Nach dem Terroranschlag von 9/11 tauchte im Darknet bald eine These auf, wonach nicht Osama bin Laden, sondern der amerikanische Geheimdienst dafür verantwortlich gewesen sei. Ausser ein paar notorischen Verschwörungstheoretikern wie dem amerikanischen Spinner Alex Jones und hierzulande dem angeblichen Friedensforscher Daniele Ganser schenkte diesem Unsinn niemand grosse Beachtung. Zu absurd war die These.
Nach dem Sturm auf das Kapitol von 1/6 tauchen ebenfalls Verschwörungstheorien auf. Diesmal nicht in den dunkelsten Nischen des Darknets, sondern auf Fox News, dem grössten amerikanischen Kabel-Sender. Starmoderator Tucker Carlson hat eine dreiteilige Doku-Serie mit dem Titel «Patriot Purge» verfasst. Sie wird diese Woche ausgestrahlt, vorerst nur im Streamingdienst Fox Nation, für den eine zusätzliche Gebühr von 5,99 Dollar pro Monat entrichtet werden muss.
Der Inhalt von «Patriot Purge» ist bereits in einem Trailer zusammengefasst worden. Er macht glasklar, was die Absicht hinter Tuckers Machwerk ist: Der Sturm aufs Kapitol war eine sogenannte «false flag operation», ein Täuschungsmanöver. Nicht der Trump-Mob war dafür verantwortlich, sondern das FBI, der weitgehend harmlose Patrioten zu Gewalttaten manipuliert hat.
Mit einem wirren Mix aus muslimischen Terroristen, Folterszenen und Militärhelikoptern wird der Eindruck erweckt, die US-Streitkräfte würden nun nach dem Rückzug aus Afghanistan gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, um eine sozialistische Diktatur zu beschützen.
Die QAnon-Anhängerin Ashli Babbitt wird zu einer Märtyrerin empor stilisiert. Sie ist beim Einbruch ins Kapitol von einem Polizisten erschossen worden. Die rund 500 Chaoten, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet wurde, werden als patriotische Helden verklärt. Die paar wenigen, die immer noch in Untersuchungshaft sitzen, als politische Gefangene verehrt.
Schützenhilfe erhält Carlson von zwei bekannten notorischen Demagogen. Der eine ist ein Mann namens Darren Beattie. Er hat einst für Trump gearbeitet, wurde jedoch gefeuert, als bekannt wurde, dass er an einer Konferenz der White Nationalists teilgenommen hat. Der andere heisst Ali Alexander und ist ein bekannter Vertreter der «stop-the-steal»-Kampagne.
Szenenwechsel: Das «Wall Street Journal» hat den Ruf einer konservativen Qualitätszeitung, eine Art «NZZ» der USA. Letzte Woche hat das Blatt einen ausführlichen Leserbrief von Donald Trump veröffentlicht, in der dieser unwidersprochen rund zwei Dutzend Beispiele aufzählen konnte, wie die Wahlen vom 3. November angeblich manipuliert worden seien.
Nach einem Aufschrei bis weit in konservative Kreise sah sich die Redaktion gezwungen, eine an Peinlichkeit kaum zu überbietende Rechtfertigung nachzuschieben. Es sei schwierig, Trump im Zaum zu halten, schrieb das Blatt in einem redaktionellen Kommentar. «Er wirft innerhalb von 30 Sekunden so viele unbelegte Zahlen in den Raum, dass ein Faktenchecker 30 Tage braucht, sie zu widerlegen.» Und überhaupt: Trump erzähle die Big Lie ja überall, deshalb habe ihm das «Wall Street Journal» kaum einen Dienst erwiesen.
Fox News und das «Wall Street Journal» gehören beide zum Medienimperium von Rupert Murdoch. Wer ist dieser Mann?
Murdoch ist inzwischen 90 Jahre alt. Er ist ursprünglich Australier. In «down under» hat er einst die bedeutendsten Zeitungen des Landes von seinem Vater geerbt. Australien war jedoch bald zu klein für den ehrgeizigen Verleger. Er begann in Grossbritannien marode Boulevardblätter wie die «Sun» oder «News of the World» aufzukaufen und verwandelte sie in eine Lizenz, um Geld zu drucken und in konservative Kampfmaschinen.
Die Murdoch-Presse bereitete zunächst das politische Terrain für Margaret Thatcher vor und wurde danach ihr publizistischer Begleitschutz. Gleichzeitig polierte Murdoch sein schmuddeliges Image mit dem Kauf der vornehmen «Times» und der «Sunday Times» auf.
Der Triumph auf der Insel reichte Murdoch nicht. Mit dem gleichen Muster eroberte er die USA. Zuerst kaufte er Boulevardblätter wie die «New York Post». Später kam das renommierte «Wall Street Journal» dazu. Vor allem jedoch wurde Murdoch im TV-Business aktiv. Entgegen allen Unkenrufen führte er die TV-Station Fox zum Erfolg und deren Kabeltochter Fox News zum News-Sender mit der höchsten Einschaltquote.
Inzwischen ist Murdoch auch amerikanischer Bürger geworden und in dritter Ehe mit Jerry Hall, der ehemaligen Frau von Mick Jagger, verheiratet.
Von Beginn weg war Fox News als konservative Alternative zu den linksliberalen Mainstream-Medien gedacht. Diesem Auftrag kamen die Moderatoren mit Vergnügen nach. Obwohl das Fox-Leitmotiv «fair und balanced» (fair und ausgeglichen) lautet, wurde auf alles eingedroschen, was sich nicht am rechten Rand der Republikaner bewegte.
Mit Trump wurde die ohnehin schon rechte Fox-News-Kost noch rechter. Starmoderatoren wie Sean Hannity oder Laura Ingraham wurden zu eigentlichen Speichelleckern, die vor fast gar nichts mehr zurückschreckten. Ihre Interviews mit Trump erinnerten an die Verhältnisse in Nordkorea.
Trumps Niederlage hat zu keiner Mässigung von Fox News geführt. Im Gegenteil. Der Ton ist noch schriller und demagogischer geworden. Allen voran marschiert dabei Tucker Carlson. Er hat mittlerweile den etwas biederen Hannity als Superstar abgelöst – und er kennt keine Grenzen mehr. Immer wieder verbreitet Carlson die ursprünglich von französischen Neofaschisten entwickelte These des «Grossen Austausches», die besagt, dass die weisse christliche Bevölkerung des Westens bald verdrängt wird von nicht-weissen, nicht-christlichen Immigranten.
Carlson beschuldigt Zuwanderer, sie seien «dreckig» und würden Krankheiten in die USA einzuschleppen. Obwohl alle Fox-News-Mitarbeiter geimpft sein müssen, hetzt Carlson immer wieder gegen Impfen und die Gesundheitsbehörden.
Mit «Patriot Purge» hat Carlson nun einen neuen Tiefpunkt erreicht. Selbst Kollegen distanzieren sich von ihm. Der Polit-Analyst Geraldo Rivera beispielsweise erklärte gegenüber der «New York Times»: «Tucker ist wunderbar, er ist provokativ, er ist originell. Aber – Mann, oh Mann. Es gibt Dinge, die sind nicht informativ, sondern nur aufwühlend. Und ich mache mir Sorgen – wahrscheinlich bekommen ich jetzt Ärger –, dass dies hier der Fall ist.»
Der eigentliche Skandal ist dabei nicht Carlsons Demagogie. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass Rupert Murdoch und sein Sohn Lachlan – er ist zumindest auf dem Papier für Fox News zuständig – ihn gewähren lassen.
Beispiele, wie weit rechts Carlson agiert, gibt es genug. Im derzeit stattfindenden Prozess gegen die Organisatoren der Demonstration in Charlottesville hat einer der Angeklagten, ein bekennender Faschist, erklärt, er habe sich mit Carlson-Sendungen auf den Prozess vorbereitet.
An einer konservativen Pro-Trump-Veranstaltung musste kürzlich der Redner einen Zuschauer zurückweisen, der sich erkundigte, wann er endlich Gebrauch von der Schusswaffe machen dürfe.
Die Wahlen in Virginia stehen derweil ganz im Zeichen des von Fox News täglich angefeuerten Kulturkampfes. Konkret geht es dabei um die Frage, ob der Roman «Beloved» von Toni Morrison Schülern im Alter von 17 Jahren zugemutet werden darf. Der Roman schildert die Grausamkeiten der Sklaverei und enthält ein paar deftige Passagen. Am literarischen Wert hingegen besteht kein Zweifel: Morrison hat den Nobelpreis für Literatur erhalten und «Beloved» wurde mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.
Das Beispiel von Virginia macht Schule. So hat ein Abgeordneter in Texas eine Überprüfung aller Bücher verlangt, die an der Highschool zugelassen sind.
Die Republikaner zeigen aber immer offener, dass sie kein Interesse mehr am Erhalt der Demokratie haben. Sie streben unmissverständlich ein autoritäres Regime an im Sinne von Wladimir Putin und Viktor Orban.
Fox News spielt bei diesem Plan eine entscheidende Rolle; und wer sich ansieht, was Carlson & Co. täglich an Hetze und Fake News verbreiten, dem vergeht das Lachen.