Was für ein Unterschied ein Jahr machen kann. Weit abgeschlagen in den Primärwahlen in Iowa und New Hampshire und von Trump als «schläfrig» verspottet, schien Joe Bidens politisches Schicksal im Frühjahr 2020 besiegelt zu sein. Selbst ein grosser Teil der Demokraten hatte ihn mehr oder weniger abgeschrieben.
Nun ist Joe Biden der Superstar in Washington. 60 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner finden, er mache einen guten Job – ein Wert, der in den politisch polarisierten USA selten erreicht wird. Trump etwa brachte es nie auf 50 Prozent.
Bidens 1,9-Billionen-Dollar-Coronahilfsprogramm hat die letzte Hürde genommen. Es fehlt einzig noch seine Unterschrift. Und dieses Hilfsprogramm ist mehr als ein politischer Sieg der Demokraten. Es könnte der Start zu einer tiefgreifenden Veränderung der amerikanischen Gesellschaft werden. Aber der Reihe nach:
Zunächst eine kurze Zusammenfassung des Gesetzes: Wer weniger als 75’000 Dollar im Jahr verdient, erhält in den nächsten Tagen einen Scheck in der Höhe von 1400 Dollar. Die Arbeitslosenunterstützung wird bis September um 300 Dollar wöchentlich erhöht. Wer weniger als eine bestimmte Summe verdient, erhält dank der sogenannten Earned-Income-Tax zusätzliche Unterstützung.
Es gibt mehr Kindergeld, Abzüge für Krankenkassenprämien und Unterstützung für das Gewerbe – etwa für Restaurants – und Landwirte. Kurz: Während Trumps Steuerreform in etwa die gleiche Summe an Reiche und Unternehmen verteilt hat, unterstützt Biden diesmal den Mittelstand und die Bedürftigsten.
Es wird geschätzt, dass dank dieses Gesetzes die Armut in den USA halbiert werden wird. Das Gesetz ist deshalb äusserst beliebt. Rund 70 Prozent der Bevölkerung befürwortete es, auch eine Mehrheit der Republikaner, die weniger als 40’000 Dollar im Jahr verdienen.
Dazu kommt, dass die US-Börsen neue Rekorde melden und die Businessgemeinde sich geradezu euphorisch gibt. Die Kombination von Impferfolg und Coronahilfe hat dazu geführt, dass der Economic Outlook, der Index, der die Stimmung in der Wirtschaft misst, seit Dezember um 21 Punkte in die Höhe geschossen ist.
Bankökonomen rechnen mittlerweile damit, dass das amerikanische Bruttoinlandprodukt (BIP) um bis zu acht Prozent wachsen wird. Davon wird auch der Rest der Welt profitieren. Gemäss OECD-Prognosen wird das globale BIP dank dem Wiedererstarken der US-Wirtschaft ebenfalls um rund ein Prozent zulegen.
Der Erfolg ist Biden nicht in den Schoss gefallen. Er musste nicht nur gegen die geschlossene Opposition der Grand Old Party (GOP) kämpfen – kein einziger Republikaner hat dem Gesetz zugestimmt –, sondern auch die Widerspenstigen in den eigenen Reihen in den Griff bekommen.
So sorgte Lawrence Summers, Obamas ehemaliger Finanzminister, kurzzeitig für Aufregung, weil er verkündete, das Hilfspaket sei zu gross ausgefallen und werde die Inflation anheizen. Danach legte sich Joe Manchin, Senator aus West Virginia quer und musste vom Präsidenten in letzter Minute umgestimmt werden.
Biden hat sich jedoch nicht vom Kurs abhalten lassen und war nie in Versuchung, in eine Falle der GOP zu tappen. Mit dem Versprechen einer überparteilichen Lösung versuchten die Republikaner, das Gesetz zu verwässern und zu verzögern, so wie sie es seinerzeit bei Obamas Hilfspaket nach der Finanzkrise getan hatten.
Obamas Hilfspaket hat seinerzeit zu einem politischen Backlash geführt. Die sogenannte Tea Party entstand, eine stockkonservative Bürgerbewegung, welche die amerikanische Politlandschaft aufmischte. Die Demokraten verloren deswegen in den Zwischenwahlen ihre Mehrheit im Kongress und damit auch viel von ihrem Schwung.
Das will Biden diesmal verhindern. Morgen schon will er zusammen mit seiner Vize-Präsidentin zu einer landesweiten Blitz-Tour aufbrechen, um den Bürgerinnen und Bürgern sein Gesetz zu erklären.
Die Republikaner sind derweil geschockt. Doch sie haben sich die Klatsche selbst eingebrockt. Nie waren sie in der Lage, eine überzeugende Alternative zu formulieren. Selbst das «Wall Street Journal» zeigt sich von ihrem Verhalten angewidert.
«Obwohl sie über eine gewichtige Minderheit verfügen, sind die Republikaner ein zerstrittener Haufen», klagt das konservative Blatt. «Sie haben zwar das Covid-Gesetz geschlossen abgelehnt, aber sie haben dabei keine konsistente Strategie an den Tag gelegt. Sie konzentrierten sich auf einen Kulturkrieg um Dr. Seuss (einen Kinderbuchautor, Anm. d. Red.), während die Demokraten ein Gesetz mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen vorantrieben.»
Für die GOP rächt es sich nun, dass sie sich nach wie vor in den Fängen von Trump befindet. «Die Partei ist immer noch vollständig mit Donald Trump beschäftigt», stellt das «Wall Street Journal» fest. «Dieser wiederum kümmert sich einzig darum, wie er sich an Republikanern rächen kann, welche sich nicht nach dem Thron in Mar-a-Lago richten. Die Republikaner bekämpfen sich gegenseitig, nicht die Demokraten.»
Wie absurd der Streit innerhalb der GOP geworden ist, zeigt die Tatsache, dass Trump der republikanischen Parteileitung verbieten will, seinen Namen für Spendenaufrufe zu verwenden. Er verlangt, dass die Spenden auf ein Konto fliessen, über das er allein die Kontrolle hat.
Trump wird bald Geld gebrauchen können. Seine Hotels und Golfresorts laufen schlecht, und es stehen gewaltige Anwaltshonorare an. Nicht nur im Bundesstaat New York ist die Staatsanwaltschaft mit Hochdruck daran, allfällige Verstösse der Trump Group gegen das Gesetz aufzudecken. Auch in Georgia spitzt sich die Lage zu.
Fani Willis, Staatsanwältin des Fulton Country, will in den kommenden Tagen eine sogenannte Grand Jury einberufen, eine Art geheimes Gericht, das darüber befindet, ob Anklage in einem Verfahren erhoben werden kann. Willis ermittelt gegen Trump, weil er versucht hat, die Wahlen in Georgia zu beeinflussen. Sie kann sich dabei auf das Rico-Gesetz stützen, ein Gesetz, das normalerweise gegen das organisierte Verbrechen angesetzt wird – und Gefängnisstrafen bis zu 20 Jahren ermöglicht.
Während Trump somit im schlimmsten Fall bald einmal in einem Zug mit Mafiosi wie Al Capone genannt werden wird, hat Biden alle Chancen, sich einen Platz als historischer Präsident zu sichern. Sein Covid-Hilfspaket wird bereits mit dem New Deal von Franklin Roosevelt in den 30er-Jahren und der Great Society, Lyndon Johnsons Gesetze zum modernen Sozialstaat in den 60er-Jahren, verglichen.
Biden lässt nicht nur Trump alt aussehen, sondern auch Ronald Reagan, den Übervater der GOP. In den 80er-Jahren hat Reagan die neoliberale Gegenreformation gegen Johnsons soziale Reformen eingeleitet. Nun schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus. E. J. Dionne stellt in der «Washington Post» fest:
Trump wird noch lange schäumen – in nicht allzuweiter Ferne in einem orangen Einteiler in einer Knastzelle.
Und was tun die Reps inzwischen? Die demontieren die Wahlgesetze in 43 Staaten, damit sie niemals wieder abgewählt werden können. Voll im Geiste der Gründerväter ;-)