«Das israelische Militär wird sich darauf vorbereiten, die Kontrolle über Gaza-Stadt zu übernehmen.» Mit diesen Worten kündigte die israelische Regierung Anfang August dieses Jahres ihre Übernahmepläne für die Hauptstadt des Gazastreifens an. Diese Aussage knüpft nahtlos an die Zitate von Premierminister Benjamin Netanjahu an, der Tage vor der offiziellen Stellungnahme in einem Interview über die «vollumfängliche Übernahme von ganz Gaza» sprach.
Dass dies nicht nur leere Worte sind, zeigt die katastrophale humanitäre Lage in Gaza. Seit Beginn des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen wurden 62'895 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet. Durch die grossflächigen Bombardierungen und gezielten Abrissarbeiten zerstörten oder beschädigten die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) 78 Prozent der Gebäude in Gaza, wie neuste Analysen der UNOSAT zeigen.
In den letzten 23 Monaten hat Israels Militäroffensive gewaltsam über 1,9 Millionen Menschen vertrieben, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Gazas. Viele davon mussten schon mehrmals flüchten, einige sogar über 10 Mal.
Durch grossflächige Evakuierungsbefehle vertrieb Israel die Bevölkerung Gazas erst vom Norden in den Süden, bis sie schliesslich ein weiteres Mal in der von Israel als «humanitäre Zone» deklarierten Region Al-Mawasi konzentriert wurde. Eine Zone, die alles andere als «humanitär» ist.
Zone mit Evakuierungsbefehl
Zonen ohne Evakuierungsbefehl
Vorgegebene Evakuierungsrichtung
Seit Beginn der Offensive in Gaza publizieren die Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) Evakuierungsbefehle im Gazastreifen.
Am 13. Oktober 2023 veröffentlicht die IDF einen ersten, wagen und grossflächigen Evakuierungsbefehl. Der Befehl vertreibt die gesamte palästinensische Bevölkerung in Nordgaza nach Dair al-Balah im Süden.
Evakuierungsbefehl vom 13. Oktober 2023
Datum: 13.10.2023
Quelle: IDF
Die Menschen sollen der zentralen Strasse Salah ad-Din in den Süden folgen. 1,1 Millionen, die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens, wird in den Süden vertrieben.
Noch am selben Tag bombardiert Israel die vorgegebene Evakuierungsroute. Dabei sterben mindestens 70 Zivilisten.
Videoaufnahmen zeigen die Zerstörung nach dem israelischen Angriff auf die flüchtenden Zivilisten.
Datum: 13.10.2023
Quelle: Reuters
Um die neue Nord-Süd-Teilung durchzusetzen, schneiden die israelischen Streitkräfte drei Kilometer nördlich des Flusses Wadi Gaza eine ost-westliche Militärroute durch den gesamten Gazastreifen.
Im Herbst beginnt die IDF mit der Errichtung der künstlichen Grenze in Zentralgaza. Satellitenaufnahmen zeigen Gaza vor dem israelischen Angriff im Oktober 2023.
Datum: 27.09.2023
Quelle: Copernicus
Anfang November gibt die IDF bekannt, sie habe einen «informellen, gewundenen Pfad» durch den Gazastreifen gezogen.
Datum: 11.11.2023
Quelle: Copernicus
Am 14. November 2023 errichet Israel an der Kreuzung des neue Pfads mit der Hauptevakuierungsroute einen militärischen Checkpoint.
Menschen auf der Flucht in den Süden Gazas stehen vor dem Militär-Checkpoint. In den zwei Gebäuden wurden nach Berichten von Zeugen die Ausweise und die Gesichter der Flüchtenden gescannt. Die IDF gibt per Megafon Anweisungen aus der Ferne.
Datum: 17.11.2023
Quelle: Maxar
Die IDF setzt die provisorische Grenze mit militärischer Gewalt durch. Menschen, die einmal den Checkpoint durchqueert haben, dürfen nicht mehr in den Norden zurückkehren.
Datum: 26.11.2023
Quelle: Reuters/Screenshot Video
Der «offizielle» Korridor wird im März 2024 südlich des temporären Korridors fertiggestellt und dient seither als neue Grenze zwischen Nord- und Südgaza.
Datum: 10.03.2024
Quelle: Copernicus
Am 1. Dezember 2023, gleich nach dem Ende der temporären Waffenruhe, veröffentlich die IDF ein neues Blocksystem, welches Gaza in 623 Blöcke aufteilt.
Das Blocksystem zieht unklare Grenzen über Gaza.
Datum: 01.12.2023
Quelle: IDF
Das Blocksystem scheint nicht neu zu sein. Die IDF verwendete die Blocks bereits vor dem 1. Dezember 2023, ohne eine genaue Erklärung für die Grenzziehungen abzugeben.
Die erste Evakuierung nach der Veröffentlichung der Populationsblöcke hält sich bereits nicht an das Blocksystem, beispielsweise in Dschabaliya. Stattdessen kommuniziert die IDF eine wage Zone, die evakuiert werden soll. Die Grenze verläuft durch einzelne Gebäude, Nachbarschaften und über Strassen. Für die palästinensische Bevölkerung ist diese Zone kaum nachvollziehbar.
Die IDF hält sich in Evakuierungsbefehlen nicht an das eigene Blocksystem.
Datum: 02.12.2023
Quelle: IDF
Die Waffenruhe endet am 1. Dezember. Am 5. Dezember startet die IDF die Invasion von Chan Yunis im Süden.
Die humanitäre Zone in al-Mawasi wird geschaffen.
Anfang Mai beginnt Israel mit der Offensive in Rafah. Hundertausende Palästinenserinnen und Palästinenser werden an die Küste Gazas nach al-Mawasi vertrieben.
Der Evakuierungsbefehl vom 7. Oktober 2024
Datum: 07.10.2024
Quelle: IDF
Nordgaza und Gaza-Stadt werden von der IDF in neue bislang unbekannte Zonen aufgeteilt und erhalten unabhängig vom Blocksystem Evakuierungsbefehle. Erneut werden alle Menschen im Norden in den Süden vertrieben.
Ende August 2025 steht 88 Prozent von Gaza unter einem Evakuierungsbefehl. Die gesamte Bevölkerungs Gazas ist auf der Flucht.
Al-Mawasi war vor der israelischen Offensive gegen Gaza das Zuhause von nur rund 9000 Menschen, die vor allem Landwirtschaft und Fischerei betrieben. Seit Israel mit der systematischen Konzentration der Palästinenserinnen und Palästinenser im Süden von Gaza begonnen hat, zwängen sich über 425'000 Menschen in den kleinen Landstreifen am Mittelmeer. Das Resultat ist eine Bevölkerungsdichte von 47'700 Menschen pro Quadratkilometer – das entspricht viermal der Bevölkerungsdichte von New York.
Durch die grossflächigen Evakuierungsbefehle sind mindestens 88 Prozent von Gaza durch die IDF militarisiert und für die palästinensische Bevölkerung unzugänglich gemacht geworden. Die wenigen als «sicher» deklarierten Quadratkilometer, die den Palästinenserinnen und Palästinensern noch bleiben, werden immer wieder zum Ziel von Angriffen.
Daraus entstanden ist eine von Israel gewollte humanitäre Krise, mit einer durch die Grenzblockade künstlich herbeigeführten und einkalkulierten Hungersnot. Durch die Angriffe der IDF auf die verbleibenden «sicheren» Zonen und die Übernahmepläne von Gaza-Stadt droht sich die Katastrophe im Gazastreifen noch weiter zuzuspitzen.
Aktuell gibt es acht offizielle Camps in Gaza. 2023 waren mehr als 1,2 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser bei den Flüchtlingslagern registriert. Die Lager werden immer wieder zum Ziel von israelischen Angriffen.
Rund 120'000 Menschen sind in Dschabaliya registriert. Das Flüchtlingslager wurde mehrere Male von Israel attackiert.
Bei Luftangriffen der IDF auf das Flüchtlingscamp sterben über 120 Menschen, mehrheitlich Frauen und Kinder. Über 750 Personen werden verletzt.
Krater nach dem israelischen Angriff
Datum: 31.10.2023
Quelle: Anas Jamal/Imago
Fast 100'000 Menschen sind in Al-Shati in Gaza-Stadt registriert.
Bei einem Angriff der IDF auf eine Schule in Al-Shati im Oktober 2024 sterben neun Menschen.
Datum: 28.10.2024
Quelle: Omar El Qattaa/Anadolu
Über 88'000 Menschen sind in Nuseirat in Zentralgaza registriert.
Der Luftangriff auf die Al-Sardi-Schule im Nuseirat-Camp tötet mindestens 35 Menschen.
Datum: 06.06.2024
Quelle: Saeed Jaras/imago
Die IDF veröffentlicht seit Dezember 2023 Evakuierungsbefehle über ein Gridsystem. Dieses unterteilt Gaza in 623 Blöcke.
Die Evakuierungsgrenzen sind auf dem Boden kaum nachvollziehbar und werden vom israelischen Militär auch nicht eingehalten, wie die Angriffe auf die Al-Nazla-Schule in Gaza-Stadt zeigen.
Evakuierungsbefehl vom 11. Mai 2024
Datum: 11.05.2024
Quelle: IDF
Die Schule liegt im Block 975, gleich ausserhalb der Evakuierungsbefehle vom 11. Mai 2024.
Dennoch trifft ein Drohnenangriff der IDF die Schule ohne Warnung. Es sterben fünf Kinder und fünf Frauen. Die Menschen in der Schule suchten keinen Schutz, da sie dachten, bereits in einer sicheren Zone zu sein.
Die angeordneten Evakuierungsrichtungen bringen die flüchtende Bevölkerung oft in bereits zerstörte Gebiete. So auch im Beispiel von Dschabaliya.
Grosse Teile von Gaza-Stadt sind zum Zeitpunkt der Evakuierung zerstört.
Palästinensische Zivilisten werden oft in Gebiete gelenkt, die bereits unter Beschuss stehen oder unmittelbar davon bedroht sind.
Die Nachbarschaft Zeitoun südlich von Gaza-Stadt wird im Februar 2024 in Richtung der «humanitären Zone» Al-Mawasi im Süden evakuiert.
Nur Stunden später schiesst ein IDF-Panzer auf ein Haus von «Ärzte ohne Grenzen» in der humanitären Zone Al-Mawasi. Zwei Mitarbeitende der Hilfsorganisation kommen beim Angriff ums Leben.
Israel erklärt im Verlauf der Invasion in den Gazastreifen verschiedene Gebiete zur «humanitären Zone».
Am 6. Dezember 2023 deklariert Israel diese Zone an der Küste Gazas als «sicher» für die flüchtende Bevölkerung.
Am 6. Mai 2024 wird die Zone weiter in den Norden rund um Dair al-Balah ausgeweitet.
Während die Zone im Norden grösser wird, wird aber auch ein Gebiet im Süden exkludiert. Das israelische Militär hat dies nie spezifisch kommuniziert.
Die Nachbarschaft Tel al-Sultan in Rafah ist in der neuen humanitären Zone nicht mehr enthalten. Rund um eine Lagerhalle der UN finden Geflüchtete in Zelten zuflucht. Zu diesem Zeitpunkt im Frühling 2024 sind rund 1 Million Geflüchtete in Rafah registriert, fast die Hälfte der Bevölkerung Gazas.
Die Nachbarschaft Tel al-Sultan bevor sie zum Zufluchtsort für Hundertausende wurde.
Datum: 13.10.2023
Quelle: Planetlabs
Tel al-Sultan ist übersät von Zelten.
Datum: 14.01.2024
Quelle: Planetlabs
Zwei Tage nach der Auflösung der humanitären Zone sind immer noch hunderte Zelte sichtbar. Offensichtlich können viele noch nicht flüchten oder sie wissen nicht, dass sie sich nicht mehr in einer sicheren Zone befinden.
Datum: 08.05.2024
Quelle: Planetlabs
Die IDF veröffentlicht am 21. Mai ein Video auf Social Media, das die neue humanitäre Zone definiert.
Im Video ist zu lesen: «Die Schutzzone wurde ausgeweitet – von Deir al-Balah im Norden bis zu den Blöcken 2360, 2371 und 2373 im Süden.» Es wird nicht spezifiert, ob diese Blöcke sicher sind oder nicht.
Datum: 21.05.2024
Quelle: IDF/x
Zusätzlich sind die Zonen, die im Video gezeigt werden, fast decklungsgleich im Süden. Was suggeriert, dass Menschen in Tel al-Sultan weiterhin in der humanitären Zone sind.
Datum: 21.05.2024
Quelle: IDF/x
Fünf Tage später greift die IDF die Zeltstadt an. Durch die Explosion entsteht ein Flächenbrand in der Zeltstadt. Mindestens 50 Menschen verlieren ihr Leben, mehr als 200 werden verletzt.
Tel al-Sultan nach dem israelischen Angriff
Datum: 27.05.2024
Quelle: Hani Alshaer/Anadolu
Vor der Invasion zählte Al-Mawasi nur etwas mehr als 9000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Datum: 15.10.2023
Quelle: Planetlabs
Heute leben an Gazas Küste 47'700 Menschen auf einem Quadratkilometer. In der Schweiz sind es 223 Menschen pro Quadratkilometer.
Datum: 08.05.2024
Quelle: Planetlabs
Trotz der hohen Bevölkerungsdichte greift Israel die eigens als «sicher» bezeichnete humanitäre Zone weiterhin an.
Die IDF erschiesst Zivilisten mit weisser Fahne, die sich innerhalb der humanitären Zone neben der Al-Aqsa-Universität aufhalten.
Datum: 22.01.2024
Quelle: ITV/Video screenshots
Der palästinensische Zivilist Ramzi Abu Sahloul wird durch einen israelischen Scharfschützen getroffen und stirbt. Kameraleute der ITV-Crew vor Ort berichteten von IDF-Fahrzeugen auf einem gegenüberliegenden Hügel. Eine akustisch-ballistische Analyse lässt darauf schliessen, dass die Schützen rund 330 Meter weit entfernt positioniert waren.
Am 22. Januar 2024 weitet die IDF ihre Bodeninvasion auf einen Teil der humanitären Zone aus. Von dort eröffnet sie das Feuer auf Personen, die sich klar als Zivilisten gekennzeichnet haben. Die Militäroffensive in die humanitären Zone wird von Israel vorgängig nicht kommuniziert.
Die IDF greift die deklarierte humanitäre Zone auch aus der Luft an. Beispielsweise im Mai 2024 in Chan Yunis.
Eine Rakete schlägt in einer Zeltstadt bei Asdaa bei Chan Yunis ein.
Datum: 24.05.2024
Quelle: Telegram / https://t.me/hpress/318144
Die Analyse von Satellitenbildern zeigt, dass die humanitäre Zone breitflächig bombardiert wurde.
Der Grossteil der Zone steht auch unter einem Evakuierungsbefehl. Einzig die Zonen an der Küste und rund um Dair al-Balah sind noch als «sicher» kategorisiert.
Die israelischen Angriffe und Evakuierungsbefehle sowie die systematische Zerstörung von Wohngebäuden lassen der palästinensischen Bevölkerung immer weniger Platz.
Um die militärische Kontrolle im Süden bis an die Küste auszuweiten und Gaza aufzuteilen, baut die IDF neue Korridore im Süden.
Datum: 15.03.2025
Quelle: Copernicus
Datum: 19.04.2025
Quelle: Copernicus
So wie der Netzarim-Korridor im Norden Gaza-Stadt von Rest-Gaza abschneidet, soll auch der neue Morag-Korridor im Süden die Bevölkerung an gewisse Orte leiten.
Die vom israelischen Verteidigungsminister Israel Katz vorgeschlagene «Humanitäre Stadt» soll die gesamte verbleibende Bevölkerung Gazas im Süden zwischen der Grenze zu Ägypten und dem neuen Morag-Korridor in den Ruinen von Rafah konzentrieren.
Im August 2025 beginnt Israel mit der Invasion von Gaza-Stadt.
Inzwischen lebt rund eine Million Menschen in und um Gaza-Stadt. Knapp die Hälfte der Bevölkerung Gazas.
Gaza-Stadt ist voller Zelte der geflüchteten Bevölkerung, die zwischen den Ruinen Schutz sucht, wie Aufnahmen aus einem jordanischen Flugzeug zeigen.
Durch die rot markierten Gebäude kann der genaue Standort der Aufnahme festgestellt werden.
Datum: 07.08.2025
Quelle: Keystone
Es ist klar ersichtlich, wo die aufgestellten Zelte stehen.
Datum: 07.08.2025
Quelle: Keystone
Ab dem 6. August 2025 gibt Israel neue Evakuierungsbefehle bekannt. Das Ziel: Die Bevölkerung aus Gaza-Stadt zu vertreiben.
Erneut wir der palästinensischen Bevölkerung befohlen, sich in den Süden zu begeben.
Die Bevölkerung in Gaza-Stadt soll nach Dair al-Balah evakuieren. Der Ort wird von der IDF als «sicher» deklariert.
Nur wenige Tage, nachdem die Bevölkerung aufgefordert worden ist, nach Dair al-Balah zu evakuieren, feuert das israelische Militär eine Rakete auf das Gebiet rund um das Al-Aqsa-Spital ab. 10 Menschen werden dabei getötet.
Eine Rakete schlägt in der Nähe des Al-Aqsa-Spitals in Dair al-Balah ein.
Datum: 21.08.2025
Quelle: Reuters
In Chan Yunis werden am 7. August zwei weitere Blöcke evakuiert. Wenige Tage später schlägt eine Rakete unmittelbar neben der evakuierten Blöcke ein.
Ein israelischer Raketenangriff trifft das Nasser-Spital in Chan Yunis, ein Reuters-Journalist wird dabei getötet. Wenige Minuten später trifft ein zweiter Angriff das Spital und tötet mindestens 20 weitere Menschen, die zu Hilfe geeilt sind.
Der zweite Raketenangriff trifft Hilfskräfte.
Datum: 25.08.2025
Quelle: Reuters
Mit den Luftangriffen in Chan Yunis und Dair al-Balah setzt Israel die Angriffe auf die verbleibenden Zufluchtsorte der palästinensischen Bevölkerung fort.
Während in weiten Teilen des Gazastreifens vor allem Luftangriffe verübt werden, bereitet sich die IDF mit einem neuen Truppenaufgebot von 60'000 Reservisten auf die Bodenoffensive in Gaza-Stadt vor.
Der Grenzübergang Karni bei Gaza-Stadt.
Datum: 06.2025
Quelle: Planetlabs
Israelische Bodentruppen sind beim Grenzübergang positioniert.
Datum: 08.08.2025
Quelle: Planetlabs
Durch die Bodenoffensive in Gaza-Stadt droht die Vertreibung von einer Million Menschen und ultimativ die israelische Besetzung von Nordgaza.
Die Kommunikation des israelischen Militärs, welche Blöcke als «sicher» gelten oder wo sich die humanitären Zonen befinden, ist seit Beginn der Invasion unklar und immer wieder widersprüchlich. Dazu kommt ein verwirrendes Blocksystem, welches für die Bevölkerung Gazas nicht einfach nachvollziehbar ist. Zwar stellt die IDF eine interaktive Karte zur Verfügung, doch bleiben diese Online-Ressourcen wegen der erheblich eingeschränkten Internetverbindung und regelmässigen Stromausfällen oft unzugänglich.
Der vorsätzliche Effort Israels, der Zivilbevölkerung Gazas lebenswichtige Informationen mitzuteilen, wirkt in Anbetracht der ungenauen Karten, der niedrigen Auflösung und des unverständlichen Blocksystems eher performativ und ist letztlich nicht effektiv genug, die Bevölkerung im Gazastreifen zu schützen.
Heute droht die Bodenoffensive in Gaza-Stadt mehr als eine Million Menschen erneut in den Süden Gazas zu vertreiben. Wo genau die vertriebene Bevölkerung Nordgazas leben soll, bleibt unklar. Ende August publizierte die IDF eine Karte auf Social Media, auf der «leere» Zonen zu finden sind, die von der palästinensischen Bevölkerung aus dem Norden als Zufluchtsorte genutzt werden sollen.
Bei den «weiten menschenleeren Gebieten», von denen die IDF spricht, handelt es sich um knapp 7,1 Quadratkilometer Land. Der grösste Teil davon, rund 6 Quadratkilometer, liegt zusätzlich in militarisierten Zonen und ist dementsprechend von der palästinensischen Bevölkerung evakuiert worden.
Rund um den von Katar gebauten Apartmentkomplex Hamad City liegt die grösste «leere» Zone. Satellitenbilder zeigen, dass die israelischen Evakuierungsbefehle, die Bevölkerung immer wieder aus dem Gebiet vertreiben. So wurde der Block 89, in dem sich die Zone befindet, am 16. August 2024 mit einem Evakuierungsbefehl verhängt, worauf die Zelte verschwinden.
Dasselbe passiert im Juli 2025 als Anfang Monat der Block erneut durch einen Evakuierungsbefehl vertrieben wird, sind bis am 18. Juli fast keine Zelte mehr sichtbar. Bis heute steht der Block 89 und somit die «leere» Zone neben Hamad City unter einem Evakuierungsbefehl. In diese Zone zu migrieren, wäre lebensgefährlich.
Doch selbst wenn alle «leeren Zonen» von Vertriebenen als Zufluchtsort genutzt werden könnten, müssten sich rund 1 Million Menschen, die zurzeit in Nordgaza und Gaza-Stadt leben, auf 7,1 Quadratkilometer zwängen, was einer Bevölkerungsdichte von rund 140'845 Menschen pro Quadratkilometer entsprechen würde.
Israels Finanzminister Bezalel Smotrich liess vor ein paar Tagen verlauten, dass die Übernahme von Nord- und Zentralgaza «in nur drei bis vier Monaten erreicht werden kann», sollte die Hamas den bewaffneten Widerstand nicht aufgeben. Die IDF bereitet sich indes mit der Rekrutierung von 60'000 Reservisten auf die Offensive in Gaza-Stadt vor und IDF-Sprecher Avichay Adraee warnte vor wenigen Tagen, dass sich die Angriffe in Gaza-Stadt bald ausweiten werden.