Es ist der 23. August des vergangenen Jahres, kurz vor Mittag. Zelimkhan Khangoshvili, georgischer Staatsbürger, seit 2016 in Berlin, macht sich auf zum Freitagsgebet in die Moschee. Er durchquert den Stadtpark «Kleiner Tiergarten» im Bezirk Moabit. Von hinten nähert sich ihm ein Mann auf einem Mountainbike. Basecap, Perücke, Sonnenbrille. Es ist der Killer von Khanghoshvili.
Als der Mann auf dem Mountainbike den Georgier eingeholt hat, drückt er unvermittelt ab. Ein Schuss in den Oberkörper. Als das Opfer am Boden kauert, schiesst der Mörder dem 40-Jährigen zwei Mal in den Kopf. Dann will er abhauen. Zieht sich hinter einem Gebüsch um, wirft sein Velo in die nahe Spree. Ein Motorroller steht für die Flucht bereit.
Der Mörder steht seit diesem Mittwoch in Berlin vor Gericht. Der Richter wird ihn während des Prozesses mit «Herr Angeklagter» ansprechen, weil die Identität des mutmasslichen Killers nicht restlos geklärt ist. Offiziell handelt es sich bei dem Russen um Vadim Sokolov, aber die Behörden sind sich sicher, dass es sich in Wahrheit um Vadim Krasikow handelt.
Ein Mann, der schon in der Vergangenheit als Killer aufgetreten war. 2013 soll er in Moskau einen Geschäftsmann nach gleichem Muster erschossen haben - auf dem Velo angenähert und von hinten kaltblütig erschossen.
Krasikow war auf der Fahndungsliste der russischen Behörden, doch 2015 verschwand der Killer dann plötzlich von dieser. Mutmasslich wurde Krasikow von den russischen Geheimdiensten gefasst und für ein Killer-Kommando in Berlin ausgebildet.
Mit gefälschtem Pass und Schengen-Visum reiste Krasikow im August 2019 zuerst von Moskau nach Paris, danach nach Warschau, wo er - in beiden Städten - Sehenswürdigkeiten abklapperte. Seine Spur in Warschau verlor sich plötzlich - bis er in Berlin im Kleinen Tiergarten wieder aufgetaucht war. Jugendliche beobachteten die Tat, die Polizei konnte den Mann noch am selben Tag festnehmen. Zu den Vorwürfen schweigt er.
Der Prozess ist hochbrisant - sofern der Killer über seine wahre Identität auspackt, seine mutmasslich beim russischen Geheimdienst arbeitenden Hintermänner nennt und erläutert, wer ihn in Berlin bei der Tatvorbereitung unterstützt hat. Denn irgendwer muss das Opfer beobachtet und den Killer mit einer Waffe ausgestattet haben.
Das Opfer Khangoshvili war verhasst bei der russischen Regierung. Im zweiten Tschetschenien-Krieg kämpfte er auf Seiten der Islamisten gegen die russischen Streitkräfte. Wladimir Putin musste verärgert zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland dem Georgier 2016 Asyl gewährt hatte. Putin macht keinen Hehl daraus, dass er das Opfer für einen Staatsfeind hält.
«In Berlin wurde ein Krieger getötet, der in Russland gesucht wurde, ein blutrünstiger und brutaler Mensch», sagte Putin im Dezember im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel. Dennoch weist der Kreml jegliche Verstrickung des russischen Geheimdienstes in den Mordfall von sich. Eine Reaktion, die zu erwarten war.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Konsequenzen gegenüber Moskau angekündigt, sollte sich der Vorwurf der Generalbundesanwaltschaft bestätigen, dass der Killer für «staatliche Stellen der Zentralregierung der russischen Föderation» gehandelt hatte, wie es in der Anklageschrift heisst.
Prinzipiell könnte das Gericht die politische Komponente des Falls ausblenden und den Mann in einem knappen Verfahren des Mordes schuldig sprechen. Das würde der Bundesregierung ersparen, das ohnehin angespannte deutsch-russische Verhältnis weiter strapazieren zu müssen. Denn auf einen Akt von Staatsterrorismus auf deutschem Boden muss Merkel in irgendeiner Form reagieren.
Bislang blieb der deutsche Protest milde. Nach dem Mord im Kleinen Tiergarten wurden zwei russische Diplomaten aus Deutschland gewiesen. Der Prozess dauert bis Januar 2021. (bzbasel.ch)