Seit Tagen treiben tote Fische in der Oder, die in ihrem Unterlauf die Grenze zwischen Deutschland und Polen bildet. Das massive Fischsterben in einem der mächtigsten Flüsse Mitteleuropas hält die Behörden beidseits der Grenze in Atem. Was man bisher weiss und was noch unklar ist, fassen wir hier in 9 Punkten zusammen.
Die Oder im Grenzgebiet von Polen und Deutschland ist Schauplatz eines beispiellosen Fischsterbens: Ende Juli wurde eine Zunahme von toten Fischen im Fluss verzeichnet; in den ersten beiden Augustwochen nahm die Zahl der Fischkadaver dramatisch zu.
Am 10. August warnte die Stadtverwaltung von Frankfurt an der Oder davor, Fische aus dem Fluss zu essen oder mit dem Wasser in Kontakt zu kommen. Hunderte von Helfern begannen im Oder-Grenzgebiet damit, tonnenweise Fisch-Kadaver einzusammeln. Allein am 13. August wurden – nur im Landkreis Märkisch-Oderland – rund 20 Tonnen Kadaver aus dem Fluss geholt. Angler sprachen von einer «ökologischen Tragödie», Politiker bezeichneten das Fischsterben als Umweltkatastrophe.
Erste Hinweise auf das Fischsterben trafen erst am 9. August in Deutschland ein. Ein Schiffsführer meldete dem Landeslabor Berlin-Brandenburg, dass zahlreiche tote Fische auf der Oder trieben. Deutsche Behörden bemängeln, dass von polnischer Seite keine Informationen übermittelt worden seien; dies sei erst geschehen, als bereits tausende von Kadavern auf der Oder trieben. In Polen sollen Regierungsstellen vom 26. bis 28. Juli Hinweise erhalten haben, dass grosse Mengen an verendeten Fischen auf der Oder trieben. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wurde indes erst am 10. August über die Katastrophe informiert. Zwei Tage später entliess er deswegen den Chef der Wasserbehörde und den Leiter der Umweltbehörde.
Mittlerweile ist der gesamte Verlauf der Oder entlang des Bundeslandes Brandenburg von der Umweltverschmutzung betroffen, ebenso das gegenüberliegende polnische Ufer. Insgesamt sind 500 Kilometer Flusslauf betroffen. Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, das Anteil am Stettiner Haff hat, sind bisher keine Fischkadaver aus dem deutschen Teil des Haffs gemeldet worden. Im Mittellauf der Oder dürfte das betroffene Gebiet mindestens bis zum Gleiwitzer Kanal in Oberschlesien hinaufreichen – dort gab es vermehrt verendete Fische, wie eine Internetzeitung am 2. August berichtete.
Gerechnet wird damit, dass auch die polnische Stadt Stettin, die an der Oder kurz vor deren Einmündung in das Stettiner Haff liegt, bald vom Fischsterben betroffen sein wird. Auch das Haff selber, das mit rund 900 Quadratkilometern etwa doppelt so gross ist wie der Bodensee, dürfte von den Auswirkungen der giftigen Fracht im Oderwasser betroffen werden. Der Chef der polnischen Gebietsadministration der Woiwodschaft Westpommern, Zbigniew Bogucki, sagte am Montag, die Kontaminationswelle sei noch nicht im Haff oder in Stettin angekommen. «Sie wird also noch kommen.» Vom Haff verlaufen Wasserverbindungen zur Ostsee.
Die Ursachen des Fischsterbens sind noch unklar. Die Untersuchungen sind nach wie vor im Gang. «Es kann noch mehrere Tage dauern, bis wir alle Stoffe, die wir für möglich halten, dann auch durchgecheckt haben», erklärte der Umweltminister von Brandenburg, Axel Vogel, am Montag. Er sagte auch, Hinweise aus Polen, wonach der hochgiftige Stoff Mesitylen in die Oder gelangt sei, hätten sich in Brandenburg nicht bestätigt. «Von polnischer Seite wird signalisiert, dass sie keine Schwermetalle und insbesondere auch kein Quecksilber in den Fischen gefunden haben», sagte Vogel.
Die polnische Umweltministerin Anna Moskwa teilte ebenfalls mit, Quecksilber als Ursache könne aufgrund von Tests des staatlichen Veterinärinstituts ausgeschlossen werden. In polnischen Labors wird derzeit nach rund 300 Stoffen gefahndet, darunter gezielt nach Insektiziden im Wasser und in den Fischkadavern.
Laut Moskwa haben Wasserproben einen erhöhten Sauerstoffgehalt ergeben. Dies sei für die Sommerperiode und den niedrigen Wasserstand ungewöhnlich. Mögliche Ursache dafür könnte ein Oxidierungsprozess des Wassers sein, was darauf hindeute, dass chemische Substanzen eingeleitet worden seien. «Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen», sagte Ministerpräsident Morawiecki. Um eine mögliche Täterschaft dingfest zu machen, hat Polen eine Belohnung von mehr als 200'000 Euro ausgesetzt.
Das brandenburgische Umweltministerium teilte letzte Woche mit, nach ersten Analyseergebnissen sei am 8. August eine «starke Welle organischer Substanzen» durch die Oder bei Frankfurt gegangen. Dies nährte Spekulationen, auf polnischer Seite könnten Staustufen und Rückhaltebecken geöffnet worden sein, um eine mögliche Verschmutzung des Flusses schneller wegzuspülen. Die polnische Wasserbehörde dementierte dies. Der kurzzeitige Anstieg des Wassers sei auf heftige Regenfälle in Tschechien zurückzuführen.
Auffällig ist zudem ein hoher Salzgehalt in der Oder, der von aktuellen Labortests in Polen nachgewiesen worden ist. Diese erhöhten «Salzfrachten» – im Wasser gelöste Salze – könnten ebenfalls im Zusammenhang mit dem Fischsterben stehen. Der brandenburgische Umweltminister Vogel glaubt jedoch, dass es mehr als nur eine Ursache für das Fischsterben gibt. So hätten die Dürre und der niedrige Wasserstand sicher einen Anteil daran.
Zur Bergung der Fischkadaver – in bestimmten Uferbereichen der Oder breitet sich bereits ein unangenehmer Geruch aus – und zur Warnung von Anwohnern, mit dem Wasser in Kontakt zu kommen, sind sowohl auf deutscher wie polnischer Seite zahlreiche Helfer im Einsatz. Allein in Polen sind es nach Angaben des Innenministeriums 2000 Polizisten, mehr als 300 Feuerwehrleute sowie 200 Soldaten. In Deutschland sind im Kreis Märkisch-Oderland auf rund 80 Kilometern Länge etwa 300 Einsatzkräfte im Einsatz.
Ölsperren wurden eingerichtet, die verhindern sollen, dass sich Fischkadaver auch im Stettiner Haff ausbreiten, wie das Umweltministerium des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern mitteilte. Die Oder mündet in das Haff. Es gehört zu zwei Dritteln zu Polen. Die Behörden des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern haben die Anwohner des Haffs vorsorglich dazu aufgerufen, nicht mehr dort zu fischen und kein Wasser mehr daraus zu entnehmen.
Die beiden Länder haben zudem eine gemeinsame Taskforce mit Experten eingerichtet, die in einem engen Austausch Ursachen ermitteln und die erforderlichen Massnahmen erarbeiten sollen. An den Beratungen in Stettin nahmen am Sonntagabend auf deutscher Seite Bundesumweltministerin Steffi Lemke und die Umweltminister der Bundesländer Brandenburg, Axel Vogel, und Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, teil. Sie trafen sich mit der polnischen Umweltministerin Anna Moskwa und dem polnischen Infrastrukturminister Andrzej Adamczyk.
Die Anwohner der Oder und des Stettiner Haffs sind von den Behörden aufgerufen worden, jeden Kontakt mit dem Wasser zu meiden. Die Stadt Frankfurt an der Oder verbot das Angeln und Baden. Man gehe davon aus, dass der Kontakt mit Wasser aus dem Fluss für Mensch und Tier gefährlich sei. Auch das Land Brandenburg rät entschieden vom Angeln und Baden ab, solange die Ursache des Fischsterbens nicht geklärt sei. Was das Grundwasservorkommen betrifft, so sagte der brandenburgische Umweltminister Vogel, er sehe keine Gefährdung.
Nach einer Schätzung des deutschen Umweltverbands Bund sind in den vergangenen Tagen bis zu 100 Tonnen Fisch in der Oder verendet. Laut einer Sprecherin der uckermärkischen Kreisverwaltung werden die stinkenden Kadaver in einer vom Landesumweltamt zugelassenen Anlage verbrannt. Die Verbrennungsanlage befindet sich auf dem Gelände der PCK-Raffinierie im brandenburgischen Schwedt im Landkreis Uckermark.
Die Folgen sind derzeit noch nicht absehbar. In Polen ist die Rede von Schäden in Millionenhöhe. Gefährdet dürfte vor allem der Nationalpark Unteres Odertal sein, der zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland gehört und normalerweise oft von Paddlern, Anglern und Ornithologen besucht wird. Der Naturtourismus könnte nach der Katastrophe stark zurückgehen.
Aus Sicht des deutschen Umweltverbands Bund ist die Katastrophe vergleichbar mit dem Sandoz-Unglück von 1986, als nach einem Brand bei der Chemiefirma in der Schweiz grosse Mengen verseuchten Löschwassers in den Rhein gelangten und ein grosses Fischsterben verursachten. Damals sei aber – anders als heute – die Quelle der Verunreinigung bekannt gewesen.
Unter den verendeten Fischen finden sich zahlreiche Arten, darunter Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeisser. Umweltschützer befürchten, dass Seeadler und andere Vögel durch den Verzehr der Kadaver Gift aufnehmen könnten. Die Auswirkungen der Katastrophe könnten so gross sein, dass sie noch über Jahre hinweg spürbar seien. Der brandenburgische Umweltminister Vogel befürchtet, dass es sich um eine Katastrophe handle, die nicht «innerhalb von einem halben Jahr durch Wiederbesiedlung mit Fischen gelöst werden kann».
Quellen:
• Wikipedia: «Umweltkatastrophe in der Oder 2022»
• Material der Nachrichtenagentur SDA
• Zeit.de: «Bundesumweltministerin geht von Chemievergiftung der Oder aus»
• rnd.de: «Das Rätsel von der Oder: Warum sterben Tausende Fische?»
(dhr)
Allerdings fällt mir kein Beispiel ein, wo der Einfluss positiv ausgefallen war.
Euch?