Inzwischen ist es hinlänglich bekannt: Donald Trump ist ein unkonventioneller Politiker. Der amerikanische Präsident «denkt gerne quer» und sieht Dinge, «die andere Menschen nicht sehen wollen». So formulierte es am Dienstag der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu an einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weissen Haus in Washington.
Anlass für diese Aussagen, mit denen sich der Israeli bei seinem amerikanischen Verbündeten einschmeicheln wollte: Der Vorstoss von Trump, den Gaza-Streifen «langfristig» zu übernehmen, um dort ohne die bisherige Zivilbevölkerung eine liebliche «Riviera des Nahen Ostens» aufzubauen. Alle Palästinenser sollten vielmehr umgesiedelt werden, und zwar nach Jordanien, Ägypten oder in ein anderes Land
Der amerikanische Präsident präsentierte diese Idee am Dienstag als das Resultat von monatelangen Abklärungen, obwohl er keine Details nannte. Er überrumpelte damit Freund und Feind. Nicht nur in Washington, sondern auch im arabischen Raum. Angeblich hätten nur eine kleine Gruppe von engen Beratern Trumps gewusst, dass er ernsthaft am kriegszerstörten Gaza-Streifen interessiert ist und sich sogar vorstellen kann, amerikanische Streitkräfte in den Landstreifen zu entsenden.
Umgehend ging die Suche nach Erklärungsversuchen los. Netanyahu schien anzudeuten, dass es sich dabei um eine Verhandlungstaktik von Trump handelt. Weil der amerikanische Präsident kein Tabu kennt, kann er mit neuen Ideen Verbündete unter Druck setzen und damit Blockaden durchbrechen. Das ist die «Madman Theory», die bereits in der ersten Amtszeit von Trump (2017-2021) in Washington kursierte.
Diese These besagt, in aller Kürze: Trump ist derart unberechenbar, dass er als Präsident zu allem fähig ist. Deshalb sei es angebracht, ihn auch dann ernst zu nehmen, wenn er vermeintlich absurde Dinge sage. Sein Gaza-Vorstoss ist demnach nicht das Stammtisch-Gerede eines älteren Herren – sondern vielmehr die Aufforderung an die reichen arabischen Nationen, nun endlich einen Nachkriegsplan für den schmalen Landstreifen vorzulegen.
Ein anderer Erklärungsversuch lieferte der politische Gegner des neuen Präsidenten. Trump wolle bloss das Thema wechseln, sagten führende Demokraten. Und damit ablenken vom politischen Chaos, das er bereits in den ersten zwei Wochen seiner Amtszeit im amerikanischen Politbetrieb angerichtet habe.
Dazu passt, dass Trump im Wahlkampf des vergangenen Jahres versprochen hatte, die Lebenshaltungskosten der Amerikanerinnen und Amerikaner umgehend zu senken. Schwer vorstellbar, dass eine Übernahme des Gaza-Streifens dazu beitragen würde, dass Eier oder Benzin in den USA billiger werden. «Er versucht, die Aufmerksamkeit der Amerikaner von den Dingen abzulenken, die er nicht tut», sagte der demokratische Aussenpolitiker Gregory Meeks am Mittwoch in einem Fernsehinterview.
Auch ausserhalb von Washington gab es zahlreiche negative Reaktionen auf Trumps Vorstoss, zuvorderst unter den betroffenen Palästinensern selbst. «Ich bin wütend, verängstigt und verärgert über seine Aussagen», sagte Hanya Aljamal. Die 27-Jährige lebt im Gaza-Streifen. Vor dem Krieg war sie Englischlehrerin und plante, bald ihr Masterstudium zu beginnen. Aktuell arbeitet sie bei Hilfsorganisationen in der Essensverteilung.
«Trump kann einfach daherkommen und den Menschen sagen, dass sie ihr Land, ihre Wurzeln und ihr Erbe verlassen und staatenlose Migranten werden sollen», sagte Aljamal im Gespräch mit CH Media. «Die Menschen werden Gaza sicher nicht verlassen, wenn ihnen nicht zugesichert wird, dass sie das Recht auf Rückkehr haben.»
Auf internationaler Ebene hagelte es ebenfalls Kritik. Saudi-Arabien reagierte schockiert auf den Vorstoss des mächtigsten Mannes der Welt. Das Land lehne es ab, Palästinenserinnen und Palästinenser aus dem Gaza-Streifen zu vertreiben, hiess es in einer Mitteilung des Aussenministeriums. «Fest und unumstösslich» halte Saudi-Arabien zudem an der Forderung fest, dass ein palästinensischer Staat gegründet werden müsse.
Jordanien und Ägypten hatten bereits zuvor negativ auf die Forderung Trumps reagiert, die bis zu 2 Millionen Palästinenser, die im Gaza-Streifen wohnen, in ihren Ländern aufzunehmen.
Ablehnung schlug Trump zudem aus Deutschland entgegen. Die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock sagte: «Gaza gehört – ebenso wie die Westbank und Ostjerusalem – den Palästinenserinnen und Palästinensern.» Eine Vertreibung der palästinensischen Zivilbevölkerung aus Gaza wäre inakzeptabel und völkerrechtswidrig, sagte sie. Ähnlich entschieden lautete das Nein aus Ankara. Der türkische Aussenminister Hakan Fidan sagte, es sei «falsch», über den Vorstoss von Trump überhaupt zu diskutieren.
Etwas zurückhaltender fiel die offizielle Reaktion der Schweiz aus. Das Eidgenössische Department für auswärtige Angelegenheiten (EDA) schrieb in einer Stellungnahme: «Was den Nahen Osten betrifft, ist die Position der Schweiz, insbesondere in Bezug auf die Zwei-Staaten-Lösung, bekannt und wurde bereits mehrfach kommuniziert.»
Trump wird sich von diesen kritischen Einschätzungen nicht beirren lassen. Der amerikanische Präsident ist sich solche Reaktionen gewöhnt, von früheren undiplomatischen Äusserungen über Krisenherde wie Nordkorea. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass sämtliche bisherigen Anläufe, den Nahen Osten zu befrieden, gescheitert seien. Gefragt seien deshalb nun frische, provokative Ideen – so wie sein Vorstoss, den alle «lieben», wie er am Mittwoch sagte.
Auffallend war, dass Trump am Dienstag nicht improvisierte, sondern streckenweise schriftliche Notizen ablas. Dies deutet tatsächlich darauf hin, dass sein Gaza-Plan nicht spontan entstand. Umso erstaunlicher ist es, dass er keine Details präsentieren konnte und die jahrhundertealte, blutige Geschichte dieses Landstrichs einfach ignorierte.
Netanyahu wird es wohl nicht weiter stören. Der israelische Ministerpräsident sagte auch in Washington wieder, sein Ziel sei es, die Hamas zu zerstören und sämtliche Geiseln freizubekommen. Dann wolle er dafür sorgen, dass von Gaza nie mehr eine Gefahr für Israel ausgehe. Sollten dort in 10 bis 15 Jahren tatsächlich amerikanische Soldaten entlang von neuen Strand-Resorts patrouillieren, dann wäre diese Bedingung erfüllt.
(aargauerzeitung.ch)
Was für eine Verharmlosung.