Philipp Amthor findet nur mühsam Worte, als er am gestrigen Freitagabend in Mecklenburg-Vorpommern vor die Fernsehkameras tritt. Es ist kurz vor 20 Uhr, Mikrofone werden dicht vor seinen Mund gehalten, Scheinwerfer leuchten das Gesicht des 27-jährigen Shootingstars der CDU aus. Amthor erklärt etwas stockend, er habe immer gesagt, dass man im Zweifel persönliche Ziele hinter das Wohl der Partei stellen müsse.
Dann folgt der entscheidende Satz: «Deshalb habe ich mich heute – trotz überragender Unterstützung – entschieden, dass ich für das Amt des Landesvorsitzenden der CDU Mecklenburg-Vorpommern nicht zur Verfügung stehe.» Er wolle «keine Belastung» für die Partei sein. Stattdessen wird nun ein Landrat für die Führung des Landesverbands kandidieren.
Die Nachricht ist ein politischer Paukenschlag: Es ist das erste Mal in der Laufbahn des aufstrebenden CDU-Politikers, dass er nicht den anvisierten, nächsten Karriereschritt schafft. Auch deshalb rang er am Freitagabend so um Worte, das Scheitern kam in seiner Karriere bislang nicht vor. Doch Amthor hatte keine Wahl: Wie t-online.de erfuhr, hatten Parteifreunde ihm kurz vor der Vorstandssitzung erklärt, dass eine politische Schlammschlacht drohe, wenn er nicht freiwillig auf den Posten verzichte.
«Mehrere Funktionäre hatten lange Listen mit bohrenden Fragen zu seiner Lobbyaffäre mitgebracht. Die hätten ihn gegrillt», sagte einer der Teilnehmer danach zu t-online.de . Amthor muss gewusst haben: Wenn er sich auf den Kampf einlässt, wäre es sehr unsicher, zum Landeschef gewählt zu werden. Dieses Risiko war ihm zu gross. Doch sein Verzicht auf den Posten ist bereits der erste Schritt, um sich für höhere Ämter zu empfehlen – und sich von dem aktuellen Skandal um ihn zu befreien.
Denn Philipp Amthor, der als einer der talentiertesten Nachwuchspolitiker der Union gilt, steht im Zentrum einer grossen Lobbyismus-Affäre: Der «Spiegel» deckte vor kurzem auf, dass Amthor sich über Jahre für das New Yorker Startup-Unternehmen Augustus Intelligence eingesetzt hat. Die Firma hat lediglich das vage Geschäftsmodell der Künstlichen Intelligenz als Grundlage, trotzdem werden bei dort bereits Millionenbeträge investiert.
Amthor versuchte, seinen ganz eigenen Beitrag zum Erfolg zu leisten: Er arrangierte in seiner Funktion als Bundestagsabgeordneter für die Firma ein Treffen mit einem Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, zudem gab es einen Termin mit Verkehrsminister Andreas Scheuer.
Amthor erhielt dann 2'817 Aktienoptionen des Unternehmens und einen Direktorenposten. Zudem arbeitete er nebenher für die Kanzlei White & Case, die offenbar Verbindungen zu Augustus unterhält — von dort erhielt Amthor einen Betrag von bis zu 3'500 Euro monatlich. Dass dies versteckte Zahlungen von Augustus an ihn seien, weist Amthor zwar zurück. Doch wofür er das Geld dann sonst erhielt, wollte Amthor auf Nachfrage dem «Spiegel» auch nicht mitteilen. Nun prüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob es Ermittlungen geben wird.
Der Skandal hat Amthors rasanten Aufstieg, der bislang reibungslos verlief, ins Schlingern gebracht. Amthor tritt gern im Nadelstreifenhemd, Einstecktuch und Lackschuhen auf, oft wirkt er dabei wie ein 72-Jähriger, der im Körper eines 27-Jährigen steckt. Er vertritt erzkonservative Positionen und hat damit eine steile Karriere in der Union gemacht: 2017 zog der junge Politiker aus Torgelow in den Bundestag ein, damals mit 24 Jahren.
Wer Amthor näher kennenlernt, erlebt einen extrem strebsamen Mann, dessen politische Karriere im Zeitraffer verläuft: Bereits in seiner ersten Legislaturperiode kam er in den begehrten Innenausschuss des Bundestags, und sass kurz darauf direkt am «Kanzlertisch» bei der Weihnachtsfeier der Union. Amthor wird permanent in Talkshows eingeladen, er gibt Interviews, niemand von der CDU in seinem Alter ist öfter in den Medien. Noch vor drei Wochen schien Amthor bald in weitere CDU-Ämter zu stürmen, der Landesvorsitz der CDU in Mecklenburg-Vorpommern sollte da nur eine Zwischenstation sein.
Doch dann folgte die «Spiegel»-Enthüllung, und plötzlich steht die Frage im Raum: Ist Philipp Amthor bestechlich? Zwar veröffentlichte er ein kurzes Statement, in dem er einen «Fehler» einräumte und kündigte an, sich sowohl bei Augustus als auch bei White & Case zurückzuziehen. Zudem trat er aus dem Untersuchungsausschuss zurück, der das Attentat am Berliner Breitscheidt-Platz untersuchen sollte. Dort wird sein enger Bekannter Hans-Georg Maassen, ehemaliger und umstrittener Chef des Bundesverfassungsschutzes, noch vernommen.
Doch es entstand ein für ihn fatales Bild, denn Amthor möchte gern von sich das Image eines rechtschaffenen Arbeiters vermitteln: «Konservative Politik beginnt zuallerst damit, dass man sich anständig benimmt», sagte Amthor noch im Februar diesen Jahres.
Nun aufgetauchte Fotos vermitteln eine andere Haltung: Mal posieren Amthor und seine Verbündeten von dem dubiosen Startup vor einer Yacht, mal wurde er fotografiert, wie er ein Glas edlen Champagners in New York ansieht. Dann posiert Amthor Arm in Arm mit Hans-Georg Maassen. Die Kosten für Amthors Reisen hat wohl Augustus übernommen, was möglicherweise gegen die Auflagen, denen Abgeordnete unterliegen, verstösst.
Diese Fotos, die das Bild eines Lebemanns, der sich im Herrenclub wohlfühlt, transportieren, sind für viele Parteifreunde ein grosses Problem. Denn Amthors Entschädigung für seinen Einsatz bei den deutschen Ministern, so vermuten einige Kollegen, waren nicht nur die Aktienoptionen: «Sein wahrer Lohn war, wie ihn die coolen NewYorker-Startup-Jungs als einen 'geilen Typen' feierten und mit ihm Champagner tranken», sagt einer aus der Bundestagsfraktion.
Mit den Enthüllungen bekommt die Geschichte von Philipp Amthor eine neue Ebene: Er ist nun nicht mehr einfach ein junger Mann, der schnell Politikkarriere macht. Sondern jemand, der bei seinem Aufstieg reichlich Glanz und Glitzer geniesst, obwohl er bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont, wie gern er über «Sachthemen» spreche.
Philipp Amthor betrat mit seiner Zusammenarbeit mit «Augustus» eine Welt, in der man für eine einzige Idee schnell Millionen überwiesen bekommt. Mit Anlagenbauern aus der Oberlausitz, für die andere Bundestagsabgeordnete sich einsetzen, hat das nichts zu tun. Bei «Augustus» geht es um Büros in New York, die Zukunft der Künstlichen Intelligenz – und um das grosse Geld.
Um dieses öffentliche Bild weiss Amthor, und er ahnt, dass in diesen Tagen seine gesamte politische Karriere auf dem Spiel steht. Amthor wirkt mit dem Rückzug vom Landesvorsitz wie ein Schachspieler, der erkannt hat, dass er sich verzocken könnte.
Durch Amthors Verzicht werden nun vorerst die medialen Wogen geglättet: «Wäre er wirklich Landesvorsitzender geworden, hätte das die Fallhöhe seines Scheiterns nur weiter nach oben getrieben», so ein Vertrauter. Permanent hätte er sich dann weiter anhören müssen, ob und wie ein Landeschef der CDU käuflich sei. Amthor verzichtet – und könnte damit Ruhe in den Prozess bringen. Doch wer ihn kennt, ahnt: Damit sind seine Karriereambitionen nicht beerdigt. Es ist eher die notwendige Bremse in einer Karriere, die schon bald wieder beschleunigt weitergehen soll. Doch vorerst scheint sich Amthor nun in Demut zu erproben.
Amthor hat wohl beschlossen, seine weiteren Karrierepläne nicht zu offensiv zu verfolgen. Dass er sich jetzt etwas zurückhalten würde, zeichnete sich bereits in den letzten Tagen ab. Amthor war in Berlin bereits auffällig leise aufgetreten. Im Reichstag fand am Dienstag um 17 Uhr die Fraktionssitzung der CDU statt, unter den Abgeordneten sass, kaum sichtbar, auch Amthor. Ein Sitzungsteilnehmer aus der CDU-Spitze schildert es danach so: «Amthor, der sonst in jedes Mikrofon vor Eifer fast hineinbeisst, wirkte jetzt unsichtbar. Er verhielt sich so still und unauffällig wie noch nie.»
Amthor kann auch in diesen Tagen seinen Unterstützern vertrauen. Sogar der CDU-Fraktionschef nahm ihn mitten in der Krise schon vor Vertrauten in Schutz: Ralph Brinkhaus kündigte im Fraktionsvorstand an, dass es zwar ein Gespräch vom parlamentarischen Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer mit Amthor geben solle. Zu viel Bedeutung wollte Brinkhaus der Affäre aber nicht beimessen und verwies darauf, dass ähnliches Verhalten bei anderen Parteien ja wohl auch nicht so hochkochen würde.
In der Fraktion kursiert bereits ein Szenario, wie es für Amthor nach dem Rückzug vom Landesvorsitz weitergehen könnte: Der Landesgruppenchef von Mecklenburg-Vorpommern, Eckhardt Rehberg, kündigte bereits an, im Jahr 2021 nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen. Damit würde auch sein Posten frei. Es könnte Amthors nächste Karrierestufe sein.
Denn diese CDU-Vertreter der Bundesländer sind kleine Fürsten im Bundestag: Sie entscheiden mit, wer welche Ämter in der Fraktion erhält. Diese Karrierestufe könnte Amthor anstreben; und sich in den nächsten Monaten in politischer Demut üben, sowie sich im Bundestag mit Sacharbeit «rehabilitieren». Wenn alles klappt, dann könnte Amthor ab 2021 einer der mächtigsten Männer in der CDU-Fraktion sein.
Noch ist es über ein Jahr hin bis zur Bundestagswahl. Es ist gut für Amthor, dass sein Lobbyskandal nicht kurz davor offenbar wurde, so ist noch Zeit für ihn, um andere Themen zu setzen.
Dennoch ist jetzt schon klar: Es wird nicht einfach für den Jungstar. Eckhardt Rehberg, der Landesgruppenchef, dessen Posten Amthor wohl gern hätte, warnt ihn indirekt. Zu t-online.de sagte er, bis zur nächsten Bundestagswahl müsse jetzt erstmal für klare Verhältnisse gesorgt werden: «Persönliche Karriereambitionen sollten jetzt erstmal ausgesetzt werden.» Man wüsste gern, ob Amthor das genau so sieht. Doch für ein Statement gegenüber t-online.de war er am Freitagabend nicht zu erreichen.
Verwendete Quellen:
Dieser Amthor hat noch keine Minute angepackt wie ein rechtschaffener Arbeiter. Dieser Amthor ist am Futtertrog aufgewachsen. Dass er sich erdreistet, anderen mit 27 Lenzen und ohne jede Lebensehrfahrung schulmeisterlich zu kommen, macht diesen Jungreaktionär umso sympathischer.