Russland rekrutiert Söldner im Nahen Osten und in Afrika
Vor zwei Jahren schlug Finnland Alarm. Hunderte Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika waren seit Sommer 2023 ohne gültige Papiere aus Russland über die rund 1'300 Kilometer lange Grenze in das skandinavische Land gekommen. Nach und nach schloss Helsinki alle Grenzübergänge, denn das gerade erst der Nato beigetretene Land wähnte sich als Opfer der hybriden Kriegsführung Russlands. Der Vorwurf: Der Strom von Migranten solle Finnland unter Druck setzen und eine Krise auslösen.
Russland bediente sich bereits 2021 an der polnisch-belarussischen Grenze desselben Schemas. Migranten wurden teils mit Studierendenvisa ins Land gelockt und dann auf schnellem Weg an die EU-Grenze geschleust. Es entstand ein kleiner Wirtschaftszweig unter der Beteiligung privater russischer Firmen. Infolgedessen ergriffen die EU-Staaten, darunter auch Finnland, umfassende Massnahmen, um ihre Grenzen zu schützen. Der Strom der Migranten ebbte ab. Doch das System dahinter besteht in Russland fort.
Mittlerweile nutzt Russland dieses System jedoch, um Söldner für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu gewinnen. Laut Recherchen verschiedener Medien ist das Land damit besonders im Nahen Osten und in Afrika erfolgreich. So sollen etwa derzeit allein 1'400 Iraker in den Reihen der Kremltruppen kämpfen. Andere Söldner stammen aus Syrien, Jordanien, Afghanistan, Äthiopien oder Kenia. Das System offenbart die zunehmenden Probleme der russischen Streitkräfte, im eigenen Land Soldaten für den Krieg zu rekrutieren.
Russische Firmen locken Ausländer in den Krieg
Angesichts dessen betreiben offenbar private Vermittler ein Geschäft, um Menschen unter falschen Versprechungen nach Russland zu locken. Das Schema läuft laut Recherchen des norwegischen «Dagbladet» und dem russischen Exilmedium «The Insider» zumeist gleich ab: Firmen präsentieren sich offiziell als Reiseagenturen oder Dienstleister, um den Status von Migranten zu legalisieren oder ihnen Bildungsmöglichkeiten und Jobs in Russland, Belarus oder Kasachstan zu vermitteln.
In Wirklichkeit jedoch ist die meist einzige Dienstleistung, die den Migranten wirklich angeboten wird, ihren Eintritt in die Armee so reibungslos wie möglich zu gestalten – inklusive Versprechen von schneller Einbürgerung, hohem Sold und weiteren Vorteilen.
Der Grossteil dieses Geschäfts läuft über soziale Netzwerke, wo in diversen Gruppen massiv Werbung gemacht wird, teils auch ganz offen zur Rekrutierung für den Krieg. Interessierten wird dort für den Preis von 1'000 US-Dollar eine «Sondereinladung» nach Russland versprochen, sowie Flugtickets, Essen und Unterkunft. Dafür bieten die Vermittler etwa Jobs als Fahrer oder Koch im Dienst des russischen Verteidigungsministeriums an. Einzige Voraussetzung ist die Vorlage einer Passkopie.
Wenn die Menschen dann in Russland landen, geht es meist ganz schnell. Ein Vertreter des russischen Militärs und ein Übersetzer holen die Migranten am Flughafen ab. Oft geht es dann in die Stadt Perm, wo sie registriert werden. Anschliessend gibt es ein einmonatiges militärisches Training sowie einen Schnellkurs in Russisch. Im ersten Monat soll es einen Sold von 9'400 US-Dollar geben, in den Folgemonaten dann 2'200 US-Dollar zuzüglich Boni für Erfolge auf dem Schlachtfeld.
Anwerberin organisierte früher Studienreisen
Eine Frau, die im Rahmen der Rekrutierung von Söldnern immer wieder auftaucht, ist Polina Alexandrowna Azarnykh. Laut dem norwegischen «Dagbladet» organisiert sie die Rekrutierung von Männern in arabischsprachigen Ländern. Dabei kann sie auf jahrelange Erfahrung verweisen: Bevor sie Menschen in den Krieg lockte, vermittelte sie Studienreisen nach Russland. In der Ukraine wird sie als Kriegsverbrecherin gesucht.
Der Recherche zufolge ist die Frau 40 Jahre alt und lebt in Woronesch im Südwesten Russlands. Ihr Geschäft startete sie demnach 2021 – also in dem Jahr, in dem die Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze begann. Seit August 2023 konzentriert sie sich jedoch vollständig auf die Rekrutierung für die Ukraine-Front. Immer wieder teilt sie auf sozialen Netzwerken Bilder, die sie selbst lächelnd mit Gruppen von Männern zeigen. Diese stammen eigenen Angaben zufolge aus Ländern wie Syrien, Nigeria oder Ägypten.
Viele Männer scheinen ihre Rekrutierung schnell zu bereuen. «Sie wissen, dass wir in Armut leben, also beuten sie uns aus», sagte einer dem «Dagbladet». Andere Betroffene berichteten «The Insider» von Kriegsgräueln und davon, dass sie nicht mehr aus ihren Verträgen gelassen werden. In einem Fall sollen sich sogar syrische Behörden eingeschaltet haben – erfolglos.
Russland dementiert stets die Rekrutierung ausländischer Söldner, obwohl diese immer wieder in ukrainische Kriegsgefangenschaft geraten. Bereits bewiesen ist die Entsendung nordkoreanischer Soldaten nach Russland. Darüber hinaus meldete das US-Aussenministerium kürzlich, dass bis zu 5'000 Kubaner in russischen Reihen kämpfen sollen. Die Anwerbungen gehen also weit über den Nahen Osten und Afrika hinaus.
Russlands Regionen buhlen um Rekrutierungen
Auch bei heimischen Rekrutierungen setzt Moskau vor allem auf finanzielle Anreize. Wer sich für den Krieg meldet, bekommt von der Zentralregierung einen Bonus von 400'000 Rubel (knapp 4'200 Euro). Dazu zahlen auch die einzelnen Regionen Prämien. Mittlerweile ist daraus ein regelrechter Wettbewerb entstanden.
Die Regionen überbieten sich mit hohen Prämien, um den Kreml mit Rekrutierungen zufriedenzustellen. Am Montag verkündete die Regierung der Oblast Tjumen in Westsibirien, künftig einen Bonus von drei Millionen Rubel (rund 31'500 Euro) für Rekruten zu zahlen, die sich bis Ende November melden. Zuvor lag die Prämie bei 1,9 Millionen Rubel.
Auch in Woronesch verspricht die Regierung, den Bonus auf 2,1 Millionen Rubel zu vervierfachen. Andere Regionen versprechen einen monatlichen Bonus, der das monatliche Gehalt von rund 210'000 Rubel (rund 2'200 Euro) verdoppeln soll.
Soldaten überleben oft nur kurz an der Front
Allerdings ist die Lebenserwartung russischer Soldaten gering. Der russische Kriegspropagandist Wladimir Romanow erklärte am vergangenen Sonntag auf Telegram, dass der durchschnittliche «Lebenszyklus» eines neu rekrutierten Soldaten nur zwölf Tage betrage – zehn davon fallen auf militärisches Training. Viele der Soldaten sterben also schon bei ihrem ersten Angriff auf ukrainische Stellungen, meist durch Drohnen. Romanow sprach von «entbehrlichen» Soldaten.
Mit diesem Vorgehen soll Russland laut Schätzungen in diesem Jahr die traurige Marke von einer Million getöteter oder verwundeter Soldaten erreicht haben. Seit Monaten meldet die Ukraine täglich rund 1'000 Verluste auf russischer Seite. Angesichts dessen werden die Rekrutierungen keinen Abbruch nehmen.