitte alle um mich herum homogen von derselben Ethnie und die die anders aussehen und abstammen bitte weg hinter eine Grenze".

Warum agieren Menschen so? Ich war nie mehr an meine eigene Ethnie gebunden noch habe ich Menschen die so aussehen und abstammen wie ich als attraktiver empfunden. Im Gegenteil, ich fand immer den Gegensatz viel interessanter und schöner.

Ich bin wohl wirklich eine Minderheit. Schade.
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FCZBVB180
19.07.2020 15:09registriert März 2016
Ich war Anfang 2020 in Äthiopien und habe bei einer Universität junge Leute auf den Konflikt mit Ägypten angesprochen. Was zurück kam, war beunruhigend: "wenn es sein muss ziehen wir in den Krieg!", "wir haben die Italiener vertrieben, die Ägypter werden wir auch besiegen", "wir haben die stärkste Armee von Afrika und sind die einzigen, die Europäer besiegen können" etc.
Ich hatte das Gefühl, dass diese Personen, welche ich gefragt habe, keine grosse Angst vor einem Krieg haben.

Aber sonst, ein sehr vielfältiges Land mit super gastfreundlichen Menschen und wunderschöner Landschaft.
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