Den Hearings zur Aufklärung der Ereignisse rund um den Sturm auf das Kapitol wurde im Vorfeld wenig Kredit eingeräumt. Es werde eine reine Politshow werden und niemanden zum Umdenken bewegen, wurde bemäkelt. David Brooks, der renommierte Kolumnist der «New York Times», erklärte sie gar für gescheitert, bevor sie begonnen hatten.
So kann man sich irren. Die Einschaltquoten der Live-Sendungen liegen deutlich über den Erwartungen. Der Sender Fox News, welcher das erste Hearing nicht live übertrug, hat sich nun ebenfalls dazugeschaltet. Sein Star-Moderator Tucker Carlson versucht derweil verzweifelt, die Ergebnisse ins Lächerliche zu ziehen.
Vor allem beginnen die Amerikanerinnen und Amerikaner, die Ereignisse vom 6. Januar 2021 in einem neuen Licht zu sehen. Nur noch eine Minderheit glaubt, es habe sich dabei um eine ausser Kontrolle geratenen Demonstration von grundsätzlich friedlichen «Patrioten» gehandelt.
Die Mehrheit hat nun erkannt, dass es sich tatsächlich um einen versuchten Staatsstreich handelte, der nur knapp gescheitert ist. In einer jüngst veröffentlichten repräsentativen Umfrage der TV-Station ABC sprechen sich inzwischen 58 Prozent dafür aus, dass Donald Trump für seine Rolle zur Verantwortung gezogen werden muss. Bisher lag diese Marke unter 50 Prozent. Selbst 20 Prozent der Republikaner teilen diese Ansicht. Vor den Hearings waren es bloss die Hälfte.
Das hat selbst Trump aufgeschreckt. Neuerdings spricht er davon, dass es ein Fehler war, dass Kevin McCarthy, der Führer der republikanischen Minderheit im Abgeordnetenhaus, die Vertreter der Grand Old Party aus dem Ausschuss zurückbeordert hat. Mit Liz Cheney und Adam Kinzinger sind bloss zwei abtrünnige Republikaner in diesem Gremium vertreten.
Dieser Fehlentscheid hat Folgen. Anstatt eines chaotischen Streits mit Rede und Widerrede kann der Ausschuss seine Ergebnisse ungestört vortragen, wirkungsvoll untermalt mit Videoclips von Zeugenaussagen und Live-Zeugen. Da die meisten dieser Zeugen aus dem engsten Kreis der ehemaligen Trump-Truppe im Weissen Haus stammen – der Justizminister, die Tochter, der Wahlkampf-Manager, der Berater –, könnten sie auch als voreingenommene Politclowns abgetan werden.
Der Ausschuss hat sich vorgenommen, in sieben Kapiteln die Verbrechen des ehemaligen Präsidenten aufzuzeigen. Konkret geht es dabei um Folgendes:
Trump hat gezielt falsche Informationen über eine Wahl verbreitet, die er verloren hat. Er wollte mit einem neuen, ihm hörigen Justizminister die Arbeit des Justizministeriums beeinflussen. Er wollte seinen Vize-Präsidenten Mike Pence dazu bewegen, auf illegale Weise die Zertifizierung der Elektorenstimmen zu verhindern.
Ebenso versuchte Trump, einzelne Staatssekretäre dazu zu überreden, ihm fehlende Stimmen zu «finden». Seine Anwälte haben Republikaner in den Swing States dazu angehalten, ungültige Listen von Elektorenstimmen zu verfassen. Schliesslich hat er seine Anhänger dazu aufgerufen, am 6. Januar nach Washington zu kommen, um den Kongress unter Druck zu setzen. «Es wird wild werden», tweetete er im Vorfeld.
Liz Cheney ist Vize-Präsidentin des Ausschusses und gelernte Juristin. Sie hat bereits mehrmals erklärt, dass Trump sich damit in doppelter Weise strafbar gemacht habe. Er habe eine friedfertige Machtübergabe sabotiert und die Justiz behindert. Für Cheney steht damit fest: «Trump hat den Mob gerufen, er hat ihn zusammengestellt und er hat die Flamme für die Attacke entzündet.»
Die Ansicht, dass Trump gegen das Gesetz verstossen hat, wird von David Carter, einem hohen Bundesrichter in Kalifornien, geteilt. Dieser musste darüber urteilen, ob John Eastman, ein Trump-höriger Verfassungsjurist, sich weigern durfte, vor dem Ausschuss auszusagen. Dabei musste Richter Carter tonnenweise Akten einsehen und kam zum Schluss, dass der Ex-Präsident «mit grösster Wahrscheinlichkeit» kriminell gehandelt habe.
Warum wird also nicht längst ein Strafverfahren gegen Trump eingeleitet? Der Ausschuss ist dazu nicht befugt. Er kann einzig aufzeigen, was geschehen ist und politische Konsequenzen daraus empfehlen. Juristisch ist er nicht zuständig. Das ist die Sache von Justizminister Merrick Garland.
Besagter Garland hat zwar hoch und heilig versprochen, alle Verbrechen, die rund um den 6. Januar begangen worden sind, aufzudecken und zu bestrafen, unabhängig davon, wie weit nach oben seine Ermittlungen ihn führen würden. Bisher hat das Justizministerium jedoch erst rund 800 Verfahren durchgeführt, die überwiegende Mehrheit davon gegen kleine Fische, die mit einer milden Strafe davonkommen.
Das scheint sich jedoch zu ändern. So wurde in den letzten Wochen bekannt, dass das Justizdepartement Strafverfahren gegen führende Mitglieder der beiden Milizen Proud Boys und Oath Keepers eingeleitet hat. Die Anklage lautet dabei auf «aufrührerische Verschwörung», dem schlimmsten politischen Verbrechen in Friedenszeiten. Das Delikt «Verrat» kann nur in Kriegszeiten begangen werden.
Ebenso hat das Justizdepartement in den letzten Tagen den Ausschuss gebeten, ihm sämtliche Transkriptionen der Zeugenaussagen zur Verfügung zu stellen.
Will Garland Trump anklagen, muss er jedoch drei gewichtige Hürden überspringen. Der Harvard-Jurist Jack Goldsmith zählt sie in einem Gastkommentar in der «New York Times» auf:
Noch ist unklar, wie Garland vorgehen wird. Es wird der schwerste Entscheid seines Lebens sein, nicht nur für ihn persönlich, sondern für die USA und möglicherweise gar für die ganze Welt. Nicht weniger als die Zukunft der amerikanischen Demokratie steht auf dem Spiel.
Das ist keine akademische Spielerei. Michael Luttig, der wohl einflussreichste konservative Jurist Amerikas der letzten Jahrzehnte, erklärte in seiner Zeugenaussage am vergangenen Donnerstag unmissverständlich: «Trump ist und bleibt eine offensichtliche und präsente Gefahr (clear and present danger) für die Nation.»