Drama!? Dorothee Elmigers Buchpreis-Siegerbuch ist nicht erhältlich
Stell dir vor, du gewinnst einen Preis für ein Produkt, das in seiner Gattung das beste eines Landes sein soll, also für ein Auto, ein Buch oder einen Airfryer. Dein Preis wird in allen Medien und sogar in der «Tagesschau» verkündet – doch das Problem ist, dass dein Produkt aktuell gar nicht auf dem Markt ist. Der Hersteller hat falsch gepokert.
So geschehen gerade jetzt mit «Die Holländerinnen», dem wilden, weisen und geradezu wahnwitzig abenteuerlichen Trip, der Dorothee Elmiger (die in Deutschland konsequent «Elminger» genannt wird) am Montagabend in Frankfurt den Deutschen Buchpreis eingebracht hat. Bevor sie am 16. November höchstwahrscheinlich auch noch den Schweizer Buchpreis gewinnen wird. Marktstrategisch zählt der deutsche natürlich mehr, er bedeutet, dass «Die Holländerinnen» jetzt in unübersehbaren Stapeln in jeder der gut 3000 deutschen Buchhandlung aufliegen. Beziehungsweise aufliegen sollten. Denn sie sind nicht da.
Oder wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» am Dienstagmorgen alarmistisch meldete: «Apropos Verkäuflichkeit: Derzeit kann niemand den Siegertitel kaufen. Er ist seit Wochen vergriffen, und der Hanser-Verlag konnte keine Druckerei finden, die ihn beliefern wollte. Der ursprünglichen Druckerei gab man deshalb den Laufpass, um nun wieder reumütig zurückzukehren, nachdem es auch mit der zweiten nicht funktionierte. Angeblich sollen zum Ende dieser Woche jetzt 100'000 Exemplare ausgeliefert werden – so die Vereinbarung für den nun eingetretenen Fall des Sieges. Hätte Elmiger nicht gewonnen, wären etwaige Interessenten wohl noch weitaus länger ohne Buch geblieben.»
Die Elmiger-Fankurve findet dies gemein und peinlich. Verständlicherweise. Und war es etwa das, was die Autorin meinte, als sie ihre Dankesrede in Frankfurt mit einem Zitat der Band Tocotronic beschloss: «Das Unglück muss zurückgeschlagen werden»? (Spoiler: Nein, sie meinte das gesamtgesellschaftlich, nicht individualbefindlich.)
Selbstverständlich haben wir die Karriere von Elmigers Buch, das restlos jeden Preis verdient hat, in den letzten Wochen beobachtet. Sie verlief überdurchschnittlich hymnisch in der Presse und eher humpelnd im Handel. Trotz grosser Nachfrage. Vor gut einem Monat meldete amazon.de, dass es erst wieder im Dezember lieferbar sei. Aktuell läuft im «Deutschlandfunk» eine Recherche zum Thema Druckereien-Engpass (es gibt immer weniger Druckereien, kaum eine davon ist fähig, Bücher innerhalb von kurzer Zeit in einer höheren Menge zu drucken und zu binden, Verlage warten erst ab, ob überhaupt eine Nachfrage nach einem Titel da ist und wollen dann sofort viel gedruckt haben), in der eine Buchhändlerin sagt, für die «Holländerinnen» gebe es eine Wartezeit von sechs Wochen.
Vor zweieinhalb Wochen waren alle für den Schweizer Buchpreis nominierten Bücher stapelweise in einer Zürcher Orell-Füssli-Filiale vorhanden – ausser Elmiger. «Ausverkauft» war die Antwort, die doppelte Nominierung in Deutschland und der Schweiz sei schuld, da sei das Interesse eben gross.
Und jetzt? Wie gross ist das Drama? Die Pressestelle von Orell Füssli gibt Entwarnung und sagt, in allen 56 Schweizer Filialen seien insgesamt gut 200 «Holländerinnen» vorhanden, damit kämen sie bis zur neuen Auflage über die Runden. Minus Orell Füssli im Bahnhof Zürich, da kriegte am Dienstagmorgen ein Kunde wieder «ausverkauft» zur Antwort.
In der kleineren Zürcher Volkshaus Buchhandlung redet die Buchhändlerin Frau Lüscher von «einem Glückstreffer»: Nachdem ein Kollege das Buch in ihrem Newsletter empfohlen habe, hätten sie rechtzeitig «es Biigeli bschtellt». Um Vorrat besorgte Eichhörnchen-Mentalität lohnt sich. Eine kleine Nachfrage könnten sie noch bewältigen, sagt sie, aber alle ihre vier Zulieferer seien ausgeschossen und zwischenzeitlich hätten sie ihre Kundschaft auch schon um drei bis vier Wochen vertrösten müssen.
Einer der vier Zulieferer, das Buchzentrum Hägendorf, sagt, ja, das «Holländerinnen»-Lager sei leer, aber wenn Hanser jetzt «e chli Dampf» mache, könnte die Nachlieferung theoretisch jeden Moment eintreffen. Und ja, sie hätten sehr viele Bestellungen von Buchhandlungen in der Warteschlange.
Herr Mathéus von der Buchhandlung Wassermann in Hamburg erzählt, gerade habe er das letzte Exemplar verkauft und rechne auch nicht damit, dass er vor Ende nächster Woche mit neuen Elmigers beliefert werde, die Lieferketten seien dann doch etwas länger und träger und zuerst würden grössere Buchhandlungen berücksichtigt. Also zwei Wochen ohne «Holländerinnen». Er betont aber auch, dass derartige Lieferengpässe nichts Ungewöhnliches seien. Normalerweise allerdings eher bei kleineren Verlagen, nicht bei einem Schlachtschiff wie Hanser. Das ist dann doch recht beschämend.
Und? Schadet dies nun «unserer» Preisträgerin und ihrem Buch? Lüscher und Mathéus sind sich einig, dass dies nicht der Fall sein werde. Elmigers Medienpräsenz ist aktuell sehr hoch, ihre Welle sei nicht so kurzlebig wie die von anderen, die sich bereits wenige Wochen nach Erscheinen nicht mehr im Gespräch halten können. Und wer eine Buchhandlung betrete, sagt Mathéus, und das angestrebte Buch nicht sofort finde, würde es eben bestellen. Hauptsache, die Präsenz im Weihnachtsgeschäft ist garantiert.
Lesen braucht Zeit. Leserinnen und Leser haben Zeit. Und können sich etwas gedulden. Alles kommt gut mit dem guten Buch.