Gemäss Umfragen haben die amerikanischen TV-Zuschauer den Demokraten Joe Biden als Sieger der ersten grossen TV-Debatte gegen Donald Trump ausgerufen.
Aber Biden hat nicht gewonnen. Biden hat bereits in dem Moment verloren, in dem er zur Sendung zugesagt hat. Denn Donald Trump ist der Archetyp des Polit-Trolls. Und als solcher gar nicht debattierbar.
Die Debatte selbst verlief auch so chaotisch wie erwartet. Interessant war einzig: Herausforderer Biden war explizit beleidigender als Trump, bezeichnete diesen als «Clown» und «Putins Puppy». Letzterer ignorierte das Setting «TV-Debatte» schlicht gänzlich.
Nach dem Event zeigten sich die Kommentatoren fassungslos und besorgt um die Debattenkultur im Land. Dabei war diese erste Präsidentschaftsdebatte der logische vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die erst Donald Trump ins Amt gebracht, dann jede Debattenkultur zerstört und so die USA zum Failed State gemacht hat.
Anderen Ländern und Demokratien wird es gleich ergehen, wenn Leute wie Donald Trump das politische Parkett betreten.
Im Nachgang zu den Präsidentschaftswahlen 2016 hat man breit diskutiert und untersucht, wie allenfalls die Russen, Cambridge Analytica oder andere Gruppen mit Fake News und manipulativen Mobilisierungsstrategien auf Facebook die Wahlen beeinflusst haben.
Man hat damit an der Oberfläche gekratzt. Wenn überhaupt. Der Schaden, den die grossen Internetkonzerne mit ihren Social-Media-Plattformen dem politischen Betrieb zufügen, ist viel umfassender als punktuelle Datenmissbräuche einzelner politischer Akteure.
Der politische Diskurs hat sich in den vergangenen zehn Jahren von hierarchisch organisierten und regulierten Arenen der linearen Medien Radio, TV und Print sowie Partei- oder Verbandsanlässen zunehmend in die sozialen Medien verlagert.
Das hat zu Beginn dazu geführt, dass sehr viel mehr Menschen partizipieren konnten. Zwei Dinge haben dann sehr rasch zu einer bis weit in den psychotischen Bereich reichenden Polarisierung und Radikalisierung der politischen Basis geführt: Einerseits die Abwesenheit von Gatekeeping-Funktionen auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube. Andererseits deren engagement-treibende Algorithmen.
Verleger, Journalisten, Gerichte oder andere Institutionen, die die Grenzen des Akzeptablen, Sag- und Tolerierbaren abstecken, gibt es in den Sozialen Medien nicht. Stattdessen isolieren die Algorithmen die Nutzerinnen und Nutzer zuerst in einer Bubble oder Echokammer, wo andere, als störend empfundene Meinungen möglichst nicht mehr vorkommen. Danach führen sie sukzessive zu immer expliziteren Inhalten, um das Publikum zuverlässig bei der Stange zu halten.
In solch extremen und unstrukturierten Umgebungen werden bald nur noch diejenigen gesehen, gehört und gelikt, die die extremsten Ansichten, die schockierendsten Ausfälligkeiten, die exorbitantesten Übertreibungen von sich geben.
Dieses atavistische Perpetuum mobile hat in letzter Konsequenz dazu geführt, dass politisch motivierte Amokläufer in jüngster Zeit angefangen haben, ihre Attentate live via Social Media zu streamen. Mehr geht (hoffentlich) nicht.
Donald Trump ist nur das prominenteste und talentierteste Beispiel eines Polit-Trolls, der diese Mechanismen begriffen, verinnerlicht und sehr erfolgreich in institutionelle Politik umgemünzt hat. Auch ein Matteo Salvini in Italien oder ein Roger Köppel in der Schweiz betreiben den Troll-Transfer von der digitalen Bubble in die reale Politik. Bloss etwas weniger virtuos.
Der aus dem Internet übersetzte Radikalismus ist mit dem Konzept der Debatte aber nicht vereinbar. Er schliesst es ja per definitionem aus, die Anliegen oder Sichtweisen Andersdenkender wahrzunehmen, zu verstehen und allenfalls darauf eingehen zu wollen. So wird Politik als demokratischer Prozess, sich auf für alle verbindliche Regeln zu einigen, unmöglich.
In den vergangenen vier Jahren haben die USA schon ein beträchtliches Wegstück zu diesem Ende der Demokratie zurückgelegt. Die beiden politischen Lager stehen sich in Parlament und auf der Strasse unversöhnlich und zur gemeinsamen Lösungsfindung unfähig gegenüber. So unfähig, dass man sich schulterzuckend nicht einmal mehr zur Bekämpfung einer tödlichen Pandemie zusammenraufen kann.
Berechtigterweise geht die Angst um, dass Donald Trump im Falle einer Wahlniederlage das Weisse Haus nicht räumen wird. Die Glaubwürdigkeit der Checks and Balances, demokratischer Institutionen wie Verfassung, Justiz und Medien also, auf die man sich zu Beginn seiner Amtszeit noch verlassen wollte, sind dem Trommelfeuer aus Trumps Troll-Arsenal bereits zum Opfer gefallen.
Auch die Institution republikanische Partei, die Grand Old Party, hat es nicht geschafft, Trump einzufangen und zu lösungsorientiertem Diskurs zurückzuführen. Weil Trump der Basis der Partei mit seiner Internet-Troll-Persona viel näher und vertrauter ist als die Institution Partei mit ihrem Programm und ihrem Establishment.
Was, wenn das auf mehr als die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung zutrifft? Welche Institution soll ihn und seinen absolut destruktiven Polit-Stil dann noch einfangen?
Dass Biden keinen Versprecher hatte, seinen Widersacher Trump während einer Debatte im nationalen TV beleidigt und nach allen Regeln der Kunst gebasht hat, mag Trumps Gegner nun diebisch freuen.
Man sollte Biden deswegen aber nicht als Gewinner ausrufen. Denn er ist bloss Trump in seiner Troll-Logik gefolgt, die die politische Debatte und die demokratischen Institutionen ziemlich gründlich von innen zerstört.
Ich hoffe es nimmt ein gutes Ende.
Sie haben es gar nicht erst versucht. Denn: Trump ist eben gerade *auch* dem GOP-Establishment näher und vertrauter, als diese es öff. zugeben würde. Trump verkörpert in Reinstform die Linie, die die GOP spätestens seit Gingrich fährt. Der einzige Unterschied ist, dass er im Gegensatz zu den Parteigranden dabei keine Maske der Respektabilität trägt.