Chuck Schumer, der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, will heute eine Abstimmung durchführen lassen, von der er weiss, dass er sie verlieren wird. Die 100 Senatorinnen und Senatoren müssen darüber entscheiden, ob sie über ein neues Wahlgesetz diskutieren wollen oder nicht.
Der Ausgang dieser Abstimmung steht bereits fest. Mitch McConnell, der Senatsführer der Republikaner, hat erklärt, dass seine Fraktion geschlossen dagegen stimmen werde. Wegen des Filibusters – ein Gesetz, das verlangt, dass im Senat 60 Stimmen benötigt werden, um eine Vorlage durchzubringen – ist die Niederlage der Demokraten somit vorprogrammiert. Sie kommen im besten Fall auf 50 Stimmen. Was soll also das Ganze? Und worum geht es überhaupt?
Die Vereinigten Staaten rühmen sich zwar, die Mutter der Demokratie zu sein. Historisch gesehen trifft dies zu, doch aktuell hat diese Mutter eine ganze Reihe von Altersgebrechen.
Grundsätzlich hat jede Amerikanerin und jeder Amerikaner, der älter als 18 Jahre ist und weder im Gefängnis sitzt noch vorbestraft ist, das Recht zu wählen. Anders als in der Schweiz, wo die Stimmbürgerinnen ihren Wahlzettel automatisch nach Hause geliefert bekommen, müssen sich die Amerikaner jedoch dafür registrieren lassen.
«Die USA haben eine lange Geschichte, wenn es darum geht, die Registrierung von Stimmbürgern zu verhindern», stellt Jared Diamond in seinem Buch «Upheaval» fest. Davon betroffen sind vor allem die Schwarzen. Das begann bereits nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865. Die befreiten Sklaven erhielten zwar das Stimmrecht und machten davon ausgiebig Gebrauch. Mit roher Gewalt machten sich rassistische Bewegungen wie der KuKluxKlan daran, sie wieder von der Urne fernzuhalten. Diskriminierende Gesetze, die sogenannte «Jim Crow laws» machten es den Schwarzen zudem fast unmöglich, sich registrieren zu lassen.
Bis weit in die 1950-er Jahre waren die USA de facto ein Apartheid-Staat, zumindest im Dixieland. Das änderte sich mit der von Martin Luther King Jr. angeführten Bürgerrechtsbewegung. 1965 wurde der Voting Rights Act vom Kongress verabschiedet und von Präsident Lyndon Johnson unterzeichnet. Damit entfielen die absurden Behinderungen bei der Registrierung.
Das Resultat war durchschlagend. «Die Wähler-Registrierung von Afroamerikanern sprang in den Südstaaten von 31 auf 73 Prozent, und auf die ganze Nation gesehen nahm die Anzahl von gewählten schwarzen Vertretern von 500 auf 10’000 zu», stellt Diamond fest.
2013 hob der Supreme Court die Aufsicht Washingtons über die Wahlbestimmungen der einzelnen Bundesstaaten auf. Sofort begannen vor allem die konservativ regierten unter ihnen, neue Schikanen aufzustellen. 2010 hatte der Supreme Court bereits ein Gesetz mit dem Titel «Citizens United» genehmigt. Es erlaubt Superreichen wie den Koch-Brüdern, grenzenlos Geld in den Wahlkampf zu pumpen.
Schliesslich sei auch noch das Gerrymandering erwähnt. Darunter versteht man das Phänomen, dass die Bundesstaaten ihre Wahlbezirke selbstständig einteilen können. Auch davon haben vor allem die konservativen reichlich Gebrauch gemacht. Typisches Beispiel ist etwa Wisconsin. Dort haben die Demokraten bei den letzten Wahlen eine deutliche Mehrheit errungen. Trotzdem besitzen die Republikaner im Parlament die Mehrheit.
Die Niederlage von Donald Trump hat zu einem neuen Schub von diskriminierenden Wahlgesetzen geführt. Gemäss dem Voting Rights Lab, einer Organisation, die diese Entwicklungen verfolgt, sind es in 18 Bundesstaaten mehr als 30. Inzwischen ist offensichtlich, dass die Republikaner alles daran setzen, People of Color von den Urnen fernzuhalten, weiterhin grosse Mengen von «dark money» – Geld von superreichen Mäzenen – zuzulassen, genauso wie eine willkürliche Einteilung der Wahlkreise.
Mit anderen Worten: Weil sie erkannt haben, dass sie ihre Macht verlieren, wenn sie sich an die demokratischen Spielregeln halten, sind die Republikaner gewillt, die Demokratie selbst zu opfern.
Die Demokraten ihrerseits sind nicht gewillt, das Feld kampflos den Republikanern zu überlassen. Das von ihnen beherrschte Abgeordnetenhaus hat bereits ein Gesetz verabschiedet, das auf nationaler Ebene erneut Regeln festlegt, welche von den einzelnen Bundesstaaten eingehalten werden müssen. Dieses Gesetz trägt den Titel «For the People Act» und liegt nun beim Senat.
Wegen des Filibusters braucht dieses Gesetz eine Mehrheit von 60 Stimmen. Das ist illusorisch. Die Demokraten könnten zwar grundsätzlich den Filibuster mit einer einfachen Mehrheit aufheben. Dagegen wehren sich jedoch zwei der ihren, die Senatorin Kyrsten Sinema und Senator Joe Manchin. Die beiden wollen zu jedem Preis am Filibuster festhalten.
Manchin hat jedoch einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der Konzessionen an die Republikaner macht. Vor allem sieht dieser Vorschlag eine obligatorische Identitätsprüfung vor, etwas, das die Progressiven bisher strikte abgelehnt haben. Stacy Abrams, die derzeit einflussreichste Vertreterin der Bürgerrechtsbewegung, hat ihren Segen zum Vorschlag Manchins erteilt.
Trotzdem stellen sich die Republikaner weiterhin entschlossen dagegen. Damit sind sie nicht nur ihrer Scheinheiligkeit entlarvt. Sie riskieren auch, dass Sinema und Manchin sich letztlich in die demokratische Front einreihen und den Filibuster zumindest teilweise zu Fall bringen.
Allein darauf wollen sich die Demokraten nicht verlassen. Zu viel steht auf dem Spiel. Sie setzen auf Bürgerrechtsbewegungen im ganzen Land. Rund 70 davon gibt es, die einflussreichste ist das «Indivisible Project». Dieser Bewegung ist es im Herbst 2017 bereits gelungen, die Abschaffung von Obamacare zu verhindern, indem sie die Senatoren in ihren eigenen Wahlkreisen massiv unter Druck gesetzt hatte.
Wenn die Senator:innen während der Tage um den Nationalfeiertag am 4. Juli in ihre Wahlkreise zurückkehren, wollen sie mit dieser Taktik erneut punkten. Sie haben gute Chancen auf Erfolg. Das neue Wahlgesetz ist äusserst populär, auch bei konservativen Wählern. Gemäss Umfragen wird es von mehr als 70 Prozent der Menschen unterstützt.
Leah Greenberg vom Indivisible Project erklärt deshalb in der «Washington Post», man werde «alle Hebel in Bewegung setzen». Und Stephen Spaulding von der Bewegung «Common Cause» ergänzt, die Abstimmung im Senat sei erst der Anfang, «der erste Schritt in einer konzertierten, den ganzen Sommer dauernden Aktion, die dazu dient, das neue Gesetz über die Ziellinie zu bringen.»
Politik dreht sich sehr oft um Machterhalt um jeden Preis - das zeigt sich auch bei uns immer wieder sehr schön.
Ich würde nicht zu sehr mit dem Finger auf die USA zeigen - die wenig mit einer echten Demokratie zu tun haben (de facto Oligarchie) - bei uns ist es eine Mischung zwischen Oligarchie und Gerontokratie mit demokratischen Elementen.
Wir tun gut daran, zur Zeit auf uns zu schauen...
Manche unsere Parteien und Mitbürger nehmen sich ja sogar die Republikaner und die orange 45 als Vorbild. Nun ist es auch an uns dies nicht unwidersprochen hinzunehmen.