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Schwester der toten Velofahrerin richtet Appell an Klimaaktivisten

«Methoden überdenken»: Schwester der toten Velofahrerin richtet Appell an Klimaaktivisten

Die vom tragischen Unfall schwer getroffene Angehörige hat sich auf eigene Initiative ans Nachrichtenmagazin «Spiegel» gewendet.
09.11.2022, 02:5909.11.2022, 11:31
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Nach dem Tod einer von einem Betonmischer überrollten Velofahrerin in Berlin hat deren Zwillingsschwester einen Appell an die Klimaaktivisten gerichtet. In einem Gespräch mit dem «Spiegel» rief sie die Gruppe Letzte Generation auf, ihre Protestmethoden zu überdenken.

Was hat sie den Protestierenden zu sagen?

«Ich glaube, ich würde ihnen einfach gerne das, was ich erlebt habe, erzählen, und ihnen dann gerne die Chance geben, sich einmal in diese Hölle hineinzuversetzen», sagte Anja Umann dem Nachrichtenmagazin.

Die Aktivisten müssten sich fragen, «ob es nicht vielleicht doch einen anderen Weg gibt, für das Überleben unseres Planeten zu kämpfen, ohne dass andere Menschen möglicherweise zu Schaden kommen».

epa10292182 Police intervene as Letzte Generation (Last Generation) climate activists block a road with their hands glued to the asphalt in Berlin, Germany, 07 November 2022. Letzte Generation activis ...
Die Schwester der verstorbenen Velofahrerin appelliert an die Klimaaktivisten, ihre Protestmethoden zu überdenken.Bild: keystone

«Meine Schwester und ich teilen die Ziele der Bewegung zu 100 Prozent», sagte Umann weiter. Es verletze sie aber sehr, «wie ignorant einige Klimaaktivisten den Tod von Menschen in Kauf nehmen, die sich unter Umständen selbst für Umweltschutz und andere Menschen einsetzen».

Wusste sie von der Einschätzung der Notärztin vor Ort?

Der «Spiegel»-Journalist fragt:

«Am Freitag wurde bekannt, dass die Notärztin, die ihre Schwester behandelt hat, in einem internen Vermerk schrieb, dass das Fahrzeug für die Rettung Ihrer Schwester keine Rolle gespielt hätte. Sie entschied sich, den Lkw wegfahren zu lassen, und dass sie auch so entschieden hätte, wenn sie dieses Spezialfahrzeug zur Verfügung gehabt hätte.»

Antwort der Schwester:

«Das wusste ich nicht.»

Daraufhin der Journalist:

«Die Blockade der Aktivistinnen und Aktivisten hat nach der Einschätzung der Notärztin keinen Einfluss auf die Rettung ihrer Schwester gehabt. Ändert das für Sie etwas?»

Und die Frau:

«Nein. Es ändert ja nichts daran, dass dieses Fahrzeug durch die Blockade nicht die Möglichkeit hatte, früher vor Ort zu sein. Die Tatsache, dass es behindert wurde, besteht ja weiterhin. Und es hätte ja ebenso gut sein können, dass dieses Fahrzeug das Leben meiner Schwester hätte retten können, wie zunächst anzunehmen war.»
quelle: spiegel.de

Was hält sie von drastischen Forderungen der Aktivisten-Gegner?

Auf Forderungen nach härteren Strafen für Strassenblockaden, Vergleiche mit der Terrororganisation RAF und die Präventivhaft für einige Klimaaktivisten in Bayern reagierte Umann ebenfalls mit Unverständnis.

«Ich habe den Eindruck, da reagiert Drastik auf Drastik – da kommt etwas Extremes auf, von dem ich nicht sicher bin, ob ich das so unterstütze. Ich bin jemand, der den sanfteren Mittelweg und ein Miteinander sucht, ohne Fronten zu verhärten, um Probleme zu lösen. Ich bin im Moment nicht ausreichend tief in den aktuellen Diskussionen drin, um das, was gerade passiert, für mich ausreichend einzuordnen. Aber aus der Entfernung ist das mein Gefühl.»

Was sagt sie zum Fehlverhalten ihrer Schwester im Verkehr?

Der «Spiegel»-Journalist fragt:

«An der Stelle, an der Ihre Schwester verunglückt ist, gibt es einen benutzungspflichtigen Radweg. Ihre Schwester fuhr aber auf der Strasse. Was löst das in Ihnen aus?»

Die Antwort der Zwillingsschwester:

«Natürlich stelle ich mir die Frage: Warum hast du das getan? Warum bist du nicht auf dem Radweg gewesen? Ich versuche, die Frage immer wieder zu verdrängen, um mich nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen, weil es nichts ändert. Aber sie kommt auf. Ich weiss, dass kurz vor dieser Kreuzung eine grosse Baustelle liegt. Radfahrer werden dort auf die Strasse umgeleitet, und danach ist es schwer, von der Strasse wieder auf den Radweg zu kommen. Der Radweg ist nur für etwa 100 Meter benutzungspflichtig. Man muss solche schwierigen Verkehrsstellen generell im Sinne der Radfahrer überdenken, um Unfälle zu reduzieren.»

Was war passiert?

Umanns Schwester war am Montag in Berlin von einem Betonmischer überrollt worden. Am Donnerstagabend erlag sie ihren schweren Verletzungen. Ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr hatte nach dem Unfall am Montag wegen einer Protestaktion von Aktivisten der Letzten Generation im Stau gestanden und war gemäss Angaben der Feuerwehr auch deshalb verspätet zum Unglücksort gekommen.

Die Berliner Polizei stellte in der Folge gegen zwei Protestierende Strafanzeige, unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung. Deutsche Politikerinnen und Politiker verschiedenster Parteien äusserten im Anschluss an den Unfall Kritik an den Methoden der Protestierenden.

Es gab aber auch kritische Stimmen, die von Heuchelei sprachen. Der tragische Unfall werde instrumentalisiert, um gegen Aktivistinnen und Aktivisten Stimmung zu machen, statt mit aller Kraft gegen die Klimakatastrophe zu kämpfen.

Quellen

(dsc/sda/afp)

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71 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Yolanda Hecht
09.11.2022 07:15registriert Juni 2022
So entstehen alternative Fakten: Die Schwester der Radfahrerin äussert sich entgegen den Statements der Notfallärztin und der Feuerwehr. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter wegen unterlassener Hilfe, obwohl der Einsatz des Spezialfahrzeuges von der Notfallärztin abgemeldet worden war.
Nur: Man soll sich mal vorstellen, was mit einem Menschen passiert, der unter die Räder eines 16 Tonnen-Fahrzeuges gerät!
Schon vor den Klimablockaden waren Unfälle tödlich, bei denen Fahrradfahrer von Betonmischern oder Lastwagen überrollt wurden. Diese Dramen haben andere Hintergründe, als Klimaproteste
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elfride
09.11.2022 05:37registriert September 2020
(1/2) Mein tiefstes Beileid den Angehörigen, aber bitte erwähnt fairerweise noch das: "Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete jedoch unter Berufung auf einen Einsatz-Vermerk, dass es nach Einschätzung der behandelnden Notärztin keine Auswirkungen auf die Rettung der verletzten Frau hatte, dass der sogenannte Rüstwagen nicht zur Verfügung stand. Die Notärztin habe unabhängig davon, dass das Fahrzeug im Stau stand, entschieden, auf das Anheben des Lastwagens zu verzichten." (Quelle: dpa)

Ausserdem werden Polizei und Rettungsdienst frühzeitig über die Blockaden informiert.
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Matrixx
09.11.2022 06:16registriert März 2015
Jetzt sind doch wieder die Klimaaktivisten schuld?
Letzte Woche hiess es noch, es hätte keinen Unterschied gemacht.

Na, dann bin ich ja mal gespannt, was es nächste Woche heisst. Bis dann!
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Pole soll Flughafen für Attentat auf Selenskyj spioniert haben

Polens Geheimdienst hat einen Mann festnehmen lassen, der dem russischen Militärgeheimdienst bei der Planung eines Attentats auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geholfen haben soll. Der polnische Staatsbürger sei am Mittwoch auf dem Gebiet Polens gefasst worden, teilte die Staatsanwaltschaft in Warschau am Donnerstag mit. Die Ermittler werfen ihm vor, er habe die «Bereitschaft zum Agieren für ausländische Geheimdienste gegen Polen» erklärt. Dafür drohen ihm im Falle einer Verurteilung bis zu acht Jahre Haft.

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