Schweiz
Interview

Gruppe Wolf Schweiz: «Das ist eine Folge der unkontrollierten Abschüsse»

Ein Wolf im Wildnispark Langenberg, aufgenommen am Freitag, 8. Dezember 2023 in Langnau am Albis.Die Woelfe im Wildnispark Zuerich Langenberg stammen urspruenglich von Wildfaengen in den Karpaten ab u ...
Wölfe in der Schweiz: Bereits im September soll die zweite Jagd auf die Tiere stattfinden. Bild: keystone
Interview

«Wölfe in Siedlungsnähe sind eine Folge der unkontrollierten Abschüsse»

Nach der ersten Wolfsjagd zeigt sich, dass viele der abgeschossenen Tiere gar keine Nutztiere gerissen haben. David Gerke von der Gruppe Wolf Schweiz fordert einen neuen Ansatz.
28.04.2024, 05:0028.04.2024, 05:49
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Herr Gerke, im Winter wurden schweizweit 50 Wölfe geschossen. Was hat die vom Bundesrat Albert Rösti bewilligte Wolfsjagd bewirkt?
David Gerke:
Die Auswirkungen werden wir vollständig erst im kommenden Sommer beurteilen können. Aber wir sehen, dass verschiedene Rudel durch die unkontrollierten Abschüsse destabilisiert wurden und es überhaupt kein gezielter Eingriff war, bei dem die schadstiftenden Tiere entfernt wurden.

Im Kanton Wallis wurden 27 Wölfe geschossen. Ein Bericht zeigt nun, dass die meisten davon gar keine Nutztiere gerissen haben. Warum hat man die Falschen erwischt?
Im Kanton Wallis ging man so vor, dass man in den Gebieten, in denen es früher Schäden gab, Rudel zum Abschuss freigab. Man hat dort auf jeden Wolf geschossen, der gesichtet wurde. Aber wenn man tatsächlich die Schadstiftenden erwischen will, muss man vor dem Abschuss schauen, wie sich die Wölfe individuell verhalten.

Zur Person
David Gerke (38) ist Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz und Projektleiter bei Pro Natura Schweiz. Der studierte Biologe sitzt für die Grünen im Solothurner Kantonsrat, ist Jäger, Fischer und Schafhirte.

Wie findet man am besten heraus, welche Wölfe Schäden anrichten?
Man muss die Wölfe in Situationen erwischen, in denen sie sich in der Nähe von geschützten Herden aufhalten, vielleicht sogar versuchen anzugreifen. Oder wenn sie sich in Siedlungsnähe bewegen. Denn wenn überlebende Wölfe etwas lernen sollen, dann muss der Abschuss dort passieren, wo sie ein ungewünschtes Verhalten aufzeigen.

HANDOUT - Drei Woelfe des im Augstbordgebiet im Oberwallis ansaessigen Rudel, aufgenommen am 8. November 2016 durch eine Fotofalle der Gruppe Wolf Schweiz. In einem abgelegenen Teil des Augstbordgebie ...
Wölfe in der Schweiz: drei Wölfe im Oberwallis.Bild: GRUPPE WOLF SCHWEIZ GWS

Tierexperte Andreas Moser bemängelte schon vor der Wolfsjagd, dass durch ungezielte Abschüsse die Rudel auseinandergerissen werden. Was hat das für Folgen?
Es ist bekannt, dass, wenn man erwachsene Wölfe schiesst, die überlebenden Jungtiere das Gebiet früher verlassen. Es fehlt ihnen aber jegliche Jagderfahrung und sie reissen deshalb besonders häufig Nutztiere. Diese Abschüsse haben also zu einer Destrukturierung geführt, womit auch die Gefahr für Nutztiere steigt.

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) soll vor der Wolfsjagd gewusst haben, dass diese mit der Berner Konvention nicht wirklich vereinbar ist. Weshalb wurde am Plan festgehalten?
Das BAFU muss politische Vorgaben umsetzen. Die Mittel des Bundesamtes, Einfluss in das Dossier zu nehmen, sind offenbar stark beschränkt.

Was hälst du von der Wolfsjagd?

Im Kanton Graubünden teilte die Wildhut diese Woche mit, dass vergangenes Jahr nur noch halb so viele Nutztiere gerissen wurden wie im Jahr 2022. Also zeigt die Wolfsjagd auch ihre Wirkung?
Nein. Die Wolfsjagd begann Anfang Dezember. Die elf vorangegangenen Monate, in denen weniger Nutztiere gerissen wurden, haben nichts mit der Jagd zu tun. Die Wölfe wussten ja nicht präventiv, was ihnen passieren wird. Der Rückgang ist also nicht auf die Wolfsabschüsse zurückzuführen.

«Die Regulierung muss stattfinden, ohne dass es zu einem Zerschiessen von Rudeln kommt.»
David Gerke

Warum kam es dann zum Rückgang der Nutztierrisse?
Der Rückgang passierte in Gebieten, in denen die Wölfe schon länger anwesend sind. Die Bauern im Surselva oder Mittelbünden haben gelernt, wie sie ihre Tiere besser schützen können. Das sehen wir auch europaweit: Dort, wo Wölfe länger leben, gibt es weniger Schäden, weil man den Umgang mit ihnen lernt.

Sie reden von Herdenschutzmassnahmen?
Ja, primär sind das Hunde oder Elektroschutzzäune, die Wirkung zeigen. Aber man schaut auch besser zu den Nutztieren. Sekundär werden auch andere Nutztiere gehalten, etwa andere Schaf- oder Ziegenrassen.

Ein Kangal-Hirtenhund und Walliser Schwarzhalsziegen, aufgenommen am Mittwoch, 26. Juli 2023, auf der Stutzalp in Spluegen. Philipp Jacobi soemmert seine 650 Schafe seit 2018 auf der Alp. Sie liegt im ...
Herdenschutzmassnahmen: Ein Kangal-Hirtenhund beschützt im Wallis Schwarzhalsziegen. Bild: keystone

Der Bund plant trotz dieser durchzogenen Bilanz eine weitere Wolfsjagd vom September bis im Januar. Was muss nun besser werden?
Momentan läuft die Revision der Jagdverordnung. Endlich wurden alle dazu aufgerufen, Stellung zu nehmen. Der Bund muss also in Bezug auf die Bedenken von unkontrollierten Abschüssen eingehen. Die Regulierung muss stattfinden, ohne dass es zu einem Zerschiessen von Rudeln kommt.

Trotz der Abschüsse werden immer wieder Wölfe im Siedlungsgebiet gesichtet. Wie viele Wölfe erträgt es in Menschennähe und wie verhindert man, dass diese immer näher an die Dörfer kommen?
Wie viele Wölfe es erträgt, ist eine soziale Frage. Dass man in den letzten Wochen aber vermehrt Wölfe in Siedlungsnähe hatte, ist eine Folge der unkontrollierten Abschüsse. Das sind alles Jungwölfe, die zerstreut wurden durch das Zerschiessen ihres Rudels.

David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, bei der Arbeit als Schafhirte
David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, bei der Arbeit als Schafhirte.Bild: zVg/Gruppe Wolf Schweiz
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Auge in Auge mit einem Wolf
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Auge in Auge mit einem Wolf
Der «böse Blick»: Ein grosser männlicher Wolf merkt auf. Der Filmer ist unsichtbar versteckt und unter dem Wind, macht aber durch Imitation des Heulens auf sich aufmerksam. Die bersteinfarbene Iris der Wölfe war den Menschen so unheimlich, dass Hunde mit heller Iris getötet wurden.
quelle: videostill/stefano polliotto
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«Ich bin total gegen Wolfsabschüsse » – Jäger hat klare Meinung
Video: watson
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216 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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CaptainLonestarr
28.04.2024 06:04registriert Dezember 2016
Das Töten der erfahrenen Wölfe zwingt nun die unerfahrenen Jungwölfe, die auch kein funktionierendes Rudel mehr haben, sich einfache Beute zu suchen. Es werden wohl wieder vermehrt Nutztiere gerissen. Das ermöglicht dann die Forderung nach noch mehr Regulation. Rösti und der Bauernverband haben perfekte Arbeit geleistet um dem Wolf schweizweit an den Kragen zu gehen. Ich hätte Rösti nicht zugetraut so weitsichtig zu handeln. Ein Wolf im Schafspelz.
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KLERUS
28.04.2024 06:29registriert Oktober 2021
Es war von Beginn an klar, dass es eine reine populistische Tötungsorgie werden würde. Das jetzt klar aufgezeigt werden kann, dass diese Tötungen nicht zielführend waren, zeigt auf, wie inkompetent diese Wildhüter und Bergkantone in diesem Thema sind. Ich verstehe nicht, warum man den Kantonen diese Kompetenz nicht entzieht. Vor allem der Kanton Wallis, beweist einmal mehr, das Regierung und Wildhüter eine totale Laienvereinigung sind. Ich als Wildhüter, würde mich bei einem solchen Befund, zu zu Tode schämen.
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Pointless Piraña
28.04.2024 07:45registriert Dezember 2019
Es ist ein Riesenskandal, wenn Bundesräte auf Basis Ihres persönlichen Empfindens und/oder aufgrund von Klientel-Politik Entscheide treffen, welche obendrein noch helfendes Recht verletzen.
BR Rösti ist direkt verantwortlich und muss zurücktreten.
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