QAnon? Existiert nicht. Rassismus sowieso nicht. Die Kapitol-Stürmer waren irregeleitete Patrioten. Überhaupt, die wahre Bedrohung kommt von Immigranten, China, dem Islam, einer linksliberalen Elite, den Mainstream-Medien und den IT-Oligarchen. So in etwa kann man das Programm zusammenfassen, dass Tucker Carlson jeden Abend von Montag bis Freitag seinen Zuschauern einhämmert.
Er tut es mit sehr viel Erfolg. Carlson hat mittlerweile Sean Hannity als Star bei Fox News abgelöst und erreicht rund 3,5 Millionen Zuschauer, Hannity rund 2,8 Millionen. Und seine Fans sind jünger als diejenigen des etwas biederen Altstars, dessen Fans vorwiegend zur Gruppe 70+ gehören.
Auch inhaltlich unterscheidet sich Carlson vom Altstar. Hannity setzt auf die alte Blocherformel Neoliberalismus plus Nationalismus. Carlson jedoch gibt sich immer wieder kapitalismuskritisch, prügelt auf die Wall Street und vor allem auf Facebook, Twitter, Google & Co. ein. Mit anderen Worten: Er stützt sich auf die altbewährte Formel des Nationalsozialismus.
Im Zentrum steht bei Carlson der Rassismus. Keine Sendung, in der er nicht seine Kernbotschaft verkündet. Sie lautet: Amerika ist kein rassistisches Land, deshalb kann es auch keinen Rassismus geben. Selbst wenn über alle Zweifel erhabene Stimmen das Gegenteil behaupten, bleibt Carlson dabei.
So hat FBI-Direktor Christopher Wray – er wurde von Trump eingesetzt – in einem Hearing vor dem Senat wörtlich ausgesagt:
Der FBI-Direktor hat dabei nur ausgesprochen, was alle am TV selbst sehen konnten – hat jemand auch nur einen einzigen farbigen Kapitol-Stürmer gesehen? – und was Erik Wemple, Medienjournalist bei der «Washington Post» säuberlich auflistet:
Es gab da den Typen mit dem «Camp Ausschwitz»-T-Shirt. Es gab den anderen Typen mit der Konföderierten-Flagge. Es gab mehrere Typen der Proud Boys und der Oath Keepers. Die Ideologie dieser Milizen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Sie glauben an die Überlegenheit der Weissen, des Christentums und hassen Immigranten und Muslims.
Carlson verurteilt selbstverständlich ebenfalls die Gewalt, die am 6. Januar ausgeübt wurde. Anders aber als für die gewalttätigen Mitglieder der Black-Lives-Matter-Bewegung hat er für die Kapitol-Stürmer sehr viel Verständnis. «Eigentlich handelt es sich bei ihnen um solide Amerikaner, die zutiefst frustriert sind», erklärte er. «Und ich frage mich, ob die Menschen in Washington wirklich verstehen und mit ihnen fühlen? Das ist eine ernst gemeinte Frage.»
Obwohl am 6. Januar und an zahlreichen Trump-Rallys QAnon-Banner zu sehen waren, zweifelt Carlson an, ob es diese Bewegung überhaupt gibt. Er tut dies mit eher lahmen Witzen: «Wir haben den ganzen Tag nach QAnon gesucht und haben schliesslich erfahren, dass es nicht einmal eine entsprechende Website gibt», höhnte er.
Dabei ist allgemein bekannt, dass es weder eine Person namens QAnon gibt noch eine Website. Es handelt sich vielmehr um eine Verschwörungstheorie, die vorwiegend in Internetchats verbreitet wird.
Geht es ums Lügen, kennt Carlson wie Trump absolut keine Scham. Das vielleicht krasseste Beispiel betrifft den tragischen Tod von George Floyd in Minneapolis. Obwohl die ganze Welt zuschauen konnte, wie dieser Mann von einem Polizisten auf grausamste Art und Weise erdrosselt wurde – der gerichtsmedizinische Befund bestätigt dies –, behauptet Carlson unverfroren, Floyd sei «wahrscheinlich an einer Überdosis Fentanyl gestorben».
Wie Trump sieht sich Carlson als Opfer. Die «sozialistischen» Demokraten, die IT-Oligarchen, die Elite in Washington und die Mainstream-Medien: Sie alle wollten ihn mundtot machen, jammert er. Regelmässig beschimpft er Journalisten-Kollegen und klagt über die angebliche Zensur, die gegen ihn und andere Konservative ausgeübt werde.
Ebenso ist Carlson keine Verleumdung zu abstrus, als dass er sie nicht aufgreifen würde. So hat er die beiden demokratischen Abgeordneten Nancy Pelosi und Adam Schiff mit den Ottomanen verglichen und ihnen unterstellt, sie würden die «Städte zerstören, die sie erobert haben». Oder er vergleicht Joe Biden mit Leonid Breschnew, dem ehemals mächtigen Mann in der Sowjetunion.
Nach dem Tod von Rush Limbaugh wird Carlson zur Identifikationsfigur der extremen Rechten und der weissen Herrenmenschen. Wie gefährlich das ist, erklärt ein ehemaliger Bürokollege. Der Historiker Max Boot war einst ein führender Neokonservativer und arbeitete wie Carlson beim «Weekly Standard», dem Organ dieser Gruppierung. Heute hat Boot eine Kolumne in der «Washington Post». Dort schrieb er kürzlich:
Eigentlich hat er da recht, wäre besser wenn seine Vorfahren da nie hingegangen wären. 🤷♂️
Mein Trost ist immer wieder, dass der Typ mal gehörig aufs Dach gekriegt hat: