Der Job des Anwalts des Weissen Hauses besteht darin, den Präsidenten aus juristischen Schwierigkeiten herauszuhalten. Pat Cipollene hatte diesen Job, und er gab sich redlich Mühe, ihn auch in diesem Sinne zu erfüllen. So hat er unter anderem Donald Trump im ersten Impeachment-Verfahren verteidigt.
Nun aber steht Cipollone noch vor einer weit heikleren Aufgabe. Heute muss er als Zeuge vor dem Ausschuss zur Abklärung der Ereignisse um den 6. Januar aussagen. Mitte April ist er bereits einmal vor diesem Gremium erschienen, doch informell und ohne Videoaufnahmen. Diesmal gilt es ernst. Cipollone muss zwar nicht unter Eid aussagen, doch das ist ein technisches Detail. Wer den Kongress anlügt, macht sich strafbar. Und Cipollone kann sich weder auf das Anwaltsgeheimnis noch auf ein «executive privilege» berufen, denn der Anwalt des Weissen Hauses ist nicht dem Präsidenten unterstellt, sondern der Institution. Ein Unterschied übrigens, den Trump nie begriffen hat.
Cipollone ist ein Mann, der jeweils im Zimmer war, wenn die wichtigen Entscheide gefällt wurden. Deshalb sind seine Aussagen von grösster Bedeutung. Das musste seinerzeit auch Richard Nixon in der Watergate-Affäre erfahren. Der damalige Anwalt des Weissen Hauses, John Dean, hat Nixon mit seinem Auftreten vor dem Kongress zu Fall gebracht.
Cassidy Hutchinson, die Assistentin des ehemaligen Stabschefs Mark Meadows, hat Cipollone mit ihren spektakulären Zeugenaussagen keine Wahl mehr gelassen, als vor dem Ausschuss zu erscheinen. So hat Hutchinson unter anderem erklärt, Cipollene habe sie am 6. Januar geradezu angefleht, Trump daran zu hindern, sich mit dem Mob zum Kapitol zu begeben, weil sie dann «eines jeden nur möglichen Verbrechens» angeklagt würden.
Ebenso will sie gehört haben, wie Cipollone den Stabschef beschworen hat: «Mark, wir müssen etwas unternehmen. Die wollen tatsächlich den Vizepräsidenten aufhängen.» Als Meadows gelangweilt antwortete, dem Präsidenten sei dies egal, soll Cipollone verzweifelt ausgerufen haben: «Das ist f…ing verrückt.»
Die «Washington Post» hat die Punkte, zu denen Cipollone Auskunft geben kann, aufgelistet. Hier die wichtigsten:
Die Antworten Cipollones auf diese Fragen könnten eine Strafuntersuchung gegen Trump auslösen. Sollte der ehemalige Anwalt des Weissen Hauses gar aussagen, dass Trump den Mob in vollem Bewusstsein der Wirkung zum Sturm auf das Kapitol aufhetzte, dann muss Justizminister Merrick Garland handeln.
Dabei befindet sich Trump ohnehin schon in gröberen Schwierigkeiten. Die bisherigen Hearings haben aufgezeigt, dass er weit stärker in den Sturm auf das Kapitol verwickelt war als bisher angenommen. Vor allem die Aussagen von Cassidy Hutchinson waren explosiv.
Die Hearings zeigen auch Wirkung. Sie werden von den Amerikanerinnen und Amerikanern verfolgt, und nur noch die eingefleischten Trump-Fans tun sie als Fake News ab.
Der Rücktritt des britischen Premierministers schlägt ebenfalls auf den Ex-Präsidenten zurück, schliesslich wurde Boris Johnson immer und immer wieder als britische Antwort auf Donald Trump bezeichnet. Hämische Kommentare in den US-Medien gibt es daher zuhauf. Stellvertretend hier Michelle Goldberg in der «New York Times»: «Johnsons Karriere endet, zumindest vorläufig, so wie auch die Karriere von Trump hätte enden sollen – mit öffentlicher Abscheu und damit, dass ihn die eigene Partei vertrieben hat.»
Die Grand Old Party ist zwar noch weit davon entfernt, sich von Trump zu distanzieren. Trotzdem lauert die grösste Gefahr für ihn in den eigenen Reihen. Mit Ron DeSantis haben die Republikaner mittlerweile jemanden gefunden, der Trump ersetzen kann. Der Gouverneur aus Florida ist gleich fies wie der Ex-Präsident, doch weit disziplinierter und deutlich smarter.
Im «New Yorker» wurde DeSantis kürzlich wie folgt beschrieben: «Während Trump eine faule Person ohne Seriosität ist, verfügt DeSantis über eine intensive Arbeitsethik, eine formidable Intelligenz und ein feines Gespür für Politik. Er kann sich gut ausdrücken und hat eine rasche Auffassungsgabe. Deshalb wird er gelegentlich auch als Trump mit einem Gehirn bezeichnet.»
Gerüchteweise sollen sich bereits entscheidende Power Brokers wie etwa der Verleger Rupert Murdoch hinter den Kulissen für DeSantis als nächsten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ausgesprochen haben. Die Demontage des Ex-Präsidenten kommt ihnen deshalb gelegen.
Diese Demontage geht weiter. Bereits am nächsten Dienstag wird das nächste Hearing über die Bühne gehen. Dabei wird es um die Rolle der Proud Boys und der Oath Keepers und eine mögliche Absprache mit dem Trump-Lager gehen.
Das grosse Finale könnte schon am nächsten Donnerstag stattfinden. Dann soll das finale Hearing durchgeführt werden – und zwar zur besten Sendezeit. Vielleicht werden wir dann auch erfahren, was Pat Cipollone vor dem Ausschuss ausgesagt hat.