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Analyse

Wolodymyr Selenskyj mit Durchhaltewillen und Putin mit Durchhalteparolen

epa10374712 A handout photo made available by the Ukrainian Presidential Press Service shows Ukraine's President Volodymyr Zelensky (C) meeting with Ukrainian servicemen during his visit to Bakhm ...
Bei seinem Besuch in Bachmut nahm Wolodymyr Selenskyj die Flagge entgegen, die er tags darauf dem US-Kongress überreichte.Bild: keystone
Analyse

Selenskyjs Durchhaltewillen und Putins Durchhalteparolen

Der ukrainische und der russische Präsident hatten am Mittwoch einen wichtigen Auftritt. Ihre Ansprachen boten einen vielsagenden Einblick in den Stand des Ukraine-Kriegs.
22.12.2022, 14:1523.12.2022, 15:58
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Es war eine gelungene Überraschung. Wolodymyr Selenskyjs Reise nach Washington – seine erste ins Ausland seit Kriegsbeginn – kam vollkommen unerwartet. Und er blieb nur etwa einen halben Tag. Doch die Symbolkraft der Kurzvisite kann man nicht hoch genug einschätzen. Sie war ein Signal nicht nur an die USA, sondern an die Welt.

Der ukrainische Kriegspräsident verfolgte zwei Ziele. Er wollte sich die weitere Unterstützung des Westens gegen den russischen Aggressor sichern. Denn der Krieg ist trotz bemerkenswerter Erfolge der Ukrainer nicht vorbei. Und zum anderen betonte er den Durchhaltewillen seines unter Raketen- und Drohnenterror leidenden Volkes.

Am selben Tag, nur wenige Stunden zuvor, hatte sich auch Selenskyjs Antipode Wladimir Putin an die Öffentlichkeit gewandt. Allzu oft hatte er sich nach den Niederlagen der letzten Zeit nicht mehr öffentlich geäussert. Nun sprach der russische Präsident an einer vom Fernsehen übertragenen Sitzung des Verteidigungsministeriums in Moskau.

Druck der Trumpisten

Der Kontrast konnte kaum grösser sein. Selenskyjs Auftritte in Washington neben Präsident Joe Biden und seine Rede vor dem Kongress waren ein Ausdruck von Entschlossenheit und Durchhaltevermögen. Putin versuchte, den Kriegsverlauf als Erfolg zu beschreiben. In Wirklichkeit war seine Ansprache geprägt von Ratlosigkeit und Durchhalteparolen.

Für Wolodymyr Selenskyj stand einiges auf dem Spiel. Ab Januar werden die Republikaner eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus haben. Der neue Speaker Kevin McCarthy ist eigentlich ein Befürworter der militärischen und finanziellen Hilfe an die Ukraine. Doch er steht unter Druck der Trumpisten, die die Gelder kürzen oder ganz stoppen wollen.

«Geld ist keine Wohltätigkeit»

Einen entsprechenden «Gruss» an den Besucher aus dem Kriegsgebiet gab es von den Knallchargen Marjorie Taylor Greene und Donald Trump jr. Die Abgeordnete aus Georgia bezeichnete die Ukraine als «51. Bundesstaat» und Selenskyj als «Schattenpräsidenten». Der Sohn des Ex-Präsidenten beschimpfte ihn als «undankbaren Sozialschmarotzer».

Die Antwort des ukrainischen Präsidenten war souverän. «Ihr Geld ist keine Wohltätigkeit, es ist eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie, mit der wir auf höchst verantwortungsvolle Weise umgehen», betonte Selenskyj auf Englisch. «Ukrainischer Mut und amerikanische Entschlossenheit» müssten die Zukunft der Freiheit garantieren.

Besuch an der Front

Vor dem Kongress zog der ehemalige Fernsehkomiker Selenskyj alle Register. Auch Humor durfte nicht fehlen. Hinzu kamen Gesten wie die Übergabe einer von Soldaten unterzeichneten ukrainischen Flagge aus Bachmut. Der Präsident hatte die seit Monaten umkämpfte Frontstadt am Dienstag besucht, einen Tag vor der USA-Reise.

Wladimir Putin war seit Kriegsbeginn im Februar noch nie auf Frontbesuch. Im Kreml glaubte man, der Krieg werde höchstens drei Tage dauern. Inzwischen sind es mehr als 300, und ein Ende ist nicht in Sicht. Mangels Erfolgen auf dem Schlachtfeld haben sich die Russen in letzter Zeit darauf verlegt, die ukrainische Energieversorgung zu attackieren.

«Keine finanziellen Beschränkungen»

Am Montag war Putin erstmals seit drei Jahren nach Belarus gereist. Spekulationen, er wolle Diktatorenfreund Alexander Lukaschenko zu einem Kriegseintritt überreden, hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow schon im Vorfeld zurückgewiesen. Lukaschenko ist zwar vollständig von Moskau abhängig, doch der Krieg ist in seinem Volk höchst unpopulär.

Russian President Vladimir Putin delivers his speech during a meeting with senior military officers in Moscow, Russia, Wednesday, Dec. 21, 2022. (Mikhail Kuravlev/Pool Photo via AP)
Grosse Worte, wenig Konkretes: Wladimir Putin bei seiner Ansprache vor hohen Militärs am Mittwoch.Bild: keystone

Putin reiste mit leeren Händen ab, und in seiner Ansprache am Mittwoch hatte er ebenfalls wenig anzubieten. «Ich bin sicher, dass wir Schritt für Schritt alle unsere Ziele erreichen», behauptete der Kremlchef vollmundig. Für die Aufrüstung der Armee gebe es «keine finanziellen Beschränkungen». Indirekt musste er einräumen, dass vor allem Drohnen einen Schwachpunkt bilden.

Dem Volk Normalität vorgaukeln

Viel mehr als die von Verteidigungsminister Sergej Schoigu angekündigte Aufstockung des Armeebestands auf 1,5 Millionen Mann aber schaute am Ende nicht heraus. Wo die zusätzlichen 350’000 Mann herkommen sollen, ist unklar. Denn eigentlich hatte der Kreml die im September angeordnete Teilmobilmachung für abgeschlossen erklärt.

Gleichzeitig betonte Wladimir Putin, es solle in Russland keine «Kriegswirtschaft» geben, die dem Land schade. Es war ein offensichtlicher Versuch, dem russischen Volk Normalität vorzugaukeln. Dabei hatte Putin selbst mit der Teilmobilmachung den ungeschriebenen Vertrag zerrissen, der in etwa besagt: Ihr lasst uns in Ruhe und wir lassen euch in Ruhe.

Russen haben genug vom Krieg

Seit Kriegsbeginn sollen bis zu einer Million Menschen aus Russland geflüchtet sein. Viele von ihnen sind gut ausgebildet. So sollen rund 100’000 IT-Spezialisten das Land verlassen haben. Der Fachkräftemangel, der durch die Mobilmachung verschärft wird, belastet die russische Wirtschaft neben den Sanktionen, die zunehmend ihre Wirkung entfalten.

People attend the inauguration of a Christmas tree decorated with the colors of the Ukrainian national flag in Kyiv, Ukraine, Monday, Dec. 19, 2022. (AP Photo/Vasilisa Stepanenko)
Ein beleuchteter Christbaum in den Landesfarben in Kiew zeigt, wie die Ukrainer dem Raketenterror trotzen.Bild: keystone

Das schädigt nicht nur die Moral der Soldaten, sondern auch jene der Bevölkerung. Die in Russland nie besonders ausgeprägte Kriegsbegeisterung nimmt ab. Dies zeigen vom Kreml in Auftrag gegebene Umfragen, die an das oppositionelle Newsportal Meduza geleakt wurden. 57 Prozent der Befragten haben demnach genug vom Krieg.

Kaum ein baldiger Angriff

Offiziell wird er weiterhin als «militärische Spezialoperation» bezeichnet. Ob Russland die Kapazitäten für eine Grossoffensive hat, vor der das ukrainische Oberkommando warnt, wird von Experten bezweifelt. Tatsächlich verstärkt die russische Armee primär ihre Verteidigungslinien in den besetzten Gebieten, was nicht für einen baldigen Angriff spricht.

Mangels anderer Optionen versucht Russland, die Ukraine in Kälte und Dunkelheit zu bomben. Das belastet die Menschen stark, doch ihr Durchhaltewillen ist beeindruckend. Wolodymyr Selenskyjs Auftritt in Washington war ein Gradmesser dafür. Er darf auf weitere Unterstützung hoffen. Wladimir Putin hingegen bleiben nur Durchhalteparolen.

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Waffenlieferungen der USA an die Ukraine
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Waffenlieferungen der USA an die Ukraine
250 Haubitzen wie diese hier vom Typ M777 zusammen mit 950'000 Artillerie-Schüssen.
quelle: keystone / evgeniy maloletka
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(Fast) totale Dunkelheit – Stromausfälle in der Ukraine aus dem All sichtbar
Video: watson
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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tokyo
22.12.2022 14:26registriert Juni 2021
wenn Trump und Greene sabbern und geifern, dann macht man alles richtig.
Dass die 2 Putinetten keine Freude haben ist ja wohl klar
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Fairness
22.12.2022 14:25registriert Dezember 2018
Sein Durchhaltevermögen wie auch das seiner Kämpfer und der Ukrainer, die in ihrem Heimatland helfen und versuchen die Infrastruktur einigermassen zu erhalten ist unglaublich und mehr als bewundernswert. Ich bin gar nicht sicher, dass wir das gleich hinkriegen würden.
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rodolofo
22.12.2022 14:48registriert Februar 2016
Selenski und Putin sind Figuren wie aus einem Lehrbuch über "Gut und Böse".
Auf der einen Seite der eiskalt berechnende und skrupellos mit der atomaren Apokalypse drohende Super-Bösewicht mit dem bleichen Pokerface-Haifisch-Gesicht.
Auf der anderen Seite der lebhaft herzliche Mensch und Lebemann, der in seine Herkules-Aufgabe reingestolpert ist und diese jetzt mit Bravour meistert, weil er einfach das Leben und die Menschen liebt!
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