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«Den Fritze unterstütze'»: Bei der CDU ist jetzt Ruhe angesagt

«Den Fritze unterstütze'»: Bei der CDU ist Ruhe nun erste Mitgliederpflicht

Nach der Aufregung um eine angebliche Kooperation mit der AfD haben sich die deutschen Christdemokraten in Berlin getroffen. Kritik an Merz wird kaum laut - und eine Abwesende ruft Unmut hervor.
03.02.2025, 22:3103.02.2025, 22:31
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media
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epa11872962 Chairman of the Christian Democratic Union (CDU) party and faction Friedrich Merz (L) speaks during the Christian Democratic Union (CDU) federal party conference in Berlin, Germany, 03 Feb ...
Seine Kollegen empfingen ihn mit warmem Applaus: Friedrich Merz am Montag am Parteitag der CDU in Berlin.Bild: keystone

Wenn der Anreiseweg ein Gradmesser für die Begeisterung ist, dann muss Reinhard Lienhards Euphorie gross sein: Aus dem Schwarzwald, vom anderen Ende der Republik, ist der pensionierte Mechaniker angereist, um «den Fritze zu unterstütze'», wie er im alemannisch gefärbten Tonfall seiner Heimatregion reimt. Nun sitzt er in einer Berliner Messehalle; um seinen Hals hängt ein Fernglas.

Dabei ist Lienhard kein Delegierter, ja nicht einmal CDU-Mitglied, sondern lediglich Gast. Auf einem Parteitag war er noch nie. Aber besondere Verhältnisse scheinen aus Sicht des Rentners aus Offenburg besondere Massnahmen zu erfordern: Friedrich Merz wolle wieder Ordnung schaffen, sagt Lienhard, da brauche es jede Unterstützung.

Das Publikum tut deutlich mehr, als es muss

Tatsächlich befindet sich der Chef der deutschen Christdemokraten und Kanzlerkandidat der Unionsparteien in einem kritischen Moment seiner Kampagne: Letzte Woche hat er zwei Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag eingebracht und dabei darauf gesetzt, dass ihm die AfD zu Mehrheiten verhelfen würde.

Was die linke Konkurrenz, aber auch die Kirchen und einige Bürgerliche als unverzeihlichen Tabubruch betrachten, dürfte aus Merz' Sicht der Versuch eines Befreiungsschlags gewesen sein. Aber wie sehen es seine christdemokratischen Kollegen? Parteitage in Wahlkampfzeiten sind Jubelveranstaltungen. Interne Konflikte werden begraben oder vertagt; es gilt, Geschlossenheit zu demonstrieren. Das galt auch am Montag in Berlin.

Als Merz die Halle betritt, tut das Publikum aber doch deutlich mehr, als es müsste: Mehrmals muss – oder darf – der Kandidat anheben («Liebe Freundinnen und Freunde»), bevor die stehenden Ovationen enden. Die grosse Frage, die alle im Raum interessieren dürfte, handelt Merz kurz und ganz am Anfang seiner Rede ab: Eine Zusammenarbeit mit der AfD habe es nie gegeben und werde es auch nie geben.

Dafür erhält er nochmals lang anhaltenden Applaus. Als dieser verebbt ist, tut Merz, was er in seinen Reden gerne tut. Er wendet sich den grossen Linien zu: Ukraine, Amerika, die Lage der deutschen Wirtschaft.

Angela Merkels Intervention verpufft wirkungslos

Auch am Ende klatschen die Delegierten ausgiebig. Ob sie tatsächlich von Merz' Kurs überzeugt sind oder darauf setzen, dass Erfolg noch mehr Erfolg nach sich zieht, ist schwer zu sagen. Doch ein schlechtes Wort über Merz ist in der Halle kaum zu hören, auch nicht von denen, die als Kritiker des Parteichefs gelten.

In der Lobby steht der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. An den Abstimmungen der letzten Woche hat er nicht teilgenommen. Seiner Merz-kritischen Haltung bleibt er treu, doch bringt er sie eher zwischen den Zeilen zum Ausdruck: «Wir sind eine christlich-demokratische Union, keine konservative Volksunion», sagt Kiesewetter im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Betonung legt er dabei auf das Wort «christlich». Die grossen Kirchen haben Merz dafür kritisiert, die Zustimmung der AfD wenn nicht gesucht, so doch in Kauf genommen zu haben.

Merz' Forderungen zur Migrationspolitik finde er richtig, doch hätte man diese auch mit der Bundestagswahl vom 23. Februar zur Abstimmung stellen können, sagt Kiesewetter. Vor allem die russlandfreundliche Haltung der AfD stört den Militärpolitiker: Wer gemeinsam mit einer solchen Kraft abstimme, sorge für Misstrauen unter den europäischen Nachbarn. Ob Merz einen Fehler gemacht habe? «Ich weiss nicht, wer ihn beraten hat», antwortet Kiesewetter knapp. Wer in der CDU derzeit Widerspruch gegen den Parteichef äussert, wägt seine Worte sorgfältig.

Reinhard Lienhard, der Pensionär aus dem Schwarzwald, ist mit Merz' Auftritt zufrieden. Angela Merkel, die ihren Nachfolger an der Parteispitze für seine Abstimmungsmanöver gerüffelt hat, habe einen Berg von Problemen hinterlassen und meine nun, alles besser zu wissen.

Seinen Unmut über die frühere Kanzlerin, die ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Partei pflegt und sich an deren Treffen schon seit Jahren nicht mehr sehen lässt, dürften in der Halle viele teilen. Dabei ist Lienhard alles andere als ein eingefleischter Konservativer: Vor Jahrzehnten habe er auch einmal SPD gewählt, wegen Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Nur ein Häuflein von Demonstranten harrt aus

Nun, da sie versuchten, Merz in die rechte Ecke zu rücken, stellten sich die Sozialdemokraten auf einmal als Partei der Mitte dar, ärgert sich der Pensionär. Tatsächlich lässt die SPD auf die Tribüne einer früheren Autorennbahn, die sich gegenüber der Messehalle befindet, die Slogans «Mitte statt Merz» und «Bei Blau-Schwarz sehen wir Rot» projizieren.

Die Zahl der Demonstranten, die sich dort versammelt hat, ist allerdings überraschend gering. Davon, dass sich die Halle im Belagerungszustand befinden würde, wie einige erwartet hatten, kann keine Rede sein, vielleicht auch, weil die Umgebung weiträumig abgesperrt wurde und Berliner Februartage in der Regel kalt sind. Vorerst scheint sich die Aufregung um Merz etwas gelegt zu haben. Ob auch die Christdemokraten ruhig bleiben, wird davon abhängen, wie sich die Ereignisse der letzten Woche in den Umfragen der nächsten Tage niederschlagen. (aargauerzeitung.ch)

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