wechselnd bewölkt
DE | FR
International
Analyse

Joe Biden kann Donald Trump in TV-Debatten nicht besiegen

Analyse

Warum niemand Donald Trump in TV-Debatten schlagen kann

Nach der chaotischen ersten TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden wird die Verluderung der Debattenkultur beklagt. Trump hat diese in den USA tief unterhöhlt. Das Instrumentarium dazu hat ihm das Silicon Valley geliefert.
30.09.2020, 17:2501.10.2020, 12:48
Mehr «International»

Gemäss Umfragen haben die amerikanischen TV-Zuschauer den Demokraten Joe Biden als Sieger der ersten grossen TV-Debatte gegen Donald Trump ausgerufen.

Aber Biden hat nicht gewonnen. Biden hat bereits in dem Moment verloren, in dem er zur Sendung zugesagt hat. Denn Donald Trump ist der Archetyp des Polit-Trolls. Und als solcher gar nicht debattierbar.

Die Debatte selbst verlief auch so chaotisch wie erwartet. Interessant war einzig: Herausforderer Biden war explizit beleidigender als Trump, bezeichnete diesen als «Clown» und «Putins Puppy». Letzterer ignorierte das Setting «TV-Debatte» schlicht gänzlich.

Nach dem Event zeigten sich die Kommentatoren fassungslos und besorgt um die Debattenkultur im Land. Dabei war diese erste Präsidentschaftsdebatte der logische vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die erst Donald Trump ins Amt gebracht, dann jede Debattenkultur zerstört und so die USA zum Failed State gemacht hat.

Anderen Ländern und Demokratien wird es gleich ergehen, wenn Leute wie Donald Trump das politische Parkett betreten.

Im Nachgang zu den Präsidentschaftswahlen 2016 hat man breit diskutiert und untersucht, wie allenfalls die Russen, Cambridge Analytica oder andere Gruppen mit Fake News und manipulativen Mobilisierungsstrategien auf Facebook die Wahlen beeinflusst haben.

Man hat damit an der Oberfläche gekratzt. Wenn überhaupt. Der Schaden, den die grossen Internetkonzerne mit ihren Social-Media-Plattformen dem politischen Betrieb zufügen, ist viel umfassender als punktuelle Datenmissbräuche einzelner politischer Akteure.

Der politische Diskurs hat sich in den vergangenen zehn Jahren von hierarchisch organisierten und regulierten Arenen der linearen Medien Radio, TV und Print sowie Partei- oder Verbandsanlässen zunehmend in die sozialen Medien verlagert.

Das hat zu Beginn dazu geführt, dass sehr viel mehr Menschen partizipieren konnten. Zwei Dinge haben dann sehr rasch zu einer bis weit in den psychotischen Bereich reichenden Polarisierung und Radikalisierung der politischen Basis geführt: Einerseits die Abwesenheit von Gatekeeping-Funktionen auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube. Andererseits deren engagement-treibende Algorithmen.

Verleger, Journalisten, Gerichte oder andere Institutionen, die die Grenzen des Akzeptablen, Sag- und Tolerierbaren abstecken, gibt es in den Sozialen Medien nicht. Stattdessen isolieren die Algorithmen die Nutzerinnen und Nutzer zuerst in einer Bubble oder Echokammer, wo andere, als störend empfundene Meinungen möglichst nicht mehr vorkommen. Danach führen sie sukzessive zu immer expliziteren Inhalten, um das Publikum zuverlässig bei der Stange zu halten.

In solch extremen und unstrukturierten Umgebungen werden bald nur noch diejenigen gesehen, gehört und gelikt, die die extremsten Ansichten, die schockierendsten Ausfälligkeiten, die exorbitantesten Übertreibungen von sich geben.

Dieses atavistische Perpetuum mobile hat in letzter Konsequenz dazu geführt, dass politisch motivierte Amokläufer in jüngster Zeit angefangen haben, ihre Attentate live via Social Media zu streamen. Mehr geht (hoffentlich) nicht.

Donald Trump ist nur das prominenteste und talentierteste Beispiel eines Polit-Trolls, der diese Mechanismen begriffen, verinnerlicht und sehr erfolgreich in institutionelle Politik umgemünzt hat. Auch ein Matteo Salvini in Italien oder ein Roger Köppel in der Schweiz betreiben den Troll-Transfer von der digitalen Bubble in die reale Politik. Bloss etwas weniger virtuos.

Der aus dem Internet übersetzte Radikalismus ist mit dem Konzept der Debatte aber nicht vereinbar. Er schliesst es ja per definitionem aus, die Anliegen oder Sichtweisen Andersdenkender wahrzunehmen, zu verstehen und allenfalls darauf eingehen zu wollen. So wird Politik als demokratischer Prozess, sich auf für alle verbindliche Regeln zu einigen, unmöglich.

In den vergangenen vier Jahren haben die USA schon ein beträchtliches Wegstück zu diesem Ende der Demokratie zurückgelegt. Die beiden politischen Lager stehen sich in Parlament und auf der Strasse unversöhnlich und zur gemeinsamen Lösungsfindung unfähig gegenüber. So unfähig, dass man sich schulterzuckend nicht einmal mehr zur Bekämpfung einer tödlichen Pandemie zusammenraufen kann.

Berechtigterweise geht die Angst um, dass Donald Trump im Falle einer Wahlniederlage das Weisse Haus nicht räumen wird. Die Glaubwürdigkeit der Checks and Balances, demokratischer Institutionen wie Verfassung, Justiz und Medien also, auf die man sich zu Beginn seiner Amtszeit noch verlassen wollte, sind dem Trommelfeuer aus Trumps Troll-Arsenal bereits zum Opfer gefallen.

Auch die Institution republikanische Partei, die Grand Old Party, hat es nicht geschafft, Trump einzufangen und zu lösungsorientiertem Diskurs zurückzuführen. Weil Trump der Basis der Partei mit seiner Internet-Troll-Persona viel näher und vertrauter ist als die Institution Partei mit ihrem Programm und ihrem Establishment.

Was, wenn das auf mehr als die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung zutrifft? Welche Institution soll ihn und seinen absolut destruktiven Polit-Stil dann noch einfangen?

Dass Biden keinen Versprecher hatte, seinen Widersacher Trump während einer Debatte im nationalen TV beleidigt und nach allen Regeln der Kunst gebasht hat, mag Trumps Gegner nun diebisch freuen.

Man sollte Biden deswegen aber nicht als Gewinner ausrufen. Denn er ist bloss Trump in seiner Troll-Logik gefolgt, die die politische Debatte und die demokratischen Institutionen ziemlich gründlich von innen zerstört.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die wichtigsten Termine bis zu den US-Wahlen
1 / 10
Die wichtigsten Termine bis zu den US-Wahlen
Donnerstag 20. August (Daten beziehen sich auf US-Zeit, teilweise werden die Events erst am nächsten Tag europäischer Zeit statfinden):
Joe Biden wird an der Democratic National Convention in Milwaukee eine Rede halten. Biden wird an der Convention offiziell als demokratischer Kandidat gegen Donald Trump nominiert werden.
quelle: keystone / usa biden harris handout
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Trump vs. Biden: Die Highlights der chaotischen Debatte
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
144 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Dummbatz Immerklug
30.09.2020 17:44registriert Februar 2016
Ausser den Wählern kann nichts und niemand Donnie stoppen. Und selbst das ist ungewiss 🤷🏼‍♂️
Ich hoffe es nimmt ein gutes Ende.
Warum niemand Donald Trump in TV-Debatten schlagen kann 
Ausser den Wählern kann nichts und niemand Donnie stoppen. Und selbst das ist ungewiss 🤷🏼‍♂️
Ich hoffe es nimmt ein gutes Ende.
35023
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gurgelhals
30.09.2020 17:37registriert Mai 2015
Volle Zustimmung bis auf einen Punkt: die Republikaner haben es nicht "nicht geschafft, Trump einzufangen [...] weil Trump der Basis der Partei [...] viel näher und vertrauter ist als [der] Partei mit ihrem Programm und ihrem Establishment.".

Sie haben es gar nicht erst versucht. Denn: Trump ist eben gerade *auch* dem GOP-Establishment näher und vertrauter, als diese es öff. zugeben würde. Trump verkörpert in Reinstform die Linie, die die GOP spätestens seit Gingrich fährt. Der einzige Unterschied ist, dass er im Gegensatz zu den Parteigranden dabei keine Maske der Respektabilität trägt.
29522
Melden
Zum Kommentar
avatar
oliversum
30.09.2020 21:29registriert Februar 2014
Come on, Mo. Nicht nur die Silicon Valley-Konzerne sind schuld, Ihr Journis macht bei diesem Spiel genauso mit. Wieviele Artikel gibts schon nur hier bei Watson über jede einzelne "Entgleisung" Trumps? Ihr belohnt (und mutipliziert!) sein Verhalten genauso wie die bösen Algorithmen...
1438
Melden
Zum Kommentar
144
Fotograf in Paris wegen Missbrauchs von 17 Frauen vor Gericht

Vor einem Gericht in Paris hat am Montag der Prozess gegen einen 38 Jahre alten Fotografen begonnen, der 17 Frauen bei Fotoshootings sexuell missbraucht haben soll. Für die ihm angelasteten Taten soll der Mann sich laut Anklage auf Kontaktplattformen als Modefotograf auf der Suche nach Modellen ausgegeben haben. Nach immer gleichem Schema soll er die Frauen 2015 und 2016 in sein Fotostudio gelockt und dort mit Alkohol oder K.-o.-Tropfen in einen wehrlosen Zustand versetzt haben. Dann solle er sie zu freizügigen Fotos gedrängt und die Frauen schliesslich brutal missbraucht haben, berichteten die Zeitung «Libération» und der Sender BFMTV unter Verweis auf die Ermittler.

Zur Story