Es war nie sein Plan, sich vor einer Kamera auszuziehen, dabei jedes Mal einen anderen Mann zu küssen, mit ihm das Bett zu teilen – und sich damit den Lebensunterhalt zu finanzieren.
Doch gekommen ist es genau so für den 22-jährigen Berliner Louis Mast. Auf Umwegen. Mittlerweile lebt er von den Videos, die er auf OnlyFans stellt – das oft als Porno-Instagram bezeichnet wird.
Der «Angelic Boy» (dt. Engelsjunge), wie er sich selbst auf der Plattform nennt, führt hauptberuflich online Männer in Versuchung. Ein Geschäftsmodell, das nicht für alle etwas ist. Der junge Berliner möchte seine Arbeit entstigmatisieren. «Ich glaube nicht, dass ich mir dadurch die Zukunft verbaue», sagt Louis Mast gegenüber watson. Doch früher habe er das anders gesehen.
Als Mast 18 Jahre alt war und in Berlin sein Abitur absolvierte, hatte er noch andere Berufswünsche. Damals wollte er ein Studium in Social Media und Digital Marketing machen. Er hatte auch schon ein Praktikum in Aussicht bei einer Agentur. Nebenbei jobbte er bei der Fast-Food-Kette Subway.
Als trendiger, jugendlicher Berliner war er auch früh auf der Videoplattform TikTok vertreten. Dort frönte er seinen Leidenschaften: «Am Anfang filmte ich einfach alltägliche Dinge, die mir Spass machten», sagt Mast. Seine Videos drehten sich hauptsächlich um seinen Kleidungsstil, seine Pflegeroutine für Körper und die Haare und um Make-up für Männer. «Das meistgesehene Video hatte fast sieben Millionen Aufrufe», sagt der 22-Jährige.
Damals habe man noch einfach eine grosse Reichweite auf TikTok erzielen können, gerade mit freizügigen Videos oder sogenannten Thirst Traps. Videos, die Zuschauer sexuell verführen sollen. Mast begriff schnell: «Sex sells.»
Obwohl er schnell ein paar Hunderttausend Follower hatte, wollte Mast keine Karriere als Influencer starten: «Ich habe mir damals gar keine Gedanken dazu gemacht, da ich komplett mit dem Abi und mir selbst beschäftigt war.» Im letzten Schuljahr outete er sich als homosexuell. Und kurz darauf habe er seinen ersten festen Freund kennengelernt.
Mit ihm war er auch ein Jahr später noch zusammen, als Mast realisierte, dass seine Nacktbilder im Internet veröffentlicht wurden. «Bei mir meldeten sich plötzlich irgendwelche Typen auf Instagram, dass ich sie auf Tinder oder so angeschrieben hätte», erinnert er sich. Sogar ein Freund aus London habe ihm gesagt, dass seine Bilder herumgeschickt würden. Der junge Berliner war damals geschockt und ratlos, was er tun sollte. «Ich habe geweint, weil es mir so unangenehm war. Ich ging sogar zur Polizei, um abzuklären, was man tun kann», sagt Mast.
Leider waren die polizeilichen Möglichkeiten begrenzt, da die Fotos bereits weitverbreitet waren. «Mein Freund machte dann ein Witz, dass wenn die Fotos ohnehin schon geleakt wurden, ich doch noch damit Geld verdienen könne», sagt er. Denn OnlyFans sei damals immer populärer geworden.
Kurzerhand liessen sie ihren Worten Taten folgen und beide erstellten Mitte 2020 einen Account auf der Plattform. Masts Arbeitgeber – die Marketingagentur, wo er ein Praktikum absolvierte – wusste davon nichts. «Ich dachte, solange ich nur Bilder in Unterwäsche hochlade, sollte es auch kein Problem sein», sagt er.
Bereits in den ersten paar Stunden nach seiner Registrierung hatte er über 700 Euro verdient. Für den Deutschen eine stattliche Summe zum Anfang. «Ich habe das dann ein gutes Jahr lang so gemacht, bis ich im Herbst 2021 mein Studium begann», sagt er. Verdient habe er damals gut, aber das grosse Geld habe er nicht gemacht. Auch wenn er selten etwas online stellte, blieben ihm rund 200 Abonnenten treu – sie zahlten jeden Monat den Betrag von ein paar Euro.
Doch richtig startete er mit OnlyFans nicht durch, weil er zu wenig postete. Vor allem, da ihm das Studium zusetzte und auch die Beziehung zu seinem Freund, der ebenfalls auf der Plattform aktiv war, auseinanderging. «Das hatte aber nichts mit der Arbeit zu tun», beteuert Mast. Ende Jahr ging es ihm zudem gesundheitlich schlechter und im Januar 2022 entschied er sich, sein Studium abzubrechen. «Ich entwickelte eine starke Schuppenflechte und musste für eine längere Zeit ins Spital und danach in Therapie», sagt Mast.
In dieser Zeit habe er viel nachgedacht über seine Zukunft und welche Träume er hatte. Reisen wollte er mehr. Und ortsunabhängig arbeiten. Einfach frei sein. Doch dafür musste er all-in gehen und alles auf eine Karte setzen. «Im Sommer entschied ich mich, mein erstes Sextape auf OnlyFans zu veröffentlichen. Früher war mir das zu privat. Doch ich realisierte, dass ich mir die meisten Probleme nur einbildete und zu oft darüber nachdachte, vorverurteilt zu werden», sagt er. Und er habe gemerkt, dass seine Abonnenten sich nicht länger mit Unterwäsche-Fotos zufriedengeben würden.
Seine neue Strategie zeigte Wirkung. «Innert weniger Wochen erreichte ich wieder um die 1000 bezahlende Abonnenten», sagt Mast. Finanziell hat es sich gelohnt: «Ich setze zwischen 10’000 und 20'000 Franken in guten Monaten um.» Das sei für einige zwar viel Geld, doch er kenne andere schwule OnlyFans-Darsteller, welche bis zu 200’000 Franken im Monat machen würden. «Als Mann kann man besser im Porno-Business leben, wenn man schwule Videos macht als hetero», sagt er.
Doch für einen 22-Jährigen, der eine Studentenwohnung in Berlin hat, lebt es sich gut mit seinem Verdienst. Da er mit seinem Business selbstständig sei, gehe ein Grossteil davon weg.
20 Prozent der Einnahmen nimmt sich die Plattform OnlyFans selbst. Für Steuern und Notfälle lege er rund 40 Prozent zur Seite. Die Miete koste ihn knapp 700 Euro, die Krankenkasse 1000 Euro und weitere Fixkosten 1000 Euro. «Den Rest habe ich am Anfang direkt wieder ausgegeben für Freizeit, Reisen und Kleidung», sagt Mast. Mittlerweile habe er ein Spar- und Investmentsystem entwickelt. Zwischen 50’000 und 100’000 Euro möchte der OnlyFans-Darsteller im Jahr sparen und investieren, damit er für die Zukunft abgesichert sei.
Wie lange er noch auf der Plattform aktiv sei, wisse er nicht. Eine Altersbegrenzung gebe es nicht. «Es gibt kein zu alt, zu dick oder zu hässlich auf OnlyFans – man findet immer ein Publikum», sagt er. Einige Darsteller würden jedoch viel fälschen, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. «Es gibt viele, die ihren Penis digital vergrössern oder ihr Gesicht fast unkenntlich photoshoppen», sagt Mast. Er habe das nie getan, da er sich auch authentisch zeigen wolle. «Und als Mensch», sagt er.
«Ich erhalte auf allen sozialen Kanälen ungefragte Nacktfotos und unangebrachte Nachrichten.» Mast stört sich darüber, denn wenn ihm jemand Nacktbilder senden wolle, könne er das in der Chat-Funktion auf OnlyFans machen und nicht auf seinen privaten Kanälen wie Instagram oder TikTok.
Er mache OnlyFans nicht, um privat Nacktbilder von Fremden zu erhalten. «Ich mache es für meinen Lebensunterhalt», sagt er. Er würde sich wünschen, dass man ihn mehr als Mensch sehe und nicht nur als ein Sexobjekt. Es war nie sein Plan, sich vor einer Kamera auszuziehen und dafür von Fremden belästigt zu werden.
Und wie genau präsentiert er sich auf der Sexplattform? Schon ziemlich naiv.