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Chinas Bevölkerung schrumpft erstmals seit 1961

Chinas Bevölkerung schrumpft erstmals seit 1961 – Experten warnen

17.01.2023, 06:1517.01.2023, 07:52
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Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals seit sechs Jahrzehnten geschrumpft. Ende Dezember habe das bevölkerungsreichste Land der Welt 1,411 Milliarden Einwohner gehabt und damit rund 850'000 weniger als ein Jahr zuvor, teilte das Statistikamt in Peking am Dienstag mit. Experten sprechen von einem «Wendepunkt» in Chinas Geschichte und warnen vor verheerenden Folgen einer «unvorstellbaren» Bevölkerungskrise.

epa10397596 A woman wearing a face mask holds a child in front of the Beijing Railway Station in Beijing, China, 10 January 2023. Chinese passengers are travelling domestically as the nation's mo ...
Trotz der Aufhebung der «Ein-Kind-Politik» schrumpft Chinas Bevölkerung erstmals. Bild: keystone

«Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind düsterer als erwartet», meint der US-Sozialwissenschaftler Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin. «China wird eine Schrumpfung durchlaufen müssen.»

Auch müsse es seine Sozial- und Wirtschaftspolitik ändern. Auf den Überschuss an Werktätigen, der Chinas Wirtschaftswunder als «Werkbank der Welt» angekurbelt hatte, folgt jetzt Arbeitskräftemangel: «Chinas Produktionssektor wird unterbesetzt und überaltern – und so schnell abnehmen wie der Japans», so Yi Fuxian.

Es war der erste Bevölkerungsrückgang seit 1960 und 1961, berichtete das Statistikamt, ohne die Zahlen gesondert zu kommentieren. Damals waren in den verheerenden Hungersnöten als Folge der irregeleiteten Industrialisierungskampagne des «Grossen Sprungs nach vorn» von Mao Tsetung viele Millionen Menschen ums Leben gekommen.

Die Geburtenrate lag im vergangen Jahr nur noch bei 6,77 Neugeborenen auf 1000 Menschen – ein historischer Tiefpunkt. Erstmals in der Geschichte der Volksrepublik lag die Zahl der Geburten unter 10 Millionen. Nur 9,56 Millionen Babys wurden geboren, während 10,41 Millionen Menschen gestorben sind, wie das Statistikamt berichtete. Die Sterberate habe bei 7,37 auf 1000 Menschen gelegen. Damit ergebe sich ein Bevölkerungswachstum von minus 0,6 auf 1000 Menschen.

Der unabhängige Forscher Yi Fuxian, der seit langem die chinesische Bevölkerungsentwicklung kritisch verfolgt, hält auch die jetzigen Zahlen unverändert für geschönt. Nach seinen Berechnungen schrumpft die chinesische Bevölkerung sogar schon seit vier Jahren. Immerhin sieht er ein offizielles Eingeständnis, dass der Rückgang rund zehn Jahre früher eingetreten ist als bisher von der Regierung vorhergesagt. Anders als bei den Hungersnöten 1960 und 1961 sei der Trend jetzt allerdings «unumkehrbar», meint Yi Fuxian.

Unaufhaltsam gehen seit Jahren die Geburten zurück, während die Gesellschaft überaltert. Die Auswirkungen der seit 1979 verfolgten «Ein-Kind-Politik» werden immer spürbarer. Die Aufhebung der umstrittenen Geburtenkontrolle führte 2016 nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der Geburten. Nur ein Kind zu haben, ist in China heute die soziale Norm. Zwei Generationen haben es nie anders erlebt, so dass es tief in der Gesellschaft verankert ist.

Daneben sehen Experten die hohen Kosten für Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung in China sowie die schwindende Bereitschaft zur Heirat als wesentliche Gründe für die beunruhigende Entwicklung. Die seit drei Jahren andauernde Corona-Pandemie und hohe Arbeitslosigkeit gerade unter jungen Menschen schufen weitere Unsicherheiten, die den Trend noch beschleunigt haben dürften. Knapp jeder fünfte junge Mensch zwischen 16 und 24 Jahren ist in Chinas Städten ohne Job.

Bis zu drei Kinder erlaubt

Als Reaktion auf den Geburtenrückgang und die rapide Überalterung wurden 2021 auch drei Kinder erlaubt. Ausserdem bemüht sich die Regierung seither, es jungen Paaren leichter zu machen, für Kinder zu sorgen. Die Kosten für Kindergärten und Schulbildung wurden gesenkt. Finanzhilfen wurden gewährt, Mutterschafts- und Elternurlaub erleichtert. Viele Frauen befürchten, dass sich eine Mutterschaft negativ auf ihre berufliche Karriere auswirkt.

Die Folgen der Bevölkerungskrise für die zweitgrösste Volkswirtschaft sind enorm. Schon länger müssen immer weniger Werktätige immer mehr alte Leute versorgen. Jeder fünfte Chinese ist heute älter als 60 Jahre. Unterstützten 2020 fünf Beschäftigte zwischen 20 und 64 Jahren einen älteren Menschen über 65 Jahre, werden es 2050 nur noch 1,5 Arbeitnehmer sein. «Ohne soziales Netz, ohne die Sicherheit der Familie wird sich eine Rentenkrise zu einer humanitären Katastrophe entwickeln», warnt Forscher Yi Fuxian. (sda/dpa)

Chinas Wirtschaft wächst im vierten Quartal um 2,9 Prozent
Vor dem Hintergrund der chaotischen Corona-Lage in China ist die Wirtschaft des Landes nach offiziellen Angaben im vierten Quartal noch um 2,9 Prozent gewachsen. Das teilte das Statistikamt in Peking am Dienstag mit.

Im Gesamtjahr 2022 legte die zweitgrösste Volkswirtschaft demnach um 3 Prozent zu, womit das von der Regierung vorgegebene Wachstumsziel von rund 5,5 Prozent verfehlt wurde. Ökonomen der Weltbank hatte zuletzt noch mit einem Wachstum vom 2,7 Prozent für das Gesamtjahr gerechnet.

Die chinesische Wirtschaft wurde im abgelaufenen Jahr stark durch die strikte Null-Corona-Politik und die damit einhergehenden Lockdowns belastet. Am 7. Dezember vollzog die Führung in Peking eine abrupte Kehrtwende und schaffte nach gut drei Jahren die meisten Corona-Massnahmen ab. Doch seitdem breitet sich das Virus rasant im Land aus, was sich nun ebenfalls negativ auf die Wirtschaftstätigkeit auswirkt. (sda/dpa)
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46 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rethinking
17.01.2023 07:55registriert Oktober 2018
Bevölkerungswachstum kann, im Hinblick auf den Planeten, nicht weiter das Ziel sein…

Diese Negativspirale gehört endlich durchbrochen…

Baut die Systeme um, reduziert die Weltbevölkerung (auf natürliche Weise) und geht danach in einen Erhalt über!
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mrmikech
17.01.2023 07:47registriert Juni 2016
China und Japan setzen bereits zunehmend Roboter ein, und dieser Trend wird sich noch verstärken. Wir haben auch eine alternde Bevölkerung, Personal findet man nicht mehr, und das wird so bleiben. Roboter, Automatisierung, Effizienz durch KI, das ist der einzige Weg. Und, das Wachstum bremsen. Ist nicht nur gut für uns, sondern auch für den Planeten.
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Ihre Dudeigkeit
17.01.2023 08:36registriert März 2014
wäre bei uns nicht anders, sind jedoch ein ´Einwanderungsland´ und können es so kompensieren.
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