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Massengrab in Irland – Heimkinder «wie Müll» weggeworfen

FILE PHOTO: The entrance to the site of a mass grave of hundreds of children who died in the former Bons Secours home for unmarried mothers is seen in Tuam, County Galway, Ireland, June 4, 2014. REUTE ...
Hier wurden hunderte von Kindern begraben.  Bild: Stringer/REUTERS

Massengrab in Irland – Heimkinder «wie Müll» weggeworfen

05.03.2017, 15:5605.03.2017, 16:34
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Die westirische Kleinstadt Tuam gilt als eher beschaulicher Ort. Für viele alleinstehende Mütter und ihre Kinder muss er bis vor etwa 55 Jahren aber die Hölle gewesen sein.

Denn hier wurden Unverheiratete in einem Mutter-Kind-Heim gedemütigt, als Arbeitskräfte ausgebeutet und deren tote Kinder wie Abfall verscharrt. Gerüchte und Indizien dafür gab es schon länger. Das Ausmass kommt aber erst jetzt ans Licht.

«Es gab Hunderte Kinder in dem Heim. In meinen Augen war das wie eine Kaninchenkolonie.»
Ehemaliger Heimbewohner

Ermittler entdeckten auf dem Grundstück des Heims ein Massengrab mit Kinderleichen. Die Experten fanden in 17 von 20 unterirdischen Kammern menschliche Überreste in «erheblichen Mengen» – Föten und Kleinkinder im Alter von bis zu drei Jahren.

Das St. Mary's Mother and Baby Home wurde von 1925 bis 1961 von Nonnen betrieben. Sie gehörten dem katholischen Orden The Sisters of Bon Secours an. Die Leichen stammen Untersuchungen zufolge höchstwahrscheinlich aus dieser Zeit.

Kinder, die in der Einrichtung starben, wurden einem ehemaligen Heimbewohner zufolge «wie Müll» weggeworfen. «Es gab Hunderte Kinder in dem Heim. In meinen Augen war das wie eine Kaninchenkolonie», sagte der Mann dem «Irish Mirror». Die Kinder litten, wie er selbst auch, unter vielen Krankheiten. Er wurde 1947 in dem Heim geboren, von seiner Mutter getrennt und zur Adoption freigegeben.

«Warum machst du das? Wenn da Leichen sind, dann lasse sie dort doch liegen.»
Frage an die Historikerin Catherine Corless

Ein anderer ehemaliger Bewohner des Heims berichtete der Zeitung «Irish Times», seine Mutter habe ein Jahr lang wie eine Sklavin für die Nonnen arbeiten müssen. Mutter und Sohn fanden sich erst 2010 wieder.

Den Fall ins Rollen brachte die Historikerin Catherine Corless. Sie fand im Sterberegister Einträge für fast 800 Kinder, die im Laufe der 36 Jahre in dem Heim gelebt hatten. Aber nur für ein Kind konnte sie nachweisen, dass es beerdigt worden war. Wo waren die anderen?

«Viele wussten Bescheid»

Als sie der Sache auf dem Grundstück des Heims habe nachgehen wollen, sei sie gefragt worden: «Warum machst du das? Wenn da Leichen sind, dann lasse sie dort doch liegen.» Viele hätten Bescheid gewusst, aber alles verheimlicht, sagte Corless dem «Irish Mirror».

Es soll schon zuvor viele Hinweise auf das Massengrab gegeben haben. Anwohner haben Berichten zufolge geglaubt, dass es sich bei ersten Knochenfunden um Opfer der irischen Hungersnot im 19. Jahrhundert handeln müsse.

Nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse von den Grabungen steht aber fest: Die Knochen sind nur wenige Jahrzehnte alt. «Das sind sehr traurige und beunruhigende Nachrichten», teilte die für Kinder zuständige Ministerin Katherine Zappone mit.

Tuam ist kein Einzelfall. Die Republik Irland arbeitet mit Hilfe einer Kommission landesweit die Geschichte von Heimen für ledige Mütter und deren Kinder auf. Auch Filme widmeten sich bereits diesem düsteren Kapitel der irischen Geschichte.

epa04242257 A handwritten note is painted on the site of a mass grave of up to 800 children on the site of the former Mother and Baby home in Tuam, County Galway, in western Ireland, 06 June 2014. The ...
Handgeschriebene Grabinschrift im Mutter-Kind-Heim in Tuam.Bild: AIDAN CRAWLEY/EPA/KEYSTONE

Experten sprechen mit Blick auf Tuam nur von der Spitze des Eisberges. Zehntausende «gefallener Frauen» sollen in solchen Einrichtungen untergebracht worden sein. Die Sterblichkeit der Kinder in den Unterkünften war oft erhöht.

Schreckliche Berichte auch aus Nordirland

Auch im benachbarten Nordirland herrschten schreckliche Zustände in ähnlichen Einrichtungen, etwa in Kinderheimen. «Es gibt Beweise für sexuelle, körperliche und emotionale Misshandlung», sagte der Präsident einer Untersuchungskommission kürzlich bei der Vorstellung eines Reports.

Die Experten hatten Fälle aus den Jahren 1922 bis 1995 in Einrichtungen der Kirche, des Staates und von Wohlfahrtsverbänden untersucht. Demnach haben die Einrichtungen teilweise lange versucht, ihren Ruf zu schützen – und die Täter. Dazu zählten Priester und Nonnen, die ihre Schützlinge körperlich und emotional missbrauchten.

Und wie geht es weiter im irischen Tuam? Hier werden die wissenschaftlichen Untersuchungen fortgesetzt, auch um die Todesursachen zu klären. Befürchtet wird, dass unter einem neuen Kinderspielplatz auf dem Grundstück weitere Leichen liegen könnten. (sda/dpa)

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pamayer
05.03.2017 17:24registriert Januar 2016
Ich weiss von einem ähnlichen Fall hier in der Schweiz, allerdings nicht von 1925, sondern Mitte der 60er Jahre.

Übel. Sehr übel, wie mit "gefallenen Müttern" (was für ein Ausdruck!) im Namen Gottes umgegangen wurde. Genau von diesen Menschen, die sich Enthaltsamkeit, Demut und Frömmigkeit aufs Banner geschrieben haben.
Es sickern 'ja immer wieder schockierende Berichte über Missbräuche und Misshandlungen durch. Und ich vermute sehr, dass der grösste Teil davon verborgen bleiben wird.
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Fondue
05.03.2017 18:10registriert Januar 2015
Verwundert mich gar nicht.
Alle Religionen sind halt schlimm. Es verstecken sich noch heute viel kranke Menschen dahinter. Wir müssen alle daran arbeiten dieses Hirngespinst den Menschen auszutreiben und ganz klar vom Staat zu trennen. Es darf nicht sein das wir Kinderschänder und kranke Menschen mit Steuergeldern unterstützen.
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bernhardmat
05.03.2017 20:52registriert Oktober 2015
Seit Jahrtausenden immer wieder die Religion und ihre Verbrechen. Millionen von Toten, gefoltert und ermordet. Aber immer noch haben sie die Frechheit, uns belehren zu wollen und Steuern zu verlangen. Dass die Unternehmen in der Schweiz Religionssteuer bezahlen müssen ist völlig pervers und unverständlich.
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