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1'411'750'000 Menschen – doch China steht vor einer Bevölkerungskrise

epa10410133 A family walk in the park, in Shanghai, China, 17 January 2023. China?s population dropped from 1.41260 in 2021 to 1.41175 billion people in 2022. It is the first decline since 1961, accor ...
Eine Familie mit Kind in Peking: Immer weniger Chinesen entscheiden sich für diesen Weg.Bild: keystone

Chinas Frauen wollen keine Kinder mehr – das sind die Gründe

China steht vor einer Bevölkerungskrise, weil es für Frauen nicht mehr attraktiv ist, Kinder zu bekommen. Die Ursachen des Problems sind zu einem beträchtlichen Teil hausgemacht – die Regierung von Präsident Xi Jinping tut sich schwer, Lösungen zu finden.
20.04.2023, 04:4820.04.2023, 21:44
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Chinas Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren geschrumpft. Zwar betrug der Rückgang von 1'412'600'000 auf 1'411'750'000 Einwohner bei der letzten offiziellen Datenpublikation 2021 «lediglich» eine knappe Million, doch es ist das erste Mal seit 1960, dass überhaupt ein Minus bei der Gesamteinwohnerzahl verzeichnet wurde. Das berichtete das China National Bureau of Statistics, die chinesische Statistikbehörde.

Die Population im nach wie vor bevölkerungsreichsten Land der Welt scheint den Höhepunkt erreicht zu haben. China kämpft bereits heute mit einer eintretenden Überalterung der Bevölkerung. In den kommenden Jahren dürfte Indien China an der Spitze der weltweiten Bevölkerungsrangliste ablösen.

FILE - Chinese President Xi Jinping gives a joint press conference with France's President Emmanuel Macron at the Great Hall of the People in Beijing, China, Thursday, April 6, 2023. Brazil' ...
Die Regierung um Xi Jinping tut sich schwer damit, das Babyproblem in den Griff zu bekommen.Bild: keystone

Gründe gibt es viele, für das Erreichen des chinesischen «Peaks». In erster Linie ist die Emanzipation und die damit veränderten Ansichten der chinesischen Frauen dafür verantwortlich, wie der US-Sender CNBC schreibt. Immer mehr Chinesinnen entscheiden sich dafür, auf Karriere und persönliche Ziele zu setzen, anstatt eine Familie zu gründen.

Obwohl die chinesische Politik die Gefahr längst erkannt hat und entsprechende Schritte unternahm – Abschaffung der Ein-Kind-Politik im Jahr 2016 und Erweiterung auf drei «erlaubte» Kinder im Jahr 2021 –, wollen Frauen und ganz generell verheiratete Paare nach wie vor nicht mehr Kinder bekommen.

Ein weiterer Grund dafür ist die Coronapandemie, wie Mu Zheng, Assistenzprofessor für Soziologie an der National University of Singapore, gegenüber CNBC sagt: «Covid hat weiterhin viele negative Auswirkungen und ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft verursacht.» Steigende Lebenshaltungskosten und ein Gefühl der Hilflosigkeit würden chinesische Frauen davon abhalten, Kinder zu haben.

Doch nicht nur die Pandemie und der Einstellungswandel der Frauen lassen Chinas Reproduktionsrate sinken. Auch traditionelle Ansichten in der Gesellschaft limitieren die Entwicklung der Bevölkerungszahl. So hat der neuentdeckte Wille und die Möglichkeit der Frauen, Karriere zu machen, einen doppelt negativen Effekt: Chinas Frauen erwarten traditionell von einem potenziellen Ehegatten, dass er mehr verdient als sie und dass er Familienversorger sein kann.

Weil jedoch immer mehr Frauen besser oder gleich gut qualifiziert sind wie die potenziellen Ehemänner, finden sich immer weniger «würdige» Partner. Laut dem deutschen Statistik-Dienstleister Statista sind bereits jetzt über 40 Prozent der Teilnehmer an Bachelorstudiengängen Frauen. Noch extremer ist es bei den Masterstudiengängen, wo die Frauen bereits jetzt die Mehrheit stellen – und die Tendenz ist weiter steigend.

Laut Ökonom Andy Xie sorgen die konservativ verankerten Sichtweisen bei gleichzeitiger Entwicklung der Chancengleichheit für eine «enorme Belastung» der chinesischen Männer, wie er gegenüber CNBC sagt. Single zu sein, sei zudem kein Stigma mehr, so wie das früher der Fall war. Als Resultat dieser sozialen Entwicklungen gibt es weniger (verheiratete) Paare und damit unweigerlich auch weniger Babys.

China droht damit in eine ähnliche Situation zu geraten, wie es sie im bezüglich Fertilitätsrate bereits seit Jahren schwächelnden Nachbarland Japan gibt. Dort ergab jüngst eine Umfrage, dass die Hälfte aller unverheirateten 30-Jährigen kein Interesse daran hat, jemals Kinder zu bekommen, wie Kyodo News berichtete. Japan kämpft schon seit langem mit der Überalterung und dem Rückgang der Bevölkerung.

Weil sich die chinesische Regierung schwertut, Lösungen zu finden, die das Problem nachhaltig beheben, gibt es vermehrt Bestrebungen aus der Privatwirtschaft, sich der neuen gesellschaftlichen Realität anzupassen. Ein grosses chinesisches Reisebüro beispielsweise, versucht mit einer massgeschneiderten Lösung, einer Art Schwangerschaftssubvention, Frauen Karriere und Kind zu ermöglichen. So zahlt das Unternehmen hohe Vergütungen an Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen. Die Kosten für dieses Prozedere sind hoch und privat kaum zu finanzieren.

Der Plan des Reisebüros sieht dann vor, dass die Frauen während bis zu acht Jahren voll auf die Karriere im Unternehmen setzen und dabei stets die Möglichkeit haben, Kinder zu bekommen, wenn sie sich dazu bereit fühlen. Die Entscheidung für ein Kind wird dann ebenfalls honoriert – beispielsweise erhalten Schwangere Spesen für Taxifahrten an den Arbeitsplatz und Geld, wenn das Kind geboren und eingeschult wird. Einen Haken gibt es bei der Sache dennoch: Um Eizellen einzufrieren, müssen Frauen gemäss chinesischem Recht verheiratet sein – was aufgrund der geschilderten gesellschaftlichen Entwicklungen ebenfalls eine Hürde darstellt.

Der Ansatz des Reisebüros ist nur einer von vielen, die in China ausprobiert werden, um die drohende Bevölkerungskrise in den Griff zu bekommen. Jüngst machte beispielsweise eine staatlich finanzierte Datingapp Schlagzeilen:

China versuchte während Jahren die explodierende Bevölkerungszahl künstlich zu beschränken. Doch die ohnehin folgenreiche Ein-Kind-Politik könnte sich, kombiniert mit den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten, schon bald als gnadenloser Bumerang erweisen.

Einige Forscher prognostizieren China eine Schrumpfung der Bevölkerung um die Hälfte bis ins Jahr 2100, wenn in der Gegenwart keine Massnahmen ergriffen werden. Für die chinesische Wirtschaft und das Weltmachtstreben des Landes wäre diese Entwicklung ohne Zweifel verheerend.

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164 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Skunk42
20.04.2023 06:35registriert Februar 2022
Ewiges Wachstum, wie es sich die Sozialwerke und Wirtschaft wünschen funktioniert einfach nicht. Besser früher als später begreifen.
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Aldous Huxley
20.04.2023 06:58registriert Oktober 2022
Einige Forscher prognostizieren China eine Schrumpfung der Bevölkerung um die Hälfte bis ins Jahr 2100. Für die chinesische Wirtschaft und das Weltmachtstreben des Landes wäre diese Entwicklung ohne Zweifel verheerend.

Für die Welt wäre es ein Segen.
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000265.5f044386@apple
20.04.2023 06:50registriert September 2022
Es wird hier so getan als ob das ein rein chinesisches Problem sei. Auch in westlichen Ländern ist es sehr gut dokumentiert, dass Frauen im Schnitt einen Partner wählen, der einen sozioökonomischen höheren Status hat als sie selber.
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