Herr Gerke, im Winter wurden schweizweit 50 Wölfe geschossen. Was hat die vom Bundesrat Albert Rösti bewilligte Wolfsjagd bewirkt?
David Gerke: Die Auswirkungen werden wir vollständig erst im kommenden Sommer beurteilen können. Aber wir sehen, dass verschiedene Rudel durch die unkontrollierten Abschüsse destabilisiert wurden und es überhaupt kein gezielter Eingriff war, bei dem die schadstiftenden Tiere entfernt wurden.
Im Kanton Wallis wurden 27 Wölfe geschossen. Ein Bericht zeigt nun, dass die meisten davon gar keine Nutztiere gerissen haben. Warum hat man die Falschen erwischt?
Im Kanton Wallis ging man so vor, dass man in den Gebieten, in denen es früher Schäden gab, Rudel zum Abschuss freigab. Man hat dort auf jeden Wolf geschossen, der gesichtet wurde. Aber wenn man tatsächlich die Schadstiftenden erwischen will, muss man vor dem Abschuss schauen, wie sich die Wölfe individuell verhalten.
Wie findet man am besten heraus, welche Wölfe Schäden anrichten?
Man muss die Wölfe in Situationen erwischen, in denen sie sich in der Nähe von geschützten Herden aufhalten, vielleicht sogar versuchen anzugreifen. Oder wenn sie sich in Siedlungsnähe bewegen. Denn wenn überlebende Wölfe etwas lernen sollen, dann muss der Abschuss dort passieren, wo sie ein ungewünschtes Verhalten aufzeigen.
Tierexperte Andreas Moser bemängelte schon vor der Wolfsjagd, dass durch ungezielte Abschüsse die Rudel auseinandergerissen werden. Was hat das für Folgen?
Es ist bekannt, dass, wenn man erwachsene Wölfe schiesst, die überlebenden Jungtiere das Gebiet früher verlassen. Es fehlt ihnen aber jegliche Jagderfahrung und sie reissen deshalb besonders häufig Nutztiere. Diese Abschüsse haben also zu einer Destrukturierung geführt, womit auch die Gefahr für Nutztiere steigt.
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) soll vor der Wolfsjagd gewusst haben, dass diese mit der Berner Konvention nicht wirklich vereinbar ist. Weshalb wurde am Plan festgehalten?
Das BAFU muss politische Vorgaben umsetzen. Die Mittel des Bundesamtes, Einfluss in das Dossier zu nehmen, sind offenbar stark beschränkt.
Im Kanton Graubünden teilte die Wildhut diese Woche mit, dass vergangenes Jahr nur noch halb so viele Nutztiere gerissen wurden wie im Jahr 2022. Also zeigt die Wolfsjagd auch ihre Wirkung?
Nein. Die Wolfsjagd begann Anfang Dezember. Die elf vorangegangenen Monate, in denen weniger Nutztiere gerissen wurden, haben nichts mit der Jagd zu tun. Die Wölfe wussten ja nicht präventiv, was ihnen passieren wird. Der Rückgang ist also nicht auf die Wolfsabschüsse zurückzuführen.
Warum kam es dann zum Rückgang der Nutztierrisse?
Der Rückgang passierte in Gebieten, in denen die Wölfe schon länger anwesend sind. Die Bauern im Surselva oder Mittelbünden haben gelernt, wie sie ihre Tiere besser schützen können. Das sehen wir auch europaweit: Dort, wo Wölfe länger leben, gibt es weniger Schäden, weil man den Umgang mit ihnen lernt.
Sie reden von Herdenschutzmassnahmen?
Ja, primär sind das Hunde oder Elektroschutzzäune, die Wirkung zeigen. Aber man schaut auch besser zu den Nutztieren. Sekundär werden auch andere Nutztiere gehalten, etwa andere Schaf- oder Ziegenrassen.
Der Bund plant trotz dieser durchzogenen Bilanz eine weitere Wolfsjagd vom September bis im Januar. Was muss nun besser werden?
Momentan läuft die Revision der Jagdverordnung. Endlich wurden alle dazu aufgerufen, Stellung zu nehmen. Der Bund muss also in Bezug auf die Bedenken von unkontrollierten Abschüssen eingehen. Die Regulierung muss stattfinden, ohne dass es zu einem Zerschiessen von Rudeln kommt.
Trotz der Abschüsse werden immer wieder Wölfe im Siedlungsgebiet gesichtet. Wie viele Wölfe erträgt es in Menschennähe und wie verhindert man, dass diese immer näher an die Dörfer kommen?
Wie viele Wölfe es erträgt, ist eine soziale Frage. Dass man in den letzten Wochen aber vermehrt Wölfe in Siedlungsnähe hatte, ist eine Folge der unkontrollierten Abschüsse. Das sind alles Jungwölfe, die zerstreut wurden durch das Zerschiessen ihres Rudels.
BR Rösti ist direkt verantwortlich und muss zurücktreten.