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Analyse

Wer hinter der Sprengung des Kachowka-Staudamms stecken könnte

A local resident walks along a flooded street in Kherson, Ukraine, Tuesday, June 6, 2023. The wall of a major dam in a part of southern Ukraine has collapsed, triggering floods, endangering Europe&#03 ...
Eine Anwohnerin bahnt sich ihren Weg durch eine überschwemmte Strasse. Die Wassermengen fluten die ukrainische Stadt Cherson nach der Sprengung des Kachowka-Damms.Bild: keystone
Analyse

Wer hinter der Sprengung des Kachowka-Staudamms stecken könnte

07.06.2023, 21:57
Anne-Kathrin Hamilton / watson.de
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Nach der Explosion des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine werden die Folgen immer sichtbarer: Überflutete Strassen, Häuser und Felder. Menschen fliehen vor den Fluten. Unzählige Fische verenden auf trockenem Boden.

A woman is evacuated from a flooded neighborhood in Kherson, Ukraine, Wednesday, June 7, 2023 after the walls of the Kakhovka dam collapsed. Residents of southern Ukraine braced for a second day of sw ...
Eine Frau wird in Cherson vor den Fluten gerettet.Bild: keystone

Zehntausende Menschen wurden auf der ukrainischen und der von Russland besetzten Seite des Flusses Dnepr in Sicherheit gebracht. Washington warnt vor «womöglich vielen Toten», die UNO sprach von humanitären Folgen für «Hunderttausende Menschen».

Eines sei Fakt: «Die Zerstörung des Kachowka-Staudammes dürfte einen erheblichen Einfluss auf das Kampfgeschehen in der Cherson-Region haben», sagt Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov von der Freien Universität Berlin auf watson-Anfrage. Doch es bleibt weiter unklar, wer hinter der Sprengung steckt.

Ukraine und Russland: Gegenseitige Schuldzuweisungen

Laut Gerasimov bleibt die Lage im Moment «extrem unübersichtlich». Indes löste die Sprengung des Damms auf beiden Seiten der Front wilde Debatten aus: Wer sind die «wahren» Profiteure und wer ist Leidtragender? «Beide Seiten schieben sich die Schuld für die Zerstörung des Staudammes zu und warnen vor massiven Problemen für die eigenen Truppen und Logistik», erklärt der Experte.

Er führt aus:

«Auf der russischen Seite bewerteten etwa verschiedene Kriegsreporter und Feldkommandeure die Zerstörung des Staudammes als eine Katastrophe für russische Truppen in der Region. Das niedrigere Ostufer des Dnjepr, das von Russen kontrolliert wird, wurde am meisten von den Fluten heimgesucht.»

Russische Verteidigungspositionen, Minenfelder und Sperrvorrichtungen, die monatelang an der Dnepr-Küste aufwendig aufgebaut wurden, seien nun in Folge der Überflutung regelrecht weggeschwemmt. Laut Gerasimov sind mittlerweile Aufnahmen aufgetaucht, die zeigen, wie russische Soldaten brusthoch durch das Wasser ihre Verteidigungslinien verlassen.

«Russische Abwehranlagen an der Dnepr-Ostküste bei Cherson existieren somit de facto nicht mehr», betont Gerasimov. Doch auch die ukrainische Seite erleidet schwere Verluste.

Kachowka-Sprengung: Probleme für beide Seiten

Gerasimov betont hier die überfluteten Inseln im Dnepr-Flussbett, die von Ukrainer:innen gehalten werden. «Zahlreiche Aufnahmen kursieren, wie ukrainische Soldaten, von Fluten überrascht, hastig die Inseln verlassen und auf Schnellbooten in Richtung Westufer abziehen – alles unter russischem Artilleriefeuer», erklärt der Konfliktbeobachter.

Vorteilhafte Positionen auf den Inseln, über die die Ukraine ihre Landungsoperationen an der Cherson-Ostküste planten, seien damit auch weg. Gerasimov hebt hervor: «Die lang erwartete ukrainische Gegenoffensive hätte somit einen ihrer wichtigsten Frontabschnitte verloren.»

A Ukrainian soldier fires a mortar at Russian positions on the frontline near Bakhmut, Donetsk region, Ukraine, Monday, May 29, 2023. (AP Photo/Efrem Lukatsky)
Ukrainische Soldaten feuern auf russische Stellungen.Bild: keystone

Zusammengefasst: Die Lage und die Nutzniessenden der Zerstörung des Staudammes sind laut des Experten somit mehr als uneindeutig. Er sagt:

«Das berühmte Motto 'Wem nützt es (mehr)' (Cui bono) kann im Falle des Kachowka-Staudamms eher mit dem Spruch 'Wem schadet es weniger' ersetzt werden. Beide Seiten erleiden massive Probleme.»

Gerasimov stellt klar: Wer auch immer den Staudamm zerstört hat, müsse die Überflutung nicht nur gegnerischer, sondern vor allem auch eigener Positionen hingenommen haben. «Dies macht die Lage umso unübersichtlicher und im Moment schwer zu bewerten», führt er aus. Doch die Folgen sind offensichtlich gravierend – für jede Kriegspartei.

epa10675812 A still image taken from a handout video made available by the telegram account of the President of Ukraine, Volodymyr Zelensky on 06 June 2023 of water running through a breakthrough in t ...
Das Bild aus einem vom ukrainischen Präsidialamt zur Verfügung gestellten Video zeigt den Kachowka-Damm.Bild: keystone

Staudamm-Sprengung gilt als Terrorakt

«Dieses neue Verbrechen in der Südukraine kommt dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe nahe», meint Andreas Umland auf watson-Anfrage. Der Analyst vom «Stockholm Centre for Eastern European Studies» führt aus:

«Der Terrorakt fällt unter ein 1977 in Kraft getretenes Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens von 1949, welches Angriffe unter anderem auf Staudämme aufgrund der hohen Risiken für die Zivilbevölkerung verbietet.»

Laut ihm hat der ehemalige ukrainische Umweltminister und Ökologieexperte Ostap Semerak bereits am 6. Juni 2023 auf die multiplen Folgen des Dammbruchs hingewiesen. Aber schon im November 2022 stand der Kachowka-Staudamm im Fokus, als die russische Armee aus Cherson abzog.

Damals hiess es: Russische Streitkräfte sollen den Staudamm vermint haben, um mit einer Flutwelle eine ukrainische Gegenoffensive in Cherson zu stoppen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betont allerdings, der Vorfall habe keine Auswirkungen auf die Gegenoffensive seines Landes zum Zurückdrängen der russischen Armee.

Allerdings sind die Folgen für Mensch, Tier und Natur unübersehbar. Das zeigen etwa die Aufnahmen von US-Reporter Matthew Luxmoore aus Cherson, die er auf Twitter teilt.

«Zum einen werden Ortschaften, grosse landwirtschaftliche Nutzflächen und etliche Naturschutzgebiete überschwemmt», erklärt Umland. Zum anderen sei mit dem Ablassen des Damms die Wasserversorgung vieler Ortschaften einschliesslich einiger Städte wie Berdjansk sowie der Krim unterbrochen.

Local resident Tetiana holds her pets, Tsatsa and Chunya, as she stands inside her house that was flooded after the Kakhovka dam blew up overnight, in Kherson, Ukraine, Tuesday, June 6, 2023. Ukraine  ...
Eine Einwohnerin Chersons steht kniehoch im Wasser in ihrem Haus in Cherson.Bild: keystone

Mittelfristig ist auch die Wasserversorgung des Kühlsystems des grössten Atomkraftwerks Europas in Saporischschja in Frage gestellt.

Atomkraftwerk Saporischschja könnte Kühlwasser ausgehen

International wächst die Sorge, dass die Kühlung des Atomkraftwerks Saporischschja durch den Dammbruch in Gefahr sein könnte. IAEA-Chef Grossi warnt, in «ein paar Tagen» könne der Pegel des Stausees so niedrig sein, dass das Wasser nicht mehr zum Kraftwerk gepumpt werden könnte.

FILE - Russian troops guard an entrance of the Kakhovka Hydroelectric Station, a run-of-river power plant on the Dnieper River in Kherson region, south Ukraine, on May 20, 2022. According to Russian s ...
Der Dnepr versorgt das Atomkraftwerk Saporischschja mit Kühlwasser.Bild: keystone

Der von Russland eingesetzte Leiter des AKW, Juri Tschernitschuk, erklärt im Onlinedienst Telegram hingegen, «der Wasserstand im Kühlbecken hat sich nicht verändert». Die Folgen für die Agrarwirtschaft hingegen sind bereits jetzt ersichtlich.

Felder könnten nach Staudamm-Zerstörung Wüsten werden

Das ukrainische Agrarministerium rechnet nach ersten Schätzungen mit der Überschwemmung von etwa 10'000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnepr in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet, werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilt das Ministerium auf seiner Webseite mit.

«Darüber hinaus wird die von Menschen verursachte Katastrophe die Wasserversorgung von 31 Feldbewässerungssystemen in den Regionen Dnipropetrowsk, Cherson und Saporischschja zum Erliegen bringen», so das Ministerium. «Die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka wird dazu führen, dass sich die Felder im Süden der Ukraine bereits im nächsten Jahr in Wüsten verwandeln könnten», heisst es weiter.

Auch die Trinkwasserversorgung in besiedelten Gebieten sei betroffen. Zudem erwartet das Agrarministerium nach eigenen Angaben negative Folgen für die Fischerei. Osteuropaexperte Sergej Sumlenny teilt ein Video auf Twitter, das ein Meer an gestrandeten Fischen zeigt.

Konfliktbeobachter Gerasimov ist sich sicher: Was den weiteren Kriegsverlauf angeht, dürfte vieles davon abhängen, wie schnell die Wassermassen nachlassen.

Konfliktexperte Gerasimov wagt Prognose

«Sollte die Überflutung eine Art Dauerzustand annehmen, würden eher die Russen profitieren, weil ukrainische Landungsversuche über den Fluss unter den Umständen schwer vorstellbar sind», meint er. Sinken die Wassermassen hingegen schnell, dürften dagegen die Russen den Kürzeren ziehen, prognostiziert Gerasimov.

Verteidigungslinien und Minenfelder seien innerhalb weniger Tage weggeschwemmt worden, die Logistik kaum noch aufrechtzuerhalten, und zugleich habe der Fluss seinen normalen Zustand erreicht. Einer ukrainischen Landungsoperation an dem Ostufer würde nichts mehr im Wege stehen, sagt der Experte.

(Mit Material der dpa/AFP)

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Ukraine Dammbruch: So werden Mensch und Tier gerettet
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86 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Opossum2
07.06.2023 22:48registriert Januar 2022
Die Strategie "Wem nützt es mehr", um die Urheberschaft zu ermitteln, bringt in diesem Krieg nichts. Die Russen handeln irrational, der Krieg bringt ihnen objektiv gesehen ausser viel Schaden nichts. Es geht hier primär um die Egos einiger wichtiger Leute in Russland, die durch diese Barbarei gestreichelt werden, nicht darum, ob Russland in irgendeiner Form profitiert.
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AlfredoGermont
07.06.2023 23:06registriert März 2022
Können Sie sich noch erinnern wie sie sich am 11.September 2001 gefühlt haben? Wir erleben derartigen Terrorismus heute wieder in der Ukraine, verbrochen von einem Mitglied des Uno Sicherheitsrats.
Damals waren wir nicht neutral und wir sollten es auch heute nicht sein.
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Bob Dalyn
07.06.2023 22:41registriert März 2017
Schon Stalin huldigte der Strategie "Der verbrannten Erde". Schlächter Stalin liess 1941 alle Siedlungen im Hinterland der deutschen Truppen vollständig zerstören und niederbrennen.
Putin ist diese Kriegsführung bestens bekannt. Er wird den Kollateralschaden der die eigene Bevölkerung betrifft ohne jegliche Bedenken hinnehmen. Putin darf getrost mit Stalin auf eine Stufe gestellt werden.
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