Auch der hartgesottenste Trump-Fan weiss – oder ahnt zumindest –, dass sein Idol eine Affäre mit Stormy Daniels hatte, und er weiss auch, dass Trump Schweigegeld bezahlt hat, um zu verhindern, dass der Pornostar auspackt. Schliesslich ist sein ehemaliger Anwalt Michael Cohen deswegen zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, und aus den Akten zu diesem Urteil geht ganz klar hervor, dass Cohen im Auftrag von Donald Trump gehandelt hatte.
Warum ist Trump bis dato jedoch nicht deswegen angeklagt worden? Um dies zu verstehen, müssen wir uns – wenn auch zugegebenermassen bloss oberflächlich – mit dem byzantinischen US-Recht befassen. Also:
Das Verfahren gegen Cohen wurde seinerzeit vom Southern District of New York (SDNY) durchgeführt. Diese Untersuchungsbehörde gilt als die härteste in den USA überhaupt und hat sich mit der Verfolgung der Mafia einen Ruf geschaffen. Sie ist dem Justizministerium unterstellt, es handelt sich damit um eine nationale (federal) Institution, die nach den «Federal»-Regeln spielen muss.
Eine Regel des Justizministeriums besagt, dass ein amtierender Präsident nicht angeklagt werden darf. Deshalb wurde das Verfahren gegen Trump zunächst auf Eis gelegt. Erschwerend kam hinzu, dass die «Federal»-Regeln vorschreiben, dass sich ein Kronzeuge bereit erklären muss, für sämtliche nur möglichen Straftaten geradezustehen.
Trumps Anwalt Cohen erklärte sich zwar bereit, in Sachen Schweigegeld gegen seinen ehemaligen Boss auszusagen. Er befürchtete jedoch, dass ihm möglicherweise noch eine Reihe ganz anderer Vergehen zum Verhängnis werden könnten. Er weigerte sich daher, dem SDNY als Kronzeuge zur Verfügung zu stehen. Damit bot er dem Justizminister William Barr eine willkommene Gelegenheit, das Verfahren gegen Trump gänzlich einzustellen.
Auftritt Alvin Bragg. Er löste 2021 Cyrus Vance als Untersuchungsrichter von Manhattan ab. Dieser hatte zuvor jahrelang gegen Trump wegen Finanzvergehen ermitteln lassen. Zu diesem Zweck hatte er auch einen berüchtigten Mafia-Jäger namens Mark Pomerantz aus dem Ruhestand geholt. Pomerantz schaute sich auch die Schweigegeld-Geschichte an, kam jedoch zum Schluss, dass eine Anklage unter dem im Bundesstaat New York geltenden Recht praktisch unmöglich sei.
Wir befinden uns also nicht mehr auf der föderalen, sondern auf der einzelstaatlichen Ebene. Die juristischen Unterschiede der beiden Ebenen erklärt Pomerantz in einem ausgezeichneten Buch mit dem Titel «People vs Donald Trump». (Es ist wirklich sehr lesenswert.) Hier müsst ihr es mir einfach glauben.
Pomerantz kam zum Schluss, dass man Trump wegen seines Finanzgebarens anklagen sollte. Die Stormy-Daniels-Geschichte bezeichnete er indes als «Zombie-Fall», den man endgültig begraben müsse. Alvin Bragg sieht es genau umgekehrt. Er stellte das Finanzverfahren ein und erweckte den Zombie-Fall zu neuem Leben, worauf Pomerantz seinen Dienst unter Absingen wüster Lieder quittierte.
Nun steht Bragg offensichtlich kurz davor, Anklage gegen Trump zu erheben. Die Fachwelt rätselt, wie er das juristisch hinkriegen will. Er kann zwar Trump mit Sicherheit nachweisen, dass er die Schweigegeld-Zahlungen falsch verbucht hat, nämlich als Auslagen für seinen Anwalt. Doch das reicht nach New Yorker Recht bloss für eine Verfehlung, nicht aber für eine Straftat.
Bragg muss daher zu einem Trick greifen. Er muss nachweisen, dass die besagte Verfehlung im Dienste einer Straftat stand. Nur so kann er Trump ins Gefängnis bringen. Damit betritt er jedoch Neuland und begibt sich auf einen juristischen Hochseilakt. Gespannt warten alle darauf, ob er dabei abstürzen wird.
Trump hingegen wartet nicht. Er hat erlebt, wie sein Finanzchef Allen Weisselberg in Handschellen vor dem Haftrichter antraben musste, und die Vorstellung, dass ihm bald das Gleiche blüht, lässt ihn ausflippen. Deshalb hat er am letzten Freitag auf seiner Plattform Truth Social zu Demonstrationen aufgerufen, mit denen er seine Verhaftung verhindern will.
Und damit bringt Trump auch Ron DeSantis in Nöte. Sein Aufruf ist mittlerweile zu einem Solidaritätstest innerhalb der Grand Old Party geworden. Kevin McCarthy, der Speaker, hat eine drohende Anklage als politische Hexenjagd verurteilt, genauso wie Elise Stefanik, die Abgeordnete aus dem Bundesstaat New York, die sich Chancen als mögliche Vize-Präsidentin ausrechnet.
Die MAGA-Meute – Marjorie Taylor Greene, J.D. Vance etc. – läuft Amok und verlangt von allen Republikanern, dass sie Stellung beziehen. Einer jedoch hält sich bisher auffallend zurück: Ron DeSantis. Er fordert damit die MAGA-Meute heraus. Jack Posobiec, ein Vertreter der ganz rechten Linie mit vielen Followern in den sozialen Medien, hat bereits eine Kampagne gegen DeSantis angezettelt. Donald Trump Jr., Trumps ältester Sohn, hat diese Kampagne aufgegriffen und lässt mitteilen: «Passt gut auf, welche Republikaner sich gegen den korrupten BS (bull shit, gemeint ist die Anklage gegen Trump) aussprachen und wer sich Zeit liess, um zu sehen, aus welcher Richtung der Wind bläst.»
Niemand zweifelt inzwischen, dass DeSantis als Präsidentschaftskandidat antreten will. Niemand wird aber auch schlau aus seiner Strategie. Um die MAGA-Meute für sich zu gewinnen, äfft er einerseits Trump nach. So hat er beispielsweise den Krieg in der Ukraine als «territorialen Konflikt» bezeichnet und sich gegen weitere amerikanische Hilfe ausgesprochen. Damit hat er die traditionellen Republikaner verärgert.
Mit seinem Schweigen in Sachen Stormy Daniels riskiert er, die Trump-Basis vor den Kopf zu stossen, und begibt sich damit in stürmische Gewässer. Dass ausgerechnet ein Pornostar DeSantis in Nöte bringt, ist paradox. Er gilt als fürsorglicher Familienvater und völlig frei von Affären. Aber irgendwie ist es auch eine Art von poetischer Gerechtigkeit.
Ein dummer Rechtspopulist, der dafür extrem unberechenbar ist oder ein intelligenter Rechtspopulist, der zwar eigenermaßen berechenbar ist, aber alle durch seine Worte überzeugen könnte.
Das Wahljahr 2024 könnte noch schlimmer Abgründe hervorrufen als 2016.
Stormy Daniels klingt wie die grosse Schwester von breezy Johnson 😁