Das Coronavirus, so viel ist klar, lässt sich nicht ausrotten. Das ist gerade bei Viren, die auch in Tieren zirkulieren, unmöglich. Bei Viren, wie dem Poliovirus, die nur in Menschen kursieren, kann die Bevölkerung so lange geimpft werden, bis ein Virus keine Individuen mehr findet, deren Immunsystem dagegen noch nicht gewappnet ist.
Bei den Coronaviren kommt hinzu, dass die Immunität nicht lebenslänglich anhält (anders als bei Krankheiten wie Masern oder Röteln). In der Regel ist man nach einer Coronaviren-Infektion nur ein bis zwei Jahre geschützt. Ob das auch für das neue Virus gilt, wird sich erst zeigen.
Dennoch wird die Pandemie zu einem Ende kommen, wenn genügend Menschen immun sind – durch eine Impfung oder eine Infektion. Das Virus ist dann «nur» noch endemisch, das heisst, der Erreger kursiert weiter, aber die Krankheit tritt nur noch vereinzelt und manchmal auch als örtlich begrenzter Ausbruch auf.
Das ist die Herdenimmunität: So viele Leute immun, dass viele Infektionsketten unterbrochen werden und sich die Ausbreitung stark verlangsamt. Mittels natürlicher Infektion erreicht man einen guten Schutz der Masse kaum, eben gerade weil sich die Ausbreitung gegen Ende verlangsamt.
Es gibt zwar Theorien, die besagen, dass für eine natürliche Herdenimmunität weniger Prozent in der Bevölkerung immun sein müssen. Dies, weil eine Epidemie zuerst die besonders empfänglichen Leute trifft und jene, welche viele Kontakte haben.
Sind diese immun, verlangsamt sich die Ausbreitung stärker, als wenn in einer Bevölkerung ein gleich hoher Prozentsatz geimpft wird, zu dem auch Leute gehören, die das Virus kaum weiterverbreitet hätten. Wenn die Immunität nicht lebenslänglich anhält, geht es jedoch ohnehin nicht ohne wiederholtes Impfen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO und viele Epidemiologinnen und Epidemiologen gehen bei Sars-Cov-2 von einer Herdenimmunität bei 60 bis 70 Prozent durchseuchter oder geimpfter Leute in einer Bevölkerung aus. Dies, weil die Ansteckungsrate (der berühmte R-Wert) des Coronavirus ohne Schutzmassnahmen bei 2 bis 3 liegt. Dies ergaben Berechnungen vom Anfang der Pandemie, als noch kein Social Distancing und andere Massnahmen eingeführt worden waren.
Um eine Infektionskrankheit einzudämmen, muss der R-Wert unter 1 liegen. Wenn von drei neu Infizierten zwei bereits immun sind, sollte sich die Epidemie stark verlangsamen. Zwei von drei in Prozent sind 66.7 – daher kommt die Annahme für die Herdenimmunität von Sars-CoV-2 von 60 bis 70 Prozent.
Doch die Ansteckungsrate ist keine fixe Grösse. Je nach Mobilität und Lebensart der Bevölkerung kann sie tiefer oder höher sein. Und sie steigt, wenn das Virus ansteckender wird – so wie das nun bei der Mutation aus England der Fall ist. Je ansteckender ein Virus, desto mehr Leute müssen immun werden, um eine Epidemie zu bremsen. Bei den Masern, eine der ansteckendsten Krankheiten überhaupt, liegt der R-Wert zwischen 12 und 18. Es müssen 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein, bis der Herdenschutz greift.
Szenarien aus der Realität deuten darauf hin, dass der Herdenschutz nicht unter 60 Prozent liegen kann. Denn inzwischen hat man mit Antikörpermessungen gesehen, dass es bereits Städte und Regionen auf der Welt gibt, wo 60 Prozent oder mehr der Bewohner Antikörper gegen das Virus haben, wie in Bergamo (62 %) oder Manaus in Brasilien (66 %) am Ende der ersten Welle. In Manaus beispielsweise gibt es nach wie vor Infektionen und Todesfälle, jedoch kam es nach dem Sommer nicht zu einer zweiten Welle und die Raten bleiben tief.
Andere Berichte sind weniger repräsentativ, wie von Schiffen oder Gefängnissen, weil an solch kleinzelligen Orten die Ansteckungswahrscheinlichkeit, also der R-Wert, höher ist als in einer Bevölkerung, die weniger dicht aufeinander lebt. Auf dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle infizierten sich im März bei einem Ausbruch 68 Prozent aller Militärs, bevor die Crew an Land in Quarantäne ging. Auch am San Quentin State Prison in Kalifornien infizierten sich über 60 Prozent, bis Massnahmen ergriffen wurden.
So liegt der Fokus beim Impfen nicht nur auf den Risikopersonen, sondern auch speziell auf dicht besiedelten Gebieten: Dort sollte die Immunität höher liegen. «Die Schweiz muss sich um die Ballungsgebiete kümmern», sagt Taskforce-Mitglied und Epidemiologe Marcel Tanner.
Und er gibt zu bedenken: «Die Zeit spielt auch eine wichtige Rolle.» Dies kenne man von halbherzig durchgeführten Impfaktionen gegen Kinderkrankheiten in gewissen Ländern, wo es dann ständig wieder zu Krankheits-Ausbrüchen komme.
Wie das ansteckendere Virus die geforderte Herdenimmunität verändere, habe noch niemand umfassend modelliert. «Sie liegt sicher bei 70 bis 80 Prozent, eine genaue Zahl gibt es noch nicht, da wir erst am Erforschen der Übertragungsdynamik der neuen Variante sind. Natürlich macht ein ansteckenderes Virus alles schwieriger.»
Dieser Meinung ist auch Kate O'Brian, Direktorin des Departementes für Immunisierung und Impfungen der WHO. Sie sagte gegenüber der New York Times Ende Dezember, die Schätzung von 60 bis 70 Prozent liege nun zu tief, aber man wissen nicht, welches Impfniveau benötigt werde. «Wir sollten sagen, dass wir es einfach nicht wissen. Und es wäre keine Zahl, die für die ganze Welt oder ein ganzes Land gültig wäre.»
Amerikas Staats-Immunologe Anthony Fauci sagte, er gehe inzwischen von einer nötigen Immunität von bis zu 85 Prozent aus. Klar ist: Je höher die Zahl liegt, desto mehr Impfwillige sind nötig.
Dale Fischer, Infektionskrankheiten-Spezialist bei der WHO, sagte letzte Woche gegenüber Reuters: «Das Virus kann kontrolliert werden. Aber wir werden nicht so schnell zur Normalität zurückkehren.» Man werde Herdenimmunitäten in der Mehrheit der Länder benötigen, um Grenzkontrollen aufheben zu können und dies werde nicht 2021 erreicht. (bzbasel.ch)
Dann schaut mal, was in der Natur mit einem unerwünschten Herdenmitlied passiert, das die Sicherheit der Herde gefährdet.
Da ist mir diese Gruppenimmunität schnuppe.