International
Dänemark

Aki-Matilda Høegh-Dam will Grönland unabhängig machen

Diese 26-Jährige will die grösste Insel der Erde unabhängig machen

Bereits seit 70 Jahren ist Grönland autonom, doch offiziell Teil Dänemarks. Könnte eine 26-Jährige nun die Unabhängigkeit der Insel vorantreiben?
11.06.2023, 18:3312.06.2023, 08:33
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Aki-Matilda Høegh-Dam hat die Revolution eingeläutet, ein bisschen zumindest. Als die junge Abgeordnete aus Grönland im Mai eine Rede im dänischen Parlament in Kopenhagen hielt, tat sie dies entgegen aller Konventionen in der Sprache ihrer Heimat: auf Grönländisch. Manche Parlamentarier waren erbost, bezeichneten ihr Verhalten als respektlos, provozierend und kindisch – schliesslich spreche man doch Dänisch im dänischen Parlament! Doch Høegh-Dam ging es nicht darum, dass ihre Parlamentskollegen verstanden, was sie sagte – sondern was sie damit letztlich zum Ausdruck bringen wollte.

Aki-Matilda Hoeegh-Dam (SIU) under moede i Folketingssalen, hvor der er udvidet spoergetime med statsministeren, paa Christiansborg i Koebenhavn, tirsdag den 7. december 2021.. , Copenhagen Denmark ** ...
Aki-Matilda Høegh-Dam: Die 26-Jährige hat eines von vier Mandaten im dänischen Parlament inne, die Vertretern Grönlands und der Färöer-Inseln vorbehalten sind.Bild: IMAGO / Ritzau Scanpix

«Es ist ein Relikt aus der Kolonialzeit, dass wir im Saal weiterhin nur Dänisch sprechen», sagte die Abgeordnete der Partei Siumut später. «Wenn Dänemark wirklich eine Reichsgemeinschaft wäre, dann könnten wir auch die Sprache des jeweils anderen unterbringen.»

Høegh-Dam hat eines der vier Mandate im dänischen Parlament inne, die Vertretern Grönlands und der Färöer-Inseln vorbehalten sind, die jeweils zum Königreich Dänemark zählen. Sie macht kein Geheimnis daraus, dass es ihr an Gleichbehandlung in dieser Gemeinschaft fehlt. Die 26-Jährige spricht das aus, was viele Grönländer seit Jahrzehnten monieren: Von dänischer Seite fehlt es ihnen an Respekt und Verständnis für ihre Belange, Kultur und Identität. In der Abschlussdebatte des dänischen Parlamentsjahres legte Høegh-Dam nach und fragte, warum Grönland in der stundenlangen Debatte kaum eine Rolle gespielt habe.

Seit 70 Jahren keine Kolonie mehr

Genau 70 Jahre ist es her, dass sich Dänemark 1953 seine bis heute geltende Verfassung gegeben hat. In dem Zuge endete damals auch der Kolonialstatus Grönlands. Die grösste Insel der Erde wurde von der Kolonie ohne Rechte zu einem gleichwertigen Teil Dänemarks, ihre Einwohner wurden dänische Staatsbürger. Und die Dänen machten sich auf, Grönland nach ihren Vorstellungen zu modernisieren.

FILE - This July 11, 2015 file photo shows a general view of the town of Upernavik in western Greenland. Aiming to put his mark on the world map, President Donald Trump has talked to aides and allies  ...
Grönland: Vor 70 Jahren endete der Kolonialstatus der Insel und die Autonomie von Dänemark wurde erklärt.Bild: AP

Der Prozess lief jedoch überstürzt, ohne dass die Grönländer nach ihrer Meinung dazu gefragt wurden, wie Forscher Ulrik Pram Gad vom Dänischen Institut für Internationale Studien sagt. Viele von ihnen hätten sich überrumpelt gefühlt und die formale Dekolonisierung als den Beginn der eigentlichen Kolonisierung wahrgenommen.

Eigene Regierung, aber abhängig von Dänemark

Seitdem hat Grönland weitreichende Autonomie mit eigener Regierung und eigenem Parlament erhalten. Dänemarks Regierung entscheidet aber bis heute in Aussen- und Sicherheitsfragen. Finanziell ist die Insel mit ihren knapp 57'000 Einwohnern noch stark von Kopenhagen abhängig. Dänemark gibt das im Gegenzug Mitspracherecht in der Arktis. Auf Dänisch heisst dieses Modell «rigsfællesskab», Reichsgemeinschaft.

In dieser Gemeinschaft hat es regelmässig geknirscht, doch in diesem Jahr rumort es ganz gewaltig. Vor allem Dänemarks Aussenminister Lars Løkke Rasmussen eckt an, etwa durch die Auswahl eines arktischen Botschafters, ohne Grönland dabei zurate zu ziehen. Unverständnis lösten auch Verzögerungen beim Start von Untersuchungen zu schwangerschaftsvorbeugenden Spiralen aus, die grönländischen Frauen und Mädchen in den 1960er Jahren eingesetzt worden waren.

Es brodelt zunehmend

«Derzeit herrscht kein gutes Zusammenarbeitsklima», stellte Grönlands Regierungschef Múte B. Egede vor wenigen Tagen in der dänischen Zeitung «Politiken» fest. Die von Høegh-Dams Rede ausgelöste Debatte zeige, dass das Verhältnis zwischen Dänemark und Grönland im Augenblick «nicht auf dem Höhepunkt» sei.

Greenland Prime Minister Mute B. Egede speaks at the opening of EU Arctic Forum in Nuuk, Greenland Wednesday, Feb. 8, 2023. (Leiff Josefsen/Ritzau Scanpix via AP)
Grönlands Regierungschef Múte B. EgedeBild: keystone

In der Debatte um das dänisch-grönländische Verhältnis schwingt dabei auch die Frage nach einer grönländischen Unabhängigkeit mit. «Ich arbeite jeden einzelnen Tag dafür, dass das Ziel der Selbstständigkeit näher rückt», sagte Egede zu «Politiken».

Grönland, eines Tages ein unabhängiger Staat? Für viele Grönländer ist das ein lange gehegter Wunsch. Und Ende April hat die Insel einen Schritt getan, damit dies nicht bis in alle Ewigkeit Wunschdenken bleiben muss: Nach mehrjährigen Vorarbeiten legte eine Kommission einen Entwurf für eine mögliche erste grönländische Verfassung vor. Das Parlament in der grönländischen Hauptstadt Nuuk ist nun an der Reihe, zu überlegen, wie es mit dem Vorschlag weitergeht. Konkrete Pläne gibt es noch nicht, viele Fragen sind weiter offen.

Formal bereit für Unabhängigkeit

«Formal wäre Grönland jetzt bereit für die Unabhängigkeit», sagt Grönland-Experte Pram Gad über den Entwurf. In der Praxis bleibe es aber noch ein weiter Weg. «Die Hauptsache ist, dass Grönland derzeit nicht über die Ressourcen verfügt, um tatsächlich unabhängig zu werden», sagt er. Der Insel würden allein rund vier Milliarden dänische Kronen (knapp 540 Millionen Euro) fehlen, die sie derzeit an jährlichem Blockzuschuss aus Kopenhagen erhält.

Store Malene, Nuuk, Bild: Shutterstock
Nuuk, die Hauptstadt von Grönland. bild: shutterstock

Ob Grönland jemals finanziell gänzlich auf eigenen Beinen stehen kann, ist fraglich. Doch Pram Gad sieht neben dem bestehenden Status quo der Reichsgemeinschaft und der völligen Abkopplung von Dänemark noch eine dritte Möglichkeit, eine Art Mittelweg: ein Abkommen über eine freie Assoziierung. Solch ein Modell sind bis heute erst fünf Inselnationen im Pazifik entweder mit den USA oder mit Neuseeland eingegangen. Sie alle sind selbstständig, haben aber eine Verbindung zu ihrer früheren Kolonialmacht behalten. Ein solches Abkommen könnte Grönland auch mit Dänemark aushandeln – oder mit anderen Staaten.

«Mein wahrscheinlichstes Szenario wäre, dass Grönland Dänemark innerhalb von fünf bis zehn Jahren davon überzeugt hat, ein solches Abkommen über eine freie Assoziierung einzugehen», sagt Pram Gad. Dänemark könnte einige der Finanzen schultern, bei der Verteidigung könnten auch die USA mit an Bord sein. In fünf bis zehn Jahren, sagt der Forscher, könnte Grönlands Unabhängigkeit dann stehen – mit einem solchen Freiassoziierungsabkommen unmittelbar danach. (t-online, dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So war die Schweiz in den Kolonialismus verstrickt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
100 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
chicadeltren
11.06.2023 18:48registriert Dezember 2015
Von mir aus kann Gröndland gerne unabhängig werden. Dann aber immer noch regelmässige Zahlungen aus Kopenhagen zu erwarten, ist schon etwas speziell. Was springt für Dänemark dabei raus?
17330
Melden
Zum Kommentar
avatar
Garp
11.06.2023 18:48registriert August 2018
Die Investitionen werden dann sicher von den Chinesen kommen.
12412
Melden
Zum Kommentar
avatar
Claus Thaler
11.06.2023 19:39registriert Mai 2020
Gleiches Problem wie in / auf Korsika. Man wäre ach so gerne unabhängig vom grossen Bruder. Bloss ginge es wohl keinen Monat und man wäre Pleite. In so einer Situation würde ich den Ball ganz schön flach halten.
13127
Melden
Zum Kommentar
100
Emmanuel Macron ernennt François Bayrou zum neuen Premierminister
Nach dem Sturz der Mitte-Rechts-Regierung in Frankreich hat Staatschef Emmanuel Macron den Zentrumspolitiker François Bayrou zum Premierminister ernannt. Das teilte der Élyséepalast mit.

Schon seit langem gilt Bayrou, dessen Partei MoDem mit Macrons Renaissance kooperiert, als enger Vertrauter des Präsidenten. Der 73-jährige Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Pau wird von den Konservativen geschätzt. Grüne und Sozialisten hatten sich hingegen mehrfach gegen den Macron-Vertrauten ausgesprochen, der aus ihrer Sicht keinen Neuanfang, sondern die Fortführung der bisherigen Politik bringen würde.

Zur Story