Was geschieht eigentlich, wenn ein amerikanischer Präsident geistig nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszuführen? In diesem Fall kommt der 25. Verfassungszusatz zum Zug. Er besagt, dass das Kabinett dem Kongress in diesem Fall einen Antrag auf Amtsenthebung stellen kann. Stimmen zwei Drittel der Abgeordneten und Senatoren diesem Antrag zu, dann war's das für den Präsidenten.
Dieser Verfassungszusatz ist in der Folge des Attentats auf John F. Kennedy entstanden. Es bestand damals die Befürchtung, der Präsident könnte als «Gemüse» weiterleben, will heissen, noch lange in einem Koma dahindämmern, ohne sein Bewusstsein wiederzuerlangen. Kennedy starb jedoch kurz nach dem Attentat.
Der 25. Verfassungszusatz ist noch nie zur Anwendung gekommen. Als sich bei Ronald Reagan gegen Ende seiner Amtszeit die Anzeichen von Alzheimer mehrten, dachte sein Kabinett zwar ernsthaft darüber nach, verwarf die Idee jedoch wieder. Wegen seines unberechenbaren und irrationalen Verhaltens wurde auch bei Donald Trump immer wieder mal auf diesen Verfassungszusatz verwiesen. Ebenfalls erfolglos.
Nun aber könnte sich die Frage der geistigen Verfassung des Präsidenten erneut stellen. Grund dafür ist der 345-seitige Abschlussbericht von Robert Hur. Dieser hatte als Sonderermittler die Aufgabe, abzuklären, ob die bei Präsident Biden gefundenen, klassifizierten Dokumente den Bestandteil einer Straftat erfüllen oder nicht. Das Resultat ist zwiespältig für Biden: Juristisch wird er freigesprochen, politisch in den Rücken geschossen.
Hur wurde eingesetzt, nachdem auch in der Garage von Bidens Haus im Bundesstaat Delaware und in einer Universität in Washington Dokumente aufgetaucht waren, die eigentlich ins nationale Archiv gehören. Zuvor hatte das FBI bei einer Untersuchung von Mar-a-Lago, Trumps Residenz in Florida, massenhaft teils als «top secret» deklarierte Dokumente gefunden, die der Ex-Präsident dort widerrechtlich aufbewahrt hatte. Daraufhin hat Justizminister Merrick Garland den Sonderermittler Jack Smith eingesetzt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Smith hat inzwischen Klage gegen Trump eingereicht. Der Prozess sollte noch in diesem Sommer über die Bühne gehen.
Um den Eindruck einer Zweiklassen-Justiz zu vermeiden, setzte der Justizminister auch bei Biden einen Sonderermittler ein, und um jeden Eindruck von Befangenheit im Keim zu ersticken, wählte er mit Robert Hur einen konservativen Hardliner aus. Dieser hat nun ebenfalls seinen lange erwarteten Schlussbericht veröffentlicht – und damit auf seine Art einen Politskandal ausgelöst.
Hur kommt zum Fazit, dass Biden keine strafrechtlich relevanten Verfehlungen begangen hat. Anders als Trump habe er auch nie versucht zu verhindern, dass die Dokumente ins nationale Archiv überwiesen werden. Die nüchterne Feststellung dieses Tatbestandes hätte eigentlich gereicht. Doch der Sonderermittler fügte eine fiese Begründung an. Er stellte nämlich fest, Biden sei ein «netter, alter Herr mit einem schlechten Gedächtnis». Deshalb wäre er niemals von einem Geschworenengericht für schuldig befunden worden.
Der Sonderermittler macht daher zum Thema, was allgemein als Bidens Achillesferse gilt, sein Alter. Deshalb beschreibt James Carville, der ehemalige Wahlkampfstratege von Bill Clinton, diesen Rückenschuss im «Wall Street Journal» wie folgt: «Das Schlimmste, das einem Politiker zustossen kann, ist, wenn ein bereits vorhandener Verdacht bestätigt wird. Geschieht dies, dann sagen die Menschen: ‹Siehst du, Martha, ich habe es dir schon immer gesagt›.»
Dass Biden nicht mehr der Jüngste ist, lässt sich weiss Gott nicht bestreiten. Er selbst macht sich darüber lustig. Immer wieder mal verwechselt er Namen – gerade kürzlich Mitterrand mit Macron oder Kohl mit Merkel – und seinen Gang kann man auch nicht wirklich als jugendlich-federnd bezeichnen. Doch sein Rivale Trump ist nur wenig jünger, und dessen Aussetzer sind ebenso häufig, ganz abgesehen vom wirren Zeug über Windräder und WC-Spülungen, das er jeweils während seinen Reden absondert.
Trotzdem bezeichnen bloss rund 25 Prozent der Amerikaner Trumps Alter als ein Problem. Bei Biden sind es mehr als 70 Prozent. Auch eine Mehrheit der Demokraten ist der Meinung, er sei zu alt. Für ihn gilt offenbar nicht, was jeder Fussballtrainer predigt: Das Alter spiele keine Rolle, einzig die Leistung zähle. Dabei ist Bidens Leistung unbestritten. Er ist der erfolgreichste US-Präsident der Nachkriegszeit.
Biden und die Demokraten sind zu Recht empört über das hinterhältige Verhalten des Sonderermittlers Hur. Sie vergleichen es mit dem Verhalten des ehemaligen FBI-Direktors James Comey. Dieser hatte ebenfalls kurz vor den Wahlen Hillary Clinton wegen ihrer E-Mails freigesprochen, aber sie gleichzeitig in einer Pressekonferenz als unverantwortliche Person dargestellt. Nicht wenige machen Comey gar für Clintons Niederlage verantwortlich.
Schwer unter die Gürtellinie schlägt Hur auch mit der Feststellung, Biden könne sich nicht einmal mehr an den Todestag seines Sohnes Beau – er starb an einem Gehirntumor – erinnern. «Wie zum Teufel kann er dieses Thema überhaupt anschneiden», erklärte ein sichtlich aufgebrachter Biden an der Pressekonferenz.
Wie gross der politische Schaden von Hurs Attacke sein wird, ist schwer abzuschätzen. Konservativen Medien wie Fox News stürzen sich darauf und werden das Thema nun in einer Endlos-Schleife bewirtschaften. Das dürfte die Republikaner nicht weiter kümmern. Bidens angebliche, geistige Schwäche füllt schon seit Jahren rund die Hälfte der Sendezeit von Sean Hannity & Co.
Spannender wird sein, wie die Demokraten auf den Rückenschuss reagieren werden. Diesbezüglich gibt es ebenfalls wilde Theorien, etwa diejenige, die besagt, dass Biden gar nicht antreten werde, sondern seine Kandidatur nur angemeldet habe, um eine parteiinterne Schlammschlacht zu verhindern. Er werde im letzten Moment zurücktreten und so dem Parteikonvent eine alternative Wahl ermöglichen. Als Favoriten werden dabei Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan, und Gavin Newsom, Gouverneur aus Kalifornien, gehandelt.
Eine Siegerin kennt das Manöver von Sonderermittler Hur bereits, Nikki Haley. Trumps letzte Rivalin erklärte denn auch postwendend: «Joe Biden und Donald Trump haben vieles gemeinsam. Keiner der beiden ist noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, und beide gehen verantwortungslos mit amerikanischen Geheimpapieren um.»
Äh, was? In 3 Jahren Amtszeit erfolgreicher als Eisenhower, Clinton oder Obama in 8?
In welcher Hinsicht „erfolgreich“? Diesen Satz müsste der Autor zwingend begründen.