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Baltikum

Estland rüstet wegen Russland auf und setzt auf kleine Start-ups

epa12440288 A handout photo made available by press service of the 65th Separate Mechanised Brigade of Ukrainian Armed Forces shows the interceptor drone launched by an air defense crew from their pos ...
Drohnen sind billig und effektiv – deshalb werden sie in der Kriegsführung immer wichtiger.Bild: keystone

Estlands Verteidigung gegen Russland: Selbstgebaute Mini-Raketen statt teure Importe

Wie ein winziger Raketenentwurf die Luftabwehr verändern könnte und warum Estland gerade jetzt aufs Tempo drückt.
14.10.2025, 08:4614.10.2025, 12:33
Anna Von Stefenelli / watson.de

Russische Kampfjets über der Ostsee, Cyberangriffe auf Ministerien, Störsignale im GPS: Für Estland und seine baltischen Nachbarn ist die Bedrohung aus dem Osten längst Alltag. Seit Jahren testet Russland an der Nato-Ostflanke die Reaktionen des Westens: mal mit Spionageflügen, mal mit gezielten Provokationen im Luftraum.

Estland hat zudem aus seiner Geschichte eine tiefe Sensibilität gegenüber russischen Bedrohungen entwickelt. Deshalb will das Land seine Verteidigungsausgaben deutlich erhöhen. Wirtschaftsminister Erkki Keldo sagte kürzlich: «Wenn wir vorbereitet und nicht ängstlich sind, wird uns nichts passieren.»

Zudem setzt das Land auf Eigeninitiative. Statt auf schwere Abwehrsysteme aus dem Ausland zu warten, entwickeln junge Firmen eigene Lösungen, die zur neuen Art der Bedrohung passen: Diese sind klein, billig und vor allem massenhaft produzierbar. Eine davon könnte die Luftverteidigung grundlegend verändern.

Russland provoziert die baltischen Staaten und die Nato erneut

Denn die Vorfälle häufen sich. Estland selbst wurde zuletzt direkt herausgefordert: Am Freitag tauchten bewaffnete russische Soldaten in Grenznähe auf, im sogenannten Saatse-Stiefel. Das ist ein schmaler russischer Gebietsstreifen, der in estnisches Territorium hineinragt.

Two Russian Army soldiers patrol an area in the center of the Russia-controlled city of Kurakhove, Donetsk region, Ukraine, Saturday, Sept. 27, 2025. (AP Photo)
Russia Ukraine
Russische Soldaten in Donetsk.Bild: keystone

Die Behörden sperrten vorsorglich eine Strasse, um «mögliche Provokationen und Vorfälle zu verhindern». Innenminister Igor Taro sagte anschliessend: «Neu ist, dass sie mitten auf der Strasse standen – das ist bisher noch nie passiert.»

Aussenminister Margus Tsahkna rechnet mit weiteren Provokationen. «Es geht nicht um Estland, sondern darum, die Einheit der Nato zu testen», sagte er der dpa.

Die Idee in der Verteidigung gegen Russland: Mini-Raketen

Als Mitte September Billigdrohnen über Polen flogen, reagierte die Nato mit konventionellen Abfangwaffen. Doch viele moderne Luftabwehrsysteme sind auf teure, hochpräzise Munition ausgelegt. Das Problem: Eine einzelne Iris-T-Rakete kostet laut Bericht mehrere Hunderttausend Euro, eine Angriffs-Drohne nur ein paar Hundert Euro. Dieses Missverhältnis macht konventionelle Reaktionen ineffizient.

Auch deshalb kritisierten Expert:innen die Nato dafür, hier mit teuren «Kanonen auf Spatzen» schiessen zu wollen.

Erst vergangene Woche liess die Royal Air Force zwei Aufklärungsflugzeuge über der gesamten Ostflanke patrouillieren. Zwölf Stunden lang, von Nordnorwegen bis zum Schwarzen Meer. Die britische Luftwaffe erklärte laut, die Mission solle «das Nato-Engagement für kollektive Verteidigung und die Fähigkeit, auf Bedrohungen zu reagieren» unter Beweis stellen.

epa12021195 A Dutch F-35 during the NATO Ramstein Flag 2025 (RAFL25) exercise at Leeuwarden Air Base, the Netherlands, 09 April 2025. Hosted by the Royal Netherlands Air Force (RNLAF), the exercise ta ...
Konventionelle Waffen wie der F-35 sind teuer – und für die Drohnenabwehr ungeeignet.Bild: keystone

In Tallinn arbeitet das Start-up Frankenburg Technologies an einer anderen Antwort: einer kleinen, günstigen Abfangrakete namens Mark One. Das Gerät ist nicht für grosse Distanzen gedacht, sondern für präzise Treffer gegen einzelne Drohnen. Und zwar in Mengen.

«Man muss Masse mit Masse beantworten», sagt Firmenchef Kusti Salm laut Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Das Konzept: viele einfache Raketen in grosser Stückzahl, deutlich günstiger und leichter zu produzieren als traditionelle Abwehrmunitionssysteme.

Raketen im Kleinformat: So funktioniert die neuartige Abwehr-Waffe

Die Raketen werden von einer kompakten Abschussrampe gestartet, die auf einem Pickup montiert werden kann. Sie sind mobil und schnell verlegbar. Frankenburg hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 50 Feldtests mit estnischen Truppen durchgeführt; nun steht die Serienfertigung an. Ingenieur Andreas Bappert, früher bei Diehl Defence, betont den Kosten-Nutzen-Effekt: «Es ist zehnmal billiger und hundertmal effektiver», zitiert die «FAZ» seinen Kommentar zur Idee.

Parallel zu Mini-Raketen arbeiten estnische Firmen an Sensoren, Detektionswellen und automatisierten Reaktionen. Bei Defsecintel läuft die Idee so: Grenzseitige Sensoren erkennen Drohnen, die Steuerzentrale wählt dann automatisch das passende Gegenmittel, etwa Abwehrdrohnen oder Netze, die die Angreifer einfangen. Viele dieser Systeme werden laut «FAZ» bereits in der Ukraine getestet.

Solche Entwicklungen folgen einer klaren Logik: Drohnen greifen nicht mehr einzeln an, sondern in Schwärmen. Deshalb müsse, so Salm, «auch die Verteidigung in Schwärmen denken».

Estlands Industrie sieht sich gezwungen, schnell zu liefern. Kooperationsmöglichkeiten mit ukrainischen Truppen haben die Entwicklung beschleunigt: Viele Systeme werden dort bereits unter realen Kriegsbedingungen getestet.

Laut Kusti Salm von Frankenburg Technologies ist «Mark One» eine Antwort auf die Realität moderner Drohnenkriegsführung, weil sie schnell und massenproduzierbar sei.

Die Mini-Raketen reduzieren damit die Kosten pro Abschuss massiv, doch sie bringen auch neue Fragestellungen: Wie können sie in bestehende Luftverteidigungssysteme integriert werden? Wie und wo dürfen sie eingesetzt werden? Zudem bleibt offen, wie solche Lösungen im Grossmassstab funktionieren, wenn Drohnen in Schwärmen und über weite Flächen operieren.

(Mit Material derdpa)

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93 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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el cóndor terminado
14.10.2025 09:22registriert Juni 2021
Und die Schweiz schaut zu, beobachtet die Lage und wartet ab.....und verliert den Anschluss komplett.
11112
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T.M.M.
14.10.2025 09:15registriert September 2023
Ich hätte gerne mehr Technisches erfahren. Wie finden diese Rakete das Ziel? Die teuren Raketen sind ja nicht zum Spass so teuer.
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Lohner
14.10.2025 09:36registriert August 2025
Die Ukraine und die Baltischen Staaten zeigen, wie mit Innovation günstig und wirkungsvoll in die moderne Armee investiert werden kann.
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