Army Gen. Mark Milley ist der Chairman of the Joint Chiefs, der höchste Militär in den USA. In diesen Tagen stapft er in voller Kampfmontur in Washington herum, um den Einsatz der Ordnungskräfte zu überprüfen.
Einer dieser Einsätze bestand darin, eine Gruppe von friedlich demonstrierenden Menschen vor der Kirche St. John in der Nähe des Weissen Hauses mit Schlagstöcken und Tränengas zu vertreiben. Grund: Der Präsident wollte sich mit einer Bibel in der Hand vor ebendieser Kirche fotografieren und filmen lassen.
Der präsidiale Foto-Termin hat einen landesweiten Aufschrei zur Folge gehabt. Mariann E. Budde, die für die Kirche zuständige anglikanische Bischöfin, erklärte: «Er hat nicht gebetet. Er hat den Namen von George Floyd nicht erwähnt. Und er hat nicht vom Schmerz der Menschen gesprochen, die seit hunderten von Jahren unter dem schrecklichen Rassismus und der weissen Herrschaft leiden.»
Das Weisse Haus hat alle Propaganda-Hebel in Bewegung gesetzt, um den Mord an George Floyd in Minnesota neu zu interpretieren. Der scheussliche Mord eines weissen Polizisten an einem schwarzen Mann soll zu einem Aufstand eines ungezügelten Mobs umgedeutet werden, der unter der Anleitung von Terroristen die amerikanische Gesellschaft zerstören will.
Anstatt Verständnis für die Wut der Schwarzen zu äussern, droht der Präsident daher mit «bösartigen Hunden» und «neuen Waffen» gegen die Demonstranten, die er generell als «Schläger» bezeichnet. Sein ihm treu ergebener Justizminister William Barr erklärt derweil, die Proteste seien «von linksextremen Anarchisten geplant und durchgeführt».
Tatsache ist, dass die meisten Demonstranten friedlich auf die Strasse gehen. Sie protestieren gegen das, was man «institutionellen Rassismus» nennt. Was ist damit gemeint?
Die Wunden der Sklaverei sind in den USA bis heute nicht vernarbt. Nach dem Bürgerkrieg wurden die Schwarzen zwar formell frei, blieben jedoch weiterhin unterdrückt. Mit den sogenannten Jim-Crow-Gesetzen wurden ihre Freiheiten massiv eingeschränkt, mit der Segregation wurden sie in Ghettos verbannt.
Der Ku-Klux-Klan war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine mächtige Organisation. Mit Lynchmorden wurden die Schwarzen in Angst und Schrecken versetzt, um zu verhindern, dass sie von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten. Der Mord an Floyd erinnert an diese schreckliche Zeit. Christopher Hayes, Geschichtsprofessor an der Rutgers University in New Jersey, erklärt gegenüber der «Financial Times»: «Wir können in Zeitlupe zuschauen, wie das Leben dieses Mannes ausgelöscht wird. Das hat alle Merkmale eines altmodischen Lynchmordes.»
Viele amerikanischen Organisationen – etwa die Feuerwehr und auch die Armee – haben inzwischen den institutionellen Rassismus weitgehend unter Kontrolle. Nicht so die Polizei. Schwarze werden von Polizisten nicht nur viel häufiger schikaniert als Weisse, sie werden auch häufiger misshandelt oder gar getötet. Es sind mehr als ein paar «faule Äpfel», welche die amerikanische Polizei in Verruf gebracht haben. Es hat System.
Der schwarze Präsident Barack Obama hat erste Versuche gemacht, gegen den institutionellen Rassismus der Polizei vorzugehen. So hat er die Polizisten angehalten, die sogenannte «stop-and-frisk»-Taktik aufzugeben, will heissen, damit aufzuhören, junge schwarze Männer pausen- und grundlos zu überprüfen. Er hat die Polizisten zudem aufgefordert, sich nicht wie «Krieger» aufzuführen, und er hat ihre zunehmend militärische Ausrüstung teilweise wieder rückgängig gemacht.
Mit Trump wurde alles wieder anders. Er sprach von einem «Krieg gegen die Polizei» seines Vorgängers, forcierte erneut die militärische Aufrüstung und forderte die Ordnungshüter offen auf, härter gegen Kriminelle vorzugehen. Die Saat des Präsidenten ist aufgegangen. Lt. Bob Kroll, Vorsteher der Polizei-Gewerkschaft in Minneapolis, lobte den Präsidenten: Er lege die «Handschellen wieder den Kriminellen und nicht uns an».
Angesichts der schweren Unruhen genügen Trump selbst die militärisch aufgerüsteten Polizisten nicht mehr, auch wenn sie inzwischen von der Nationalgarde unterstützt werden. Diese paramilitärische Schutztruppe ist für die innere Sicherheit zuständig.
Doch die Nationalgarde untersteht dem Kommando der Gouverneure der einzelnen Bundesstaaten. Diese beschimpft der Präsident als «Weicheier» und «Idioten», die viel zu viel Verständnis für die Demonstranten aufbringen würden.
Ob Trump das Recht hat, das Militär aufzubieten, ist umstritten. Auf jeden Fall wäre es das Dümmste, das er im Moment tun könnte. Die Soldaten sind nicht dafür ausgebildet, Unruhen im eigenen Land zu bekämpfen. «Das Risiko, Fehler zu begehen, ist sehr hoch», warnt selbst das konservative «Wall Street Journal». «Mr. Trump würde für ein allfälliges Blutbad verantwortlich gemacht werden. Zudem braucht es die Soldaten gar nicht. Die Nationalgarde steht zur Verfügung, und sie hat mehr Erfahrung mit heimischen Unruhen.»
Der Präsident hat jedoch offensichtlich kein Interesse daran, die Unruhen möglichst rasch in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil, er schüttet ganz gezielt Öl ins Feuer und hofft, sich so als konsequenter Kämpfer für Recht und Ordnung zu profilieren. Diese zynische Rechnung könnte gar aufgehen.
God bless America!