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Fischsterben in der Oder: Umweltministerium hält Akten unter Verschluss

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Freiwillige holen tote Fische aus der Oder: Laut dem deutschen Bundesumweltministerium wurden mittlerweile rund 300 Tonnen Fischkadaver geborgen.Bild: keystone

Massen-Fischsterben in der Oder: Umweltministerium hält Akten unter Verschluss

Wenn es um das massenhafte Fischsterben im Grenzfluss Oder geht, fordert die deutsche Umweltministerin von Polen volle Transparenz. Selber allerdings mauert die Grünen-Politikerin.
23.09.2022, 20:4523.09.2022, 20:45
Jonas Mueller-Töwe / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Tote Fische. Tonnenweise. Mitte August begannen die Ufer der Oder nach Fäulnis und Verwesung zu stinken, als die Kadaver angeschwemmt wurden. Vielleicht eine rätselhafte Seuche, vermuteten Anwohner.

Giftige Chemikalien, mutmasste die polnische Presse. Algenpest, verursacht durch Dürre und mit Salzlake verunreinigtes Wasser, heisst es nun.

Bis heute bleibt das nie dagewesene Fischsterben in Deutschlands viertlängstem Fluss, die hierzulande grösste Umweltkatastrophe seit Jahrzehnten, ein Stück weit ein Mysterium. Und bis heute reisst die Kritik an den Behörden nicht ab.

Problem: Mangelnde Transparenz

Zu spät reagiert, zu behäbig gehandelt, zu wenig gewarnt und kommuniziert: Besonders das von der deutschen Grünen-Politikerin Steffi Lemke geführte Bundesumweltministerium steht unter Druck. «Ein Vertrauensverlust in der Bevölkerung, sollten die Hintergründe des Fischsterbens an der Oder nicht geklärt werden», befürchtete die Ministerin zwar persönlich. Von Polen, wo eine Ursache des Fischsterbens vermutet wird, forderte sie maximale Transparenz.

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Die polnische Umweltministerin Anna Moskwa (links) und ihre deutsche Kollegin Steffi Lemke.Bild: keystone

Doch nun stellt sich heraus: Besonders an Transparenz hinsichtlich des Handelns des eigenen Hauses besteht im Bundesumweltministerium offenbar wenig Interesse. Geht es nach der Behörde, soll keine der deutschen Akten zum massenhaften Fischsterben an die Öffentlichkeit gelangen – sie sollen sprichwörtlich in den Giftschrank.

t-online beantragte vor Wochen Auskunft nach dem Umweltinformationsgesetz. Doch ein öffentliches Interesse an den Unterlagen sei nicht ersichtlich, teilte eine Sprecherin nun mit. Um seine eigene Blockadehaltung rechtfertigen zu können, bemüht das Ministerium, was die Gesetzeslage vermeintlich hergibt.

  • Der interne Schriftverkehr zu Giftverdacht und Massensterben? Jede Zeile müsse intern bleiben, um «die Unbefangenheit einzelner Meinungsäusserungen und die Offenheit der Kommunikation (...) für die behördliche Entscheidungsfindung» zu schützen. Zumal «die Bekanntgabe der Informationen nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen hätte».
  • Der Schriftverkehr mit den Landesministerien und anderen Ressorts auf Bundesebene? Sei ebenfalls vor öffentlicher Einsicht geschützt, da sonst «zukünftig die Unbefangenheit der Meinungsäusserung zwischen den beteiligten Stellen» beeinträchtigt sein könnte. Zumal «die Bekanntgabe (...) nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen hätte».

Deshalb gibt das Ministerium keine Seite der vorhandenen Akten frei. Nicht über den Austausch mit der EU-Kommission, nicht über den Schriftverkehr mit den polnischen Behörden, nicht zu den vorbereitenden Besprechungsunterlagen der Ministerin und der Staatssekretäre.

Was hingegen gern eingesehen werden darf, sind Verlautbarungen, die längst öffentlich sind, etwa Pressemitteilungen und die Musterantwort auf Bürgeranfragen.

Wenn Behörden mauern

Das Verhalten des Bundesumweltministeriums ist auch deshalb bemerkenswert, weil nicht einmal die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern einen derart restriktiven Umgang mit Dokumenten pflegte. Und dort ging es um die ominöse «Klimastiftung» für Nord Stream 2. In Schwerin galten Akten zeitweise sogar als verschwunden.

Bundesländer kritisierten Umweltressort

Die Erfahrung lehrt: Behörden mauern dann besonders, wenn sie etwas zu verbergen haben. Ob das im Fall des Bundesumweltministeriums auch so ist, lässt sich ohne Akteneinsicht naturgemäss nicht klären. Doch für die Hausspitze um Ministerin Lemke könnte es neben angeblichen gesetzlichen Hürden manchen politisch heiklen Grund geben, warum sie hinsichtlich der Fischkatastrophe in der Oder nicht mit offenen Karten spielen möchte.

Da wäre zum einen die scharfe Kritik aus Bundesländern und Verbänden, dass Lemkes Ressort wochenlang nicht auf die Warnsignale in der Oder – wie erhöhte Messwerte – reagierte und sich erst einschaltete, als die Kadaver bereits massenhaft den Fluss heruntertrieben.

Vorwürfe in Richtung Polen

«Es gibt ja doch ernstzunehmende Hinweise, dass es einen Chemieunfall in Polen gegeben haben soll. Ich finde es bemerkenswert, dass wir von der Bundesebene bis heute überhaupt nicht darauf eingestellt worden sind», hatte Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) am 12. August zu Protokoll gegeben – also fast zwei Wochen, nachdem erstmals massenhaft tote Fische gefunden worden waren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), stehen am 06.06.2017 in der Naehe von Sassnitz (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Insel Ruegen ...
Till Backhaus, hier bei einem Medienauftritt mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel.archivBild: dpa-Zentralbild

Angler- und Fischereiverbände äusserten sich wenig später ähnlich. Konkrete Massnahmen zum Bevölkerungsschutz habe es anfangs nicht gegeben, Wasserproben seien lange nur punktuell entnommen worden.

Kommunalpolitiker schlugen in dieselbe Kerbe. Deswegen könnte der Schriftverkehr des Ministeriums durchaus klären, wann genau das Ministerium von dem Fischsterben wusste, was zum Schutz von Mensch, Tier und Kommunen getan wurde – und ob es dabei politische Versäumnisse gab.

Zum anderen ist eben diese Frage mittlerweile zu einem bilateralen Politikum zwischen Deutschland und Polen geworden. So mancher Vorwurf, der aus Behörden, Kommunen und Verbänden zunächst den Bundesländern gemacht wurde und der schliesslich beim Bundesministerium landete, wurde im August – zu Recht oder zu Unrecht – nur allzu gern direkt weiter nach Polen delegiert. Dort habe man nicht früh genug gewarnt, Meldeketten nicht eingehalten. Das erschwere die Identifikation der Ursachen, hatte Lemke gesagt. Sprich: In Polen liege die Verantwortung.

«Bewertungen zu Positionen Polens»

Das hörte man dort allerdings gar nicht gern. Die polnischen Ministerien und Behörden nannten so etwas «Falschmeldungen», stehen im eigenen Land allerdings tatsächlich ebenfalls stark in der Kritik, nicht rechtzeitig gehandelt oder die Katastrophe womöglich sogar verschuldet zu haben. Fehler wurden bereits eingeräumt – allerdings gepaart mit dem Vorwurf an Deutschland, ebenfalls Informationen nicht rechtzeitig weitergeleitet zu haben.

Wie geht es weiter?

Auch was an diesen gegenseitigen Vorwürfen dran ist und wie gross das daraus resultierende Zerwürfnis zwischen Polen und Deutschland ist, könnten die zurückgehaltenen Akten des Bundesumweltministeriums wohl aufklären. Was das Ministerium nicht einmal bestreitet. «Die betreffenden Dokumente enthalten auch Bewertungen zu dem Handeln und den Positionen Polens, deren Bekanntgabe nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen mit Deutschland haben könnten», teilte es t-online mit.

epa10122062 A flexible dam is deployed as part of the cleaning operation of the Oder River after thousands of dead fish washed up on the river banks, in Krajnik Dolny village, Poland, 15 August 2022.  ...
archivBild: keystone

Inzwischen wurde eine polnisch-deutsche Expertengruppe eingesetzt, die die Ursache des Fischsterbens aufklären soll. Konkrete Ergebnisse sind für Ende September versprochen. Derzeit weiss man wenig mehr, als dass die Dürre und der hohe Salzgehalt zu einer ungewöhnlichen Blüte der giftigen Goldalge geführt haben.

Mitverantwortlich seien laut Lemke «menschengemachte Einleitungen». Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei spricht vom massiven Zufluss von Salzlake in Polen über mehr als eine Woche.

Wie das aber offiziell gemacht werden soll, ohne die polnische Regierung zu verärgern, darüber rätselt vielleicht auch manch einer der Beteiligten der Expertengruppe noch.

Gut möglich also, dass in den deutsch-polnischen Beratungen nun nicht nur die Ursache für die Naturkatastrophe gesucht wird – sondern auch ein gemeinsamer Modus vivendi, sie zu kommunizieren. Dabei kämen interne Dokumente, die öffentlich werden, sicher nicht gerade recht.

Und die Ursache?

Eine Expertengruppe, aber ...
Eine deutsch-polnische Expertengruppe geht der Ursache des Fischsterbens in der Oder nach. Doch auf einen Befund können sie sich möglicherweise nicht einigen.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) rechnet mit zwei unterschiedlichen Abschlussberichten der deutsch-polnischen Expertengruppe zur Vergiftung der Oder. «Ich wäre nicht überrascht, wenn Ende des Monats zwei Berichte mit unterschiedlichen Darstellungen vorliegen», sagte Sascha Maier, BUND-Referent für Gewässerpolitik, t-online. «Äusserungen von Mitgliedern der polnischen Regierung deuten darauf hin, dass von einer menschlichen Ursache als Auslöser abgelenkt werden soll.»

Nach dem massenhaften Fischsterben im Fluss hatten deutsche und polnische Behörden eine gemeinsame Expertengruppe gebildet, um der Ursache nachzugehen. Ergebnisse werden für Ende September erwartet. Bislang weisen Untersuchungen auf eine giftige Algenblüte hin, die durch Dürre und hohen Salzgehalt des Wassers verursacht wurde. Unterschiedliche Ansichten gibt es zur Ursache der Salzkonzentration. Bundesumweltministerium und das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei gehen davon aus, dass in Polen massiv Salzlake eingeleitet wurde. Polnische Regierungsvertreter bezweifeln das.

«Ich gehe davon aus, dass der Bewertungsbericht für das Bundesumweltministerium die industriellen Einleitungen als Ursache benennen wird», sagte Maier t-online. «Das muss aber nicht heissen, dass sich dies in einem gemeinsamen deutsch-polnischen Bericht so wiederfinden wird.»

Bereits in der Vergangenheit habe es beispielsweise keinen Konsens zwischen Deutschland und Polen gegeben, wie der Grenzabschnitt der Oder gemäss der europäischen Wasserrahmenrichtlinie zu bewerten ist.

Quellen

  • Eigene Recherchen von T-Online
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Rätselhaftes Fischsterben in der Oder
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Rätselhaftes Fischsterben in der Oder
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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pablo Chrütlischwur
23.09.2022 22:22registriert September 2022
Politiker und Transparenz? Das hat noch nie funktioniert
332
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Schlaf
23.09.2022 21:15registriert Oktober 2019
Hier beginnt der Fisch definitiv am Kopf zu stinken.
332
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Tunella
23.09.2022 22:58registriert September 2015
Der Fisch stinkt vom Kopf her?
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