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Analyse

Greta Thunberg, wo bist du? Weshalb die Stille um die Klima-Ikone trügt

epa09499733 Swedish environmental activist Greta Thunberg talks at the end of a 'Fridays for Future' strike protest in Milan, Italy, 01 October 2021. EPA/MATTEO BAZZI
Noch im Jahr 2021 waren die Medien voll mit Bildern und Artikeln über die Fridays for Future-Aktivistin Greta Thunberg. In diesem Jahr ist es stiller um sie geworden.archivBild: keystone
Analyse

Greta Thunberg, wo bist du? Weshalb die Stille um die Klima-Ikone trügt

22.09.2022, 20:1210.03.2023, 10:30
Josephine Andreoli / watson.de
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Noch im Jahr 2021 gab es kaum eine Zeitung und kaum ein Online-Magazin, in dem es nicht immer und immer wieder um die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ging:

Greta appelliert vor der deutschen Bundestagswahl an die Parteien, ihre Programme an die Ziele des Pariser Klimaabkommens anzupassen.

Greta liest Politikerinnen und Politikern auf dem UN-Klimagipfel (COP26) in Glasgow die Leviten.

Greta kritisiert die Modebranche für ihre Wegwerfmentalität.

Greta dies, Greta das.

Climate activist Greta Thunberg speaks on the stage after a protest during the Cop26 summit in Glasgow, Scotland, Friday, Nov. 5, 2021. The protest was taking place as leaders and activists from aroun ...
Die Klimaaktivistin bei einer Demo anlässlich der COP26 in Glasgow im November 2021.Bild: keystone

2022 reiht sich eine Krise an die nächste

Im Jahr 2022 aber wird es still um die Aktivistin. Verhältnismässig still zumindest. Zwar erscheinen ab und an Artikel, in denen Greta vor den Folgen der Klimakrise warnt, Politikerinnen und Politiker kritisiert und Druck macht, endlich in den Notfallmodus zu schalten.

Aber die ehemals omnipräsente Klimaaktivistin ist eines nicht mehr: omnipräsent.

Dabei reihen sich die Krisen, die aus der Erderwärmung resultieren, nahtlos aneinander: Da ist die durch den Krieg in der Ukraine angestossene Energiekrise. Da sind die Dürre, Wasserknappheit und Waldbrände auf der einen Seite – und katastrophale Überschwemmungen auf der anderen.

«Wo sind die Mahnungen, die Warnungen, die Wut?»

Da sind die Gletscher, die schneller abschmelzen, als von Forschenden vorhergesagt – und die unvorhersehbaren Folgen, die dadurch drohen.

Die Liste liesse sich endlos weiterführen.

Und dennoch: Von Greta Thunberg ist nur vereinzelt zu hören und zu lesen.

Wo sind die Mahnungen, die Warnungen, die Wut?

Greta, wo bist du?

Und Greta, bitte sag, dass du nicht aufgegeben hast – resigniert durch die stete Ignoranz der Politikerinnen und Politiker, die die Signifikanz, die Tragweite der Klimakrise nicht anerkennen. Oder anerkennen wollen.

«Es ist nicht Greta Thunberg, die leise geworden ist. Es sind die Medien, die vorrangig über andere Themen berichten.»

Auf Nachfrage von watson, warum sie so still sei, antwortete Thunberg nicht.

Eine kleine Recherche aber zeigt schnell: Es ist nicht Greta Thunberg, die leise geworden ist. Es sind die Medien, die vorrangig über andere Themen berichten. Die die Aktivistin leise werden lassen, das Thema Klimakrise hinten anstellen.

Wieder einmal.

Die Klimakrise darf kein «Lückenfüller» sein

Plötzlich sind nicht mehr die Corona-Pandemie und die Klimakrise die dominierenden Themen. Im Fokus stehen Putins Angriffskrieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Inflation.

Natürlich ist das Interesse an diesen Krisen berechtigt. Natürlich machen sich die Menschen Sorgen. Und natürlich sollten diese Krisen ihren Platz und Raum in den Medien haben.

Das darf aber nicht heissen, dass die Klimakrise aus unser aller Köpfe verschwindet. Dass sie hintangestellt wird und als eine Art «Lückenfüller» fungiert, wenn es gerade einmal keine «dringenderen» Krisen gibt, die zuerst gelöst werden müssen.

Greta Thunberg ist nicht das Problem.

Sie ist da, warnt, mahnt.

Woche für Woche.

Obwohl die Aufmerksamkeit nachlässt.

Greta hat sogar ein Buch geschrieben, das schon Ende Oktober in den Buchläden zu finden sein wird.

Vielmehr müssen also wir, die Medien, uns an die imaginäre Nase fassen.

Es ist unsere Aufgabe, über Ereignisse und Krisen zu berichten, sie einzuordnen, in den richtigen Kontext zu stellen – und sie miteinander zu verknüpfen.

«Vor allem aber bedeutet es, deutlich zu machen, dass die Klimakrise Thema ist und Thema bleibt. Und zwar auch dann, wenn weitere furchtbare Krisen dazukommen.»

Das bedeutet auch, darauf hinzuweisen, dass wir die Energiekrise so nicht hätten, wenn wir nicht mehr auf die fossilen Energieträger angewiesen wären. Sondern, wie Forschende – und eben auch Greta – immer wieder betonen: (nur noch) die erneuerbaren Energien nutzen würden; also Wind, Wasser, Sonne.

Vor allem aber bedeutet es, deutlich zu machen, dass die Klimakrise Thema ist. Thema bleibt. Auch dann, wenn weitere furchtbare Krisen dazukommen.

Weil es schwieriger wird, je länger wir warten.

Weil die Krisen oft zusammenhängen, einander sogar bedingen.

Weil die Welt eine bessere wird, wenn wir die Transformation schaffen: gerechter, sicherer, sauber.

Greta wird zur Ikone in der Klimabewegung

Greta Thunberg hat es 2018 durch ihren Schulstreik vor dem schwedischen Parlament geschafft, den Blick der Welt auf die Klimakrise und auf die drohenden Katastrophen zu richten.

Sie wurde zur Ikone, hat es geschafft, ganze Generationen mitzureissen und Hoffnung zu stiften – darauf, dass wir das Schlimmste noch rechtzeitig verhindern können.

Aber nur, wenn die Politiker:innen und Konzerne denn handeln.

Und wir als Gesellschaft.

Dass die Klimakrise – und auch Greta – viel zu häufig aus den Medien verschwunden ist, ist ein Armutszeugnis. Es zeugt davon, dass die Klimakrise noch immer als eine von vielen Krisen verstanden wird.

Aber sie ist mehr als das.

Greta Thunberg weiss das.

Vielleicht sollten wir ihr, die so viele bewegt und mitgerissen hat, wieder mehr Gehör schenken.

Denn Greta ist da, warnt, mahnt.

Tweet vom 16. September 2022.
Tweet vom 16. September 2022.screenshot: twitter

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Greta Thunberg und das Schiff
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Greta Thunberg und das Schiff
Greta Thunberg posiert in Plymouth vor der Abfahrt auf der Hochseejacht "Malizia II".
quelle: ap / kirsty wigglesworth
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Wie Greta Thunberg zum Vorbild einer Generation wurde
Video: srf
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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sandlerkönig Eberhard
22.09.2022 21:09registriert Juli 2020
„Vielmehr müssen also wir, die Medien, uns an die imaginäre Nase fassen.
Es ist unsere Aufgabe, über Ereignisse und Krisen zu berichten, sie einzuordnen, in den richtigen Kontext zu stellen – und sie miteinander zu verknüpfen.“

Und wieso steht dann links neben diesem Artikel ein Artikel mit dem Titel „Du willst Influencer werden? Soviele Clicks brauchst Du“.
Da wäre doch wunderbar Platz gewesen für eine Story betreffend Klima-Krise…
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Rethinking
23.09.2022 06:15registriert Oktober 2018
Die Macht der Medien…

Dieses Thema sollte in einrm Artikel vertieft werden…

Hätten wir einen WC-Papier-Run gehabt ohne entsprechende Medienberichte?

Wäre die Bankenkrise dazumal so schlimm geworden ohne die Medienberichte?

Würde die Wirtschaft nächstes Jahr so Bachap grhen ohne die Medienberichte?

Ich behaupte NEIN
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Alnothur
23.09.2022 00:38registriert April 2014
Nachdem sie ihre FFF-Bewegung widerstandslos von Linksextremisten hat kapern lassen, hat sie die ganze Aufmerksamkeit auch nicht mehr verdient.

Es geben längst andere den Ton an im Kampf gegen den Klimawandel, effizientere und konstruktivere Kräfte. Und das ist gut so. FFF hat sich überlebt.
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