Am Mittwoch kam es in Deutschland zu zwei Weichenstellungen. Erst entschieden die Grünen und die FDP, mit der SPD Verhandlungen über eine Ampel-Koalition aufzunehmen. Einfach werden diese Gespräche nicht, es gibt beträchtliche Differenzen, und doch deutet fast alles darauf hin, dass Olaf Scholz der nächste Bundeskanzler sein wird.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet wollte sich damit nicht einfach abfinden. Man respektiere den Entscheid, stehe aber «zu weiteren Gesprächen bereit», sagte der CDU-Vorsitzende kurz vor 13 Uhr im heimatlichen Düsseldorf. Nur zehn Minuten später waren aus München ziemlich andere Töne zu vernehmen.
Die «klare Vorfestlegung von Grünen und FDP» sei «de facto eine Absage an Jamaika», meinte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Zwar betonte auch er die Gesprächsbereitschaft der Union, aber CDU und CSU dürften «nicht das Ersatzrad sein». Sehr wahrscheinlich werde man nicht an der nächsten Regierung beteiligt sein.
Für deutsche Medien war klar, dass Söder den letzten Strohhalm geknickt hatte, an den sich Armin Laschet noch klammerte. Söder habe für Laschet «die grösste aller Demütigungen gewählt» und ihn zur tragischen Figur gemacht, kommentierte das Magazin «Focus». Der CSU-Chef werde politisch überleben, «stärker denn je», Laschet aber kaum.
Aus der Politik waren die Reaktionen noch heftiger. Die CDU-Nachwuchshoffnung Diana Kinnert bezeichnete Söders Auftritt bei «Markus Lanz» im ZDF als «offene Sabotage». Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle schimpfte auf Twitter über «die permanenten CSU-Blutgrätschen» gegen Armin Laschet und bezichtigte Söder der «Obstruktion».
Kuhles Frust ist nachvollziehbar. Er hatte sich nach der Bundestagswahl deutlich für eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen ausgesprochen. Diese Option ist nun in die Ferne gerückt. Markus Söder aber dürften die Anfeindungen kalt lassen. Der machtbewusste Nürnberger ist überzeugt, dass er der bessere Kanzlerkandidat der Union gewesen wäre.
Ohne die permanenten CSU-Blutgrätschen gegen Armin Laschet könnten wir morgen Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition beginnen. Dass Söder heute gegen Jamaika schießt, obwohl FDP und Grüne diese Variante explizit offen lassen, setzt seiner Obstruktion die Krone auf.
— Konstantin Kuhle (@KonstantinKuhle) October 6, 2021
Seine Bewerbung scheiterte am Vorstand und den Fraktionsmitgliedern der CDU, die sich aus Loyalität für ihren Vorsitzenden Laschet entschieden – und weil sie dem Chef der viel kleineren bayerischen Schwesterpartei nicht den Vortritt lassen wollten. Söder fügte sich im Wissen darum, dass er bei der CDU-Basis mit seinem Macher-Image gepunktet hätte.
Im Wahlkampf stellte er sich vordergründig loyal hinter Armin Laschet, doch gleichzeitig liess er kaum eine Gelegenheit aus, um gegen ihn zu sticheln. So warf er Laschet einen «Schlafwagen-Wahlkampf» vor. Und CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte dem «Spiegel» noch kurz vor der Wahl: «Natürlich stünden wir mit Markus Söder besser da.»
Schon zwei Tage nach der Bundestagswahl flammte der Machtkampf in der Union erneut auf. Während Armin Laschet trotz des desaströsen Ergebnisses den Grünen und der FDP Avancen machte, gratulierte Söder Olaf Scholz zum Wahlsieg und meinte, der SPD-Kandidat habe derzeit «eindeutig» die besten Chancen, Kanzler zu werden.
Rückenwind erhielt Söder durch eine Nachwahlbefragung des Instituts Forsa. Demnach hätte die Union mit dem CSU-Chef als Kanzlerkandidaten mehr als 30 Prozent der Stimmen bekommen und die Bundestagswahl klar gewonnen. Damit ist der bayerische Regierungschef mehr denn je der Mann, an dem in der Union kein Weg vorbei führt.
Bereits wird spekuliert, dass Söder im Fall eines Scheiterns der Ampel-Gespräche doch noch Bundeskanzler einer Jamaika-Regierung werden könnte. Für den «Spiegel» ist dies wenig wahrscheinlich. Das Agieren des CSU-Chefs gegen Armin Laschet habe «Söders Popularität in der CDU nicht gerade erhöht». Und ohne die geht für ihn nichts.
Beobachter glauben ohnehin, dass der 54-jährige Söder eher die bayerische Landtagswahl in zwei Jahren im Visier habe. Bei der Bundestagswahl stürzte seine CSU auf fast 30 Prozent ab. Zu den Zeiten des legendären «Übervaters» Franz Josef Strauss – Söders grosses Vorbild – in den 1970er Jahren war der Wähleranteil fast doppelt so hoch.
Gegen eine Ampel in Berlin könne Söder einfacher Wahlkampf betreiben, so die Einschätzung. Falls er die Bayernwahl mit einem starken Ergebnis gewinnt, könnte er sich in vier Jahren erst recht für die Kanzlerkandidatur der Union aufdrängen. Die Zeit scheint für ihn zu spielen, was sich über Armin Laschet definitiv nicht behaupten lässt.
Für seinen Absturz suchen Schweizer Medien teilweise spezielle Gründe. Eine Schmutzkampagne von «SPD-Influencern» habe den eigentlich harmlosen Mitte-Politiker zur Witz- und Hassfigur gemacht, meint der «Tages-Anzeiger». Und für die NZZ haben die deutschen Medien Laschet herunter- und damit abgeschrieben.
Letztlich aber ist der joviale Rheinländer primär an sich selbst gescheitert. Und am fast zwei Meter grossen Machtmenschen aus Nürnberg, der ihn genüsslich «zerlegt» hat.
Aber sein Ego und die Hinterzimmermauschler Schäuble und Boffier haben ihn durchgedrückt - an der Bundestagswahl wurde nun die Rechnung präsentiert.
Wenn er noch etwas Anstand und Würde hat sollte Laschet zurücktreten.