Fest steht: Am 7. Januar 2005 wurde Oury Jalloh in einer Arrestzelle im deutschen Polizeirevier Dessau-Rosslau leblos aufgefunden. Seine Leiche lag stark verbrannt auf einer Liege. Die genauen Todesumstände aber, die sind bis heute nicht geklärt.
Doch nun nährt ein neues Brandgutachten alte Zweifel: War es doch Mord?
Doch der Reihe nach: Der Fall Oury Jalloh in 7 Punkten.
Am Morgen des 07. Januar 2005 pöbelt Oury Jalloh in Dessau Frauen auf der Strasse an, diese rufen die Polizei. Bei der Polizei-Kontrolle wehrt sich Jalloh gegen die Beamten und wird darum festgenommen. Laut einem Gutachten hatte er knapp drei Promille Alkohol sowie Spuren von THC und Kokain im Blut.
In der Arrestzelle 5 der Polizeistation Dessau-Rosslau wird Jalloh durchsucht und auf einer feuerfesten Matratze am Boden fixiert. Dazu werden seine Hände und Füsse gefesselt, zusätzlich ist er mit Handschellen an einen Haken an die Wand gekettet. Bis dahin ein Routinefall für die Polizei.
Gegen Mittag verständigt die Polizei die Feuerwehr: In Zelle 5 ist ein Feuer ausgebrochen. Der Feuerwehrmann Lutz Kuhnhold ist als erster vor Ort. Er äusserte sich später in einer Reportage:
Oury Jalloh wurde 1968 in Sierra Leone geboren. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs (1991–2002) floh er über Guinea nach Deutschland. Dort wurde sein Asylantrag abgelehnt, er war allerdings als Flüchtling geduldet.
Jalloh hatte einen Sohn mit einer deutschen Ex-Freundin. Er durfte das Kind allerdings nur einmal besuchen. Denn die Mutter gab es nach der Geburt zur Adoption frei – ihre Familie setzte sie entsprechend unter Druck. Jalloh kämpfte um das Sorgerecht für das Kind.
Jalloh wurde wegen gewerbsmässigen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Das Urteil war zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht rechtskräftig.
Da die Zelle komplett gekachelt war, konnte ein Kurzschluss als Brandursache schnell ausgeschlossen werden. Das Tatortvideo des LKA hält bereits am Todestag Jallohs fest:
Die Staatsanwaltschaft präsentiert einen Monat nach dem Tod des Flüchtling die offizielle Version: Oury Jalloh habe sich selber angezündet. Dazu habe er ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche geklaubt. Ein Nachstellungs-Video der Behörden sollte damals belegen, dass Jalloh trotz der Fixierung die theoretischen Bewegungsmöglichkeiten gehabt habe, sich selber in Brand zu setzen. Die Staatsanwaltschaft schlussfolgert, dass Jalloh an einem «Hitzeschock» aufgrund der hohen Temperaturen des Feuers verstorben sei.
Diese Version wird schnell angezweifelt. Denn Jalloh war zuvor vorschriftsmässig kontrolliert worden, es hätte sich also kein Feuerzeug mehr in seiner Tasche befinden sollen. Spätere Untersuchungen ergaben, dass das Feuerzeug erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen wurde und nicht nach der ersten Untersuchung der Zelle.
Freunde des Verstorbenen liessen den Sarg Jallohs der muslimischen Tradition gemäss aufbahren. Während der Gedenkfeier in Deutschland ist der stark verkohlte Leichnam zu sehen. Der Anblick ruft Misstrauen hervor: Konnten Gerichtsmediziner Jalloh in diesem Zustand tatsächlich untersuchen?
Die Familie Jallohs schalten daraufhin zwei Anwälte ein, diese veranlassten eine zweite Obduktion. Dabei kommen neue Details über den Verstorbenen zum Vorschein: Jalloh hatte prämortal einen Nasenbeinbruch erlitten. Zudem waren seine Trommelfelle verletzt.
Ein Freund von Jalloh – Mouctar Bah – gründete nach diesen vielen Ungereimtheiten die «Initiative Oury Jalloh». Bah hat sich zum Ziel gesetzt, den Fall Jalloh aufzuklären – und wird dafür von der Internationalen Liga für Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.
Im März 2007 beginnt der erste Prozess im Fall Jalloh: Am Landgericht Dessau-Rosslau müssen sich die zum Todeszeitpunkt anwesenden Polizeibeamten wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie fahrlässiger Tötung verantworten. Sie werden freigesprochen.
Im Januar 2010 hebt der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts auf. 2011/12 wird der Fall neu verhandelt – der Dienstgruppenleiter wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der in den ersten Prozessen hinzugezogene Brandgutachter Klaus Steinbach räumt ein:
Denn das Brandgutachten beruhte sowohl bei diesem als auch bei den vorangegangenen Prozessen auf der Annahme, dass der Verstorbene sich selber angezündet hatte. Steinbach betont, dass sich der Zustand der Leiche oder die Todesart anhand der von ihm vorgenommenen Untersuchungen zum Brandverlauf nicht aufklären lasse.
Die Nebenklage forderte nach dieser Aussage Steinbachs ein weiteres Brandgutachten, dieser Antrag wurde im Februar 2012 abgelehnt – mit der Begründung, dass die Todesursache bereits bekannt sei:
Doch: Bis zu diesem Zeitpunkt hatten keine Ermittlungen dazu stattgefunden, ob sich Jalloh tatsächlich selber angezündet hatte.
Die «Initiative Oury Jalloh» beauftragt in der Folge den unabhängigen Brandexperten Maksim Smirnou sowie unabhängige Toxikologen und Gerichtsmediziner damit, den Brandverlauf und dessen Folgen nachvollziehbar zu machen – und abschliessend zu klären, ob sich anhand der Brandanalyse festhalten lasse, ob sich Jalloh wirklich selber angezündet haben kann.
Die Ergebnisse des Gutachters Smirnou sind eindeutig: Um ein Brandbild zu erreichen, wie es in der Zelle Jallohs vorgefunden wurde, brauche es zwingend Brandbeschleuniger. Zudem rekonstruierten die Experten der Initiative aufgrund des Blutbildes, dass Jalloh bereits bewusstlos war, als das Feuer ausgebrochen ist. Die «Initiative Oury Jalloh» reichte daraufhin Strafanzeige ein:
Und tatsächlich: Im April 2014 leitet die Staatsanwaltschaft Dessau-Rosslau ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache ein. 2017 werden die Untersuchungen in die Verantwortung der Staatsanwaltschaft Halle (Saale) gegeben.
Im November 2017 veröffentlicht das ARD Ermittlungsakten, aus denen hervorgeht, dass die Staatsanwaltschaft Dessau-Rosslau bereits ab 2014 davon ausging, dass Jalloh «mit hoher Wahrscheinlichkeit von Dritten getötet» worden sei.
Trotzdem werden die Ermittlungen 2018 eingestellt.
Die «Initiative Oury Jalloh» wirft der Staatsanwaltschaft, der Polizei in Sachsen-Anhalt sowie der Generalbundesanwaltschaft vor, dass es bei den Ermittlungen nur darum gegangen wäre den «Tabubruch», dass Jalloh von Polizisten ermordet worden sei, «mit allen Mitteln zu vertuschen».
Darum wurde ein neues Gutachten beim britischen Brandsachverständigen Iain Peck in Auftrag gegeben. Am Mittwoch werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. In der Pressemitteilung steht:
Peck baute die Zelle originalgetreu nach, um die Vorgänge in Echtzeit nachzustellen. Anhand von Dummys aus Schweinefleisch konnte Peck belegen, dass der Körper mit mindestens 2,5 Liter Benzin habe übergossen werden müssen, damit das charakteristische Brandbild aus Jallohs Zelle habe entstehen können.
Weiter:
Mit diesem neuen Gutachten im Rücken handeln die Familie und die «Initiative Oury Jalloh»: Sie erstatten Anzeige wegen Mordes gegen die Polizeibeamten des Reviers und stellen gleichfalls Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen die für die Einstellung der Mordermittlungen zuständigen Oberstaatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft.
(yam)
Krass das so was in einem Europäischen Land möglich ist. Ich hoffe die Täter werden belangt dafür!