Warum Joe Biden sich Sorgen um die amerikanische Demokratie macht
In seinem vor rund zwei Jahren erschienen Buch «Upheaval» fasst der Anthropologe Jared Diamond («Collaps», «Guns Germs & Steel») die blutige Machtübernahme von General Pinochet in Chile zusammen. Bis zu diesem äusserst brutalen Staatsstreich galt Chile als Südamerikas Muster-Demokratie. Deshalb stellt Diamond folgende Frage:
Es könnte. Obwohl Donald Trump in seinem Exil in Mar-a-Lago schmollt, ist die Gefahr einer Diktatur keineswegs gebannt. Im Gegenteil, sie nimmt laufend zu. Dazu einige Beispiele:
- Der ehemalige Sicherheitsberater Michael Flynn hat kürzlich an einer Veranstaltung auf die Frage, ob er sich das, was in Myanmar geschehen sei, auch in den USA vorstellen könne, geantwortet: «Sicher. Es sollte sogar auch hier geschehen.» Mit anderen Worten: Der ehemalige Sicherheitsberater des Präsidenten – eines der drei wichtigsten Ämter in der US-Regierung – hat sich offen für einen Militärputsch ausgesprochen.
- Marjorie Taylor Greene und Matt Gaetz, zwei Abgeordnete der Grand Old Party (GOP), befinden sich derzeit auf einer Trump-Unterstützungs-Tournee. Gaetz erklärt dabei, der zweite Zusatz der amerikanischen Verfassung, der den Besitz von Waffen erlaubt, sei keineswegs nur für Jäger und Hobbyschützen gedacht. Er könne auch in einem Aufstand gegen die Regierung angewandt werden.
- In der Diskussion um eine Untersuchungskommission für den Sturm aufs Kapitol erklärten republikanische Abgeordnete, ohne rot zu werden, es habe sich dabei um harmlose Touristen gehandelt. Im Senat haben die Republikaner die Bildung einer solchen Kommission mittels eines Filibusters verhindert.
- 14 Prozent aller Amerikanerinnen und Amerikaner glauben an die Verschwörungstheorien von QAnon.
- Die überwiegende Mehrheit der GOP-Mitglieder glaubt an die «Big Lie», die Lüge, wonach Trump die Wahlen gewonnen habe.
Okay, wird man einwenden, Flynn, Taylor Greene und Gaetz sind durchgeknallte Fanatiker. Einen Sockel von Spinnern, die an absurde Verschwörungstheorien glauben, gibt es immer; und die Republikaner werden früher oder später auch wieder in die Spur finden. Kein Grund also, in Hysterie zu verfallen, schliesslich haben die USA in ihrer Geschichte immer wieder grosse Krisen ihrer Demokratie (Bürgerkrieg, Ku-Klux-Klan, McCarthy) erfolgreich überwunden.
Und trotzdem: Einer, der sich ernsthaft Sorgen macht, ist der Präsident persönlich. In seiner Ansprache am Memorial Day erklärte Joe Biden:
US-Präsidenten pflegen im Ausland gerne über die Vorteile der Demokratie zu dozieren. Wenn Biden nun jedoch vor dem Zerfall im eigenen Land warnt, ist dies mehr als aussergewöhnlich, zumal der Präsident nicht nur militante weisse Rassisten im Auge hat, sondern auch das Verhalten der GOP.
In vielen von ihnen beherrschten Bundesstaaten haben die Republikaner die Wahlgesetze zulasten der Schwarzen und Hispanics verschärft. In Texas ist es deswegen am vergangenen Wochenende zu einem Eklat gekommen. Die demokratischen Abgeordneten haben das Parlament geschlossen verlassen und so die Abstimmung über ein drastisch verschärftes Wahlgesetz verhindert.
Mit diesem Manöver konnten die Demokraten das Gesetz jedoch nur kurzfristig verhindern. Gouverneur Greg Abbott hat bereits angekündigt, dieses Gesetz in einer Sondersession verabschieden zu lassen, möglicherweise gar noch in einer verschärften Form.
Der Protest der Demokraten hat jedoch bewirkt, dass die Wahlgesetz-Reform definitiv zu einem nationalen Thema geworden ist. Der demokratische Abgeordnete Trey Martinez erklärt denn auch:
Eine solche Antwort gibt es bereits, ein Gesetz mit dem Titel «For the People Act». Dieses Gesetz würde die massiven Einschränkungen der bundesstaatlichen Gesetzgebung aufheben und dafür sorgen, dass freie Wahlen für alle mehr als ein Schlagwort ist.
Dieses Gesetz ist im Abgeordnetenhaus bereits verabschiedet worden, selbstverständlich gegen die Stimmen der Republikaner. Präsident Biden hat die Senatoren schon mehrmals aufgerufen, dem Beispiel der Abgeordneten zu folgen. Das würden die Demokraten auch gerne tun, gäbe es da nicht den Filibuster. Er verlangt, dass nicht die Mehrheit von 51 Stimmen ausreicht, um eine Gesetzesvorlage rechtsgültig zu machen, sondern dass dafür 60 Stimmen notwendig sind.
Grundsätzlich könnten die Demokraten auch den Filibuster mit einem einfachen Mehr aushebeln. Dagegen wehren sich jedoch zwei demokratische Senatoren, Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Die Vorfälle in Texas haben jedoch den Druck auf die beiden nochmals massiv erhöht. So erklärt der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer nun:
Tatsächlich ist der Kampf gegen die Einschränkungen des Wahlrechts zu einem Kampf für die Demokratie geworden. Um nochmals Jared Diamond zu zitieren:
