Wenn Schweizer zum ersten Mal die USA besuchen, dann ist die erste Reaktion in der Regel: Es ist genau so wie im Film. Tatsächlich haben Hollywood und neuerdings Netflix & Co. dafür gesorgt, dass wir glauben, mit Nordamerika und seinen Einwohnern bestens vertraut zu sein. Das stimmt in vielerlei Hinsicht tatsächlich. Betrifft es jedoch die Politik, kann dies zu fatalen Missverständnissen führen. Schon in der Einführung seines Buches hält der langjährige NZZ-Korrespondent Peter Winkler daher fest: «Die beiden grossen Parteien, die Demokraten und die Republikaner, unterscheiden sich fundamental von ihren europäischen Schwestern.»
Gerade wir Schweizer neigen dazu, diese Unterschiede zu übersehen, nicht zuletzt, weil wir – oberflächlich betrachtet – das amerikanische System fast eins zu eins übernommen haben. Der Senat entspricht unserem Ständerat, das Abgeordnetenhaus dem Nationalrat. Die Art und Weise, wie diese beiden Kammern besetzt werden, ist ebenfalls identisch: Jeder Bundesstaat (Kanton) erhält zwei Senatoren (Ständeräte) zugesprochen. Die Sitze im Abgeordnetenhaus (Nationalrat) werden nach Anzahl der Bewohner eines Bundesstaates (Kantons) bestimmt.
Nur beim Präsidenten ist es anders: Wir haben ihn in sieben Bundesräte aufgeteilt, und die werden nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt.
So viel zu den Gemeinsamkeiten. Der grosse Unterschied liegt in der Dynamik, die in diesen beiden Systemen völlig verschieden ist. Unser Schweizer System ist auf Kompromiss gebürstet. Vier Landessprachen, ein Proporzsystem und die Logik einer direkten Demokratie lassen gar nichts anderes zu. Wir haben mehrere Parteien, doch wir haben keine Konstellation von Regierung gegen Opposition. Dank der Zauberformel sind zumindest die grossen Parteien in die Verantwortung eingebunden, selbst wenn die SVP sich immer wieder mal Mühe gibt, eine trotzige Gegenmacht zu einer vermeintlichen Elite zu spielen.
In den USA hingegen gibt es nur zwei bedeutende Parteien, die Demokraten und die Republikaner. Zudem herrscht dort das Majorzsystem, will heissen, wer am meisten Stimmen erhält, ist gewählt, alle anderen gehen leer aus. Versuche, eine dritte Kraft zu etablieren, gibt es immer wieder, scheitern jedoch regelmässig. Unabhängige Kandidatinnen oder Kandidaten können höchstens die Rolle eines Spielverderbers spielen. Der Konsumentenschützer Ralph Nader sorgte im Jahr 2000 dafür, dass Al Gore die Wahl verlor, die Grüne Jill Stein vermasselte Hillary Clinton die Wahl, Ross Perot hatte 1992 dafür gesorgt, dass Bill Clinton ins Weisse Haus einziehen konnte.
Die amerikanischen Wahlen stossen weltweit auf Interesse. Ein Grund liegt teilweise im zynischen Spruch, wonach Politik das Showbusiness für hässliche Menschen sei. Das trifft sicherlich zu, obwohl eine attraktive Erscheinung auch in den USA noch keiner Politikerin und keinem Politiker geschadet hat. Für die Show sorgt jedoch das System. Abgeordnete müssen sich alle zwei Jahre den Wählerinnen und Wählern stellen, Senatoren nur alle sechs Jahre. Ein Drittel des Senats wird jedoch ebenfalls alle zwei Jahre erneuert.
Dieses System sorgt dafür, dass die amerikanische Politshow 24/7 in Betrieb ist. Mal sind es die Zwischenwahlen, mal die Vorwahlen der Präsidentschaftskandidaten, welche die Polit-Gurus auf Trab halten. Oder es findet entweder eine Gouverneurs- oder eine Ersatzwahl statt. Zur Ruhe kommt das System nie. Zudem sorgt die Tatsache, dass beide Kammern des Kongresses und der Präsident einem Gesetz zustimmen müssen, für dauernden Konflikt. Von der geradezu von Hass erfüllten Feindschaft der beiden Parteien gar nicht zu sprechen.
Den Höhepunkt erreicht der amerikanische Polit-Zirkus jeweils bei den Präsidentschaftswahlen, die alle vier Jahre immer am ersten Dienstag im November stattfinden. Mit Trump hat diese Wahl eine neue Dimension erreicht. Niemals hat die amerikanische Politik weltweit so viel Aufmerksamkeit erzielt wie seit jenem Moment, als der Immobilien-Tycoon die Rolltreppe im Trump Tower in New York hinuntergeschwebt ist. Die Berichterstattung in den Medien erreichte einen neuen Level. Auch bei watson stösst man hin und wieder auf eine Trump-Story.
Die amerikanischen Wahlen im kommenden November stossen indes zu Recht auf ein grosses Interesse. Es geht um sehr viel, für einmal ist es keine Übertreibung, von «historischen Wahlen» zu sprechen. Sollte Trump es ein zweites Mal schaffen, ins Weisse Haus einzuziehen, wäre dies eine ernsthafte Gefahr für die liberale Weltordnung. Demokratie und Rechtsstaat wären nicht nur in den USA in Gefahr.
Winkler hält denn auch fest, dass «ein bewaffneter Aufstand gegen die Amtseinsetzung eines missliebigen Präsidenten ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg ins Chaos sein» könnte. «Die politische Landschaft der USA hat sich über die letzten Jahrzehnte tiefgreifend verändert», schreibt Winkler weiter. Da sein Buch verständlich und flüssig geschrieben ist, hilft es uns, diese Veränderungen zu verstehen. Und weil wirklich viel auf dem Spiel steht, lohnt es sich auch, dieses Buch zu lesen.