Deutschland ist fassungslos.
Tage nach der Flutkatastrophe wird das Ausmass der Schäden erst richtig fassbar. Knapp 160 Menschen verloren ihr Leben. Dutzende Häuser weggespült. Und noch mehr beschädigt oder unbewohnbar.
Schnell kommt die Frage auf, wie so etwas überhaupt passieren konnte. Eine britische Forscherin erhebt nun schwere Vorwürfe: Die Flut sei vorhergesagt worden – und das sogar ziemlich präzise. Dennoch blieb eine Reaktion aus.
Hannah Cloke ist Professorin für Hydrologie an der britischen Universität Reading. Sie ist eine der Mitentwicklerinnen des Europäischen Hochwasser-Warnsystems, kurz EFAS. Gegenüber der Sunday Times und Politico zieht sie eine harte Bilanz: «Monumentales Systemversagen» sei der Grund für eine der tödlichsten Katastrophen in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie sagt:
Was sie zu so einem Urteil bewegt?
Das ist die grosse Frage. Hydrologin Cloke sagte am Sonntagabend gegenüber ZDF, dass man die Daten zur Warnung über ein umfassend grosses Gebiet an Deutschland übermittelt habe. Aber:
Der Deutsche Wetterdienst (DWD), das Pendant zum Schweizer MeteoSwiss, sagte gegenüber Politico.eu, dass man alle Warnungen an die lokalen Behörden weitergegeben habe. Jedoch sagt Sprecher Uwe Kirsche: «Als Bundesbehörde ist der DWD nicht dafür zuständig, Evakuierungen oder andere Massnahmen vor Ort einzuleiten ... das ist Aufgabe der örtlichen Behörden.»
Besser reagiert hatten etwa die belgische Stadt Lüttich/Liège und etliche Städte in Luxemburg. Dort wurde die Bevölkerung angewiesen, ihre Häuser zu verlassen. Oder etwa die Niederlande, wo die Regierung schnell den Katastrophenfall ausgerufen hat.
Hatten die deutschen Behörden die Warnungen nicht ernst genug genommen? Cloke sagte, die EFAS gab eine Warnung der «Extrem-Kategorie» aus. Und weiter:
Aber die Bevölkerung habe dies offensichtlich nicht mitbekommen. Es habe sie mit Horror erfüllt, als sie die Bilder von Menschen sah, die durch das tiefe Flutwasser wateten oder fuhren. «Das ist so ziemlich das Gefährlichste, was man bei einem Hochwasser tun kann.»
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) will nichts von Behördenversagen wissen. Natürlich habe nicht alles hundertprozentig funktioniert, sonst hätte es keine Toten gegeben. Aber: «Es gab nach meinem heutigen Kenntnisstand keine grossen grundsätzlichen Probleme.»
Armin Schuster, Leiter des deutschen Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), verteidigte sich ebenfalls: «Unsere Warninfrastruktur hat geklappt im Bund. Wir haben 150 Warnmeldungen über unsere Apps und über die Medien ausgesendet.» Die Warnapp NINA (ähnlich wie etwa Alertswiss) habe neun Millionen Nutzer. Allerdings konnte er nicht sagen, wo die Menschen auch durch Sirenen gewarnt wurden – und wo nicht, schreibt der «Tagesspiegel».
#Hochwasserkatastrophe pic.twitter.com/vLTk6kHNMm
— Abdul Aisha (@abdulaisha13) July 17, 2021
Thomas Linnertz, Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), die in Rheinland-Pfalz den Katastrophenschutz koordiniert, meint: «Diese Wetterlage konnte in dieser Heftigkeit nicht so frühzeitig vorhergesagt werden, um noch mehr Massnahmen zu treffen.»
Seine Vermutung: Viele Menschen hätten die Warnungen falsch eingeschätzt. Er sagt: «Es gab schon am Mittwoch Warnungen des DWD, auch Katwarn und Nina haben ausgelöst. Viele Menschen haben jedoch gedacht, dass vielleicht der Keller volllaufen würde. Aber so hohe Pegelstände wie bei der Ahr, das hat noch niemand erlebt, das hat uns alle überrascht.»
Anders sieht das Meteorologe Jörg Kachelmann. Seiner Meinung nach hätten die Medien besser warnen sollen. Gerade jene, die Mittel hätten, über eine solche Wetterlage rund um die Uhr zu berichten und damit Leben zu retten. «Aber sie senden irgendeinen Scheiss und lassen die Leute ersaufen.»
Ich hätte mich gefreut, wenn es diesmal anders gewesen wäre.
— Jörg (@Kachelmann) July 15, 2021
Es tut weh wenn genau die, die die Mittel hätten, um eine solche Wetterlage 24/7 zu begleiten nichts tun, um Leben retten.
Aber sie senden irgendeinen Scheiss und lassen die Leute ersaufen.https://t.co/qe0OkgY6PT
Für die britische Hydrologin Cloke ist klar: Das Versagen fand auf mehrere Ebenen statt. Sie meint: «Es fehlt eine bundesweit einheitliche Herangehensweisen an Flutrisiken. Es braucht unterschiedliche Flutpläne für verschiedene Szenarien.»
Die deutschen Behörden in einem Satz beschrieben.
Da haben sich einige Verantwortliche sicher gesagt: "Wegen so ein bisschen Regen ist noch keiner gestorben."
Die sogenannten Wasserleugner und Flutgegner...
Die einen sagen: "Es war bekannt. Man hätte alle warnen können".
Und die anderen sagen: "Dafür sind wir nicht zuständig..."
Das politische Versagen und die Bürokratie ist in Deutschland echt zum kotzen.