Im Sommer 2020 erreichten die Black-Lives-Matter-Proteste ihren Höhepunkt. Im Park vor dem Weissen Haus demonstrierten Zehntausende gegen die brutale Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten. Donald Trump verlangte daraufhin, dass den Protestierenden von den aufgebotenen Soldaten der Nationalgarde in die Beine geschossen werde. Mark Esper, der damalige Verteidigungsminister, und Mark Milley, der damalige Oberbefehlshaber der Armee, weigerten sich, dieses Vorhaben auszuführen. Ein zutiefst frustrierter Präsident schwor sich, ein zweites Mal werde ihm dies nicht passieren.
Ein zweites Mal passiert es ihm auch nicht. Obwohl die aktuellen Proteste gegen die Ausweisung von illegalen Immigranten in Los Angeles weitgehend friedlich sind und bei Weitem nicht das Ausmass der Black-Lives-Matter-Demonstrationen erreichen, hat Trump gegen den Willen von Gavin Newsom, dem Gouverneur von Kalifornien, erneut 2000 Soldaten der Nationalgarde aufgeboten. Mehr noch: Sein williger Verteidigungsminister Pete Hegseth hat gar 700 Marines aufmarschieren lassen.
Kurze Erläuterung zwischendurch: Die Nationalgarde ist primär für die Sicherheit im Inneren zuständig. Mit Ausnahme von Washington, D.C. entscheiden deshalb grundsätzlich die Gouverneure der einzelnen Bundesstaaten über ihren Einsatz. Die Marines hingegen sind die wichtigste Kampftruppe gegen Feinde im Ausland.
Der Kopf hinter diesem juristisch fragwürdigen Manöver heisst Stephen Miller. Der 39-jährige Hitzkopf spielte schon in Trumps erster Amtszeit eine bedeutende Rolle im Kabinett. «Er ist einer von Präsident Trumps Mitarbeitern, denen er am meisten vertraut, denn er liefert», erklärt Karoline Leavitt, die Pressesprecherin des Weissen Hauses.
Formal ist Miller stellvertretender Stabschef. Sein Einfluss reicht indes weit über diese Position hinaus. Er gilt als so etwas wie ein Chefideologe und Einflüsterer des Präsidenten, vor allem in Fragen der Zuwanderung. Zum Leidwesen seiner liberalen jüdischen Eltern spielt er dort die Rolle des Bösewichts und Hardliners. «Er hat diese Rolle internalisiert, und er spielt sie mit sichtbarem Vergnügen», erklärt Muzaffar Chishti vom Migration Policy Institute in der «Financial Times».
Millers offen zur Schau getragener Sadismus ist seit Langem bekannt. Schon in der Highschool soll er vor dem Putzpersonal – in der Regel zugewanderte Hispanics – demonstrativ einen Kübel ausgeleert haben, verbunden mit der Aufforderung, den Abfall doch bitte wieder zu entfernen.
Inzwischen steht Miller für die Politik, alle illegalen Zuwanderer wieder auszuschaffen, selbst wenn sie sich seit Jahrzehnten in den USA aufhalten, einer regelmässigen Arbeit nachgehen und Steuern bezahlen. Rücksicht auf Kinder oder Grosseltern will er nicht gelten lassen. Wirtschaftliche Konsequenzen schlägt er in den Wind, selbst wenn sie verheerend sind. (Die amerikanische Landwirtschaft und die Bauwirtschaft sind auf Gedeih und Verderb auf illegale Immigranten angewiesen.)
«Amerika ist für die Amerikaner, und nur für die Amerikaner», lautet Millers Leitspruch. Charlie Kirk, ein prominenter Podcaster der MAGA-Bewegung, erklärt denn auch bewundernd: «An jedem einzelnen Tag hält Stephen die Fahnen der populistischen nationalistischen Bewegung hoch.»
Miller ist nicht nur ein Überzeugungstäter, er ist auch ein gewiefter Stratege. Das überzogene Vorgehen gegen die Demonstranten in Los Angeles ist die Umsetzung eines Drei-Punkte-Plans, den David Frum im «Atlantic» wie folgt zusammenfasst:
Erster Schritt: Benütze staatliche Macht, um für das TV passende Unruhen zu provozieren – Flammen, Rauch, Lärm und das Schwenken von ausländischen Flaggen.
Zweiter Schritt: Nimm diese Unruhen zum Anlass, einen nationalen Notstand auszurufen und bundesstaatliche Truppen aufzubieten.
Dritter Schritt: Ergreife die Kontrolle über die lokalen Wahlgremien.
Mit anderen Worten: Trump und sein Einflüsterer Miller wissen, dass ihre Politik unpopulär ist. Die Mehrheit der Amerikaner lehnt die «Big and Beautiful Bill» ab, sie will nicht, dass die Steuern für die Reichsten auf Kosten der Ärmsten gekürzt werden, und sie misstraut der abstrusen Zollpolitik, ja sie verurteilt gar die überharte Politik gegen Immigranten. Trump und die Republikaner müssen daher mit einer schweren Niederlage bei den Zwischenwahlen im November 2026 rechnen.
«Gelingt es Trump, vor den Zwischenwahlen in den (demokratisch regierten) blauen Bundesstaaten Unruhen zu provozieren, dann ist er in der Lage, bundesstaatliche Kontrollen über das Wahlverfahren zu installieren», so Frum. «Das ist gleichbedeutend mit seiner Kontrolle. Oder er könnte gar die Wahlen aussetzen lassen, bis die Ordnung wiederhergestellt ist.»
Kurz: Trump benützt die weitgehend friedlichen Demonstrationen in Los Angeles dazu, um seinen Plan – den wir übrigens seit der Veröffentlichung von «Project 2025» bestens kennen – umzusetzen, die USA in einen autoritären Staat zu verwandeln. Sein Macho-Gefecht mit Gavin Newsom, dem Gouverneur von Kalifornien, ist dabei eines seiner sattsam bekannten Ablenkungsmanöver.
«All dies dürfte Stephen Miller gefallen», stellt denn auch das «Wall Street Journal» fest. «Die Demokraten spielen ihm in die Karten, indem sie die Gewalt verharmlosen wollen.»
Die USA steuern auf eine dunkle Zeit zu, vergleichbar mit der McCarthy-Ära in den Fünfzigerjahren oder noch schlimmer. Damals herrschte eine Anti-Kommunismus-Hysterie, heute droht eine Autokratie. Wem Demokratie und Rechtsstaat am Herzen liegen, der kann diese Gefahr nicht mehr länger ignorieren. Oder wie sich Michelle Goldberg in der «New York Times» ausdrückt:
«Man kann einem Präsidenten nicht ausweichen, der die Armee mit dem lächerlichen Vorwand einer angeblichen Invasion in einer amerikanischen Stadt aufmarschieren lässt. (…) Ich hoffe, dass Trumps Versuch, die Proteste zu unterdrücken, sie weiter befeuern wird. Wer weiter in einem freien Land leben will, der darf sich zwar fürchten, aber der darf sich nicht einschüchtern lassen.»
Ich hätte nie gedacht, dass das in den USA so schnell geht mit dem Zerfall der Demokratie, was sicher auch mit der historischen Schwäche der Demokraten zu tun hat.
Da ich davon ausgehe, dass selbst in den USA eine Mehrheit von Menschen die Demokratie will und schützen mag, stellt sich die Frage:
Wieso sind die die diese Demokratie schützen wollen so im Stillen? Einige sagen, dass dies nur unsere westliche Wahrnehmung ist und in den Staaten sich da breit Widerstand bildet, doch dies glaube ich eben nicht, man scheint es eher aussitzen zu wollen und das wäre fatal.
Es muss mehr Widerstand aufgebaut werden liebe AMIs, jetzt müsst IHR bei EUCH zu Hause aufräumen!