Nach Vance-Lügen: US-Justizministerium löscht eigene Studie zu rechtsextremer Gewalt
Zwei Tage nach der Ermordung des rechtsextremen Influencers Charlie Kirk löschte das US-Justizministerium eine eigene Studie von seiner Website.
Aus dem Bericht zu inländischem Terrorismus geht hervor, dass «rechtsextreme Extremisten weitaus mehr ideologisch motivierte Morde begangen haben als linksextreme oder radikale islamistische Extremisten».
Doch der amtierende US-Präsident und sein Vize verbreiten bei öffentlichen Auftritten das Gegenteil.
watson hat sich auf Spurensuche begeben.
Wo ist das Problem?
Unter Donald Trump als Präsident versucht die US-Regierung mit allen Mitteln, die Bedrohung durch rechtsextremen Terror aus dem Inland herunterzuspielen und die eigene Bevölkerung hinters Licht zu führen.
Entsprechende Warnungen durch Fachleute gibt es seit vielen Jahren, wie wir gleich sehen. Doch nun sorgt ein gut dokumentierter neuer Fall für Aufsehen.
Am Dienstag berichtete das unabhängige Online-Medium 404 Media, dass Trumps Justizministerium nach der Ermordung von Charlie Kirk eine Studie zu inländischem Terror von seiner Website gelöscht habe.
Die Studie war laut Bericht mindestens bis am vergangenen Freitag online verfügbar, kann jetzt aber nur noch über das Internet-Archiv «Wayback Machine» gefunden werden (oder auf Dritt-Websites).
Auf die Löschung aufmerksam gemacht hatte Daniel Malmer, Doktorand an der University of North Carolina. Er beschäftigt sich mit Online-Extremismus und wies auf der Social-Media-Plattform Bluesky darauf hin.
Auf der Website des Justizministeriums, auf der der Bericht zuvor gepostet wurde, hiess es zunächst, dass die Behörde seine Websites und die darin enthaltenen Dokumente gemäss den jüngsten präsidialen Anordnungen von Donald Trump (sogenannte Executive Orders) prüfe. Wer nun danach sucht, stösst auf die Fehlermeldung, dass die Webseite nicht gefunden werde.
Politische Kommentatoren und unabhängige Medien vermuten, das US-Justizministerium habe die Studie zurückgezogen, weil sie nicht in das Narrativ passt, das die Republikaner zu verbreiten versuchen: nämlich dass die radikale Linke für den Grossteil der politischen Gewalt in den Vereinigten Staaten verantwortlich sei.
Was genau steht in der gelöschten Studie?
Die 2024 publizierte, vom National Institute of Justice (NIJ) durchgeführte Studie trägt den Titel «Was uns die NIJ-Forschung über inländischen Terrorismus verrät».
Darin heisst es, rechtsextreme Gewalt in den USA übertreffe «weiterhin alle anderen Formen des Terrorismus und des gewalttätigen Extremismus».
Und weiter:
Tatsächlich übertrifft die Zahl rechtsextremer Angriffe weiterhin alle anderen Formen des Terrorismus und des gewalttätigen Extremismus im Inland. Seit 1990 haben Rechtsextremisten weitaus mehr ideologisch motivierte Morde begangen als Linksextremisten oder radikale Islamisten, darunter 227 Anschläge mit mehr als 520 Todesopfern.»
Der inländische Terrorismus sei nicht gleichmässig über das gesamte politische Spektrum verteilt, betonen die Studienverfasser. Die Gewalt werde überwiegend von rechtsextremen Bewegungen vorangetrieben – «von weissen Rassisten, regierungsfeindlichen Milizen und ideologisch radikalisierten Einzelpersonen, die Gewalt als einen Weg zur Umgestaltung der Gesellschaft betrachten».
Die Forschung, basierend «auf dokumentierten Beweisen aus bundesstaatlichen Fallstudien, historischen Daten und der Terrorismus-Strafverfolgung» zeige:
- Seit den 1990er-Jahren habe die Gewalt der extremen Rechten den Terrorismus der extremen Linken oder den Terrorismus, der sich nur auf ein Thema bezieht, «kontinuierlich übertroffen».
- Die grösste Bedrohung im Inland stellten weiterhin die weissen Rassistengruppen dar, die zwar oft lose miteinander verbunden seien, aber ideologisch auf einer Linie liegen.
- Es gebe zwar Fälle, die mit islamistischen Terroristen – Stichwort IS – in Verbindung stehen, doch stellten sie im Vergleich zur rechtsextremen Szene einen geringeren Anteil der Vorfälle innerhalb der USA dar.
Was die «Schlüsselmuster rechtsextremer Gewalt» betrifft, schreiben die Studien-Autoren, es gebe wiederkehrende «Taktiken und Ziele»:
- «Angriffe auf Bundesgebäude und Polizeibeamte
- Gewalt gegen rassische, ethnische und religiöse Minderheiten
- Anschläge auf die Infrastruktur, einschliesslich der Stromnetze
- Aufsehenerregende Attentate oder Attentatsversuche»
Dies deckt sich mit früheren Untersuchungen. Daten über Extremisten in den Vereinigten Staaten zeigten, «dass Linksradikale weniger Gewalt anwenden als Rechtsradikale und islamistische Radikale», heisst es in einer Studie, die 2022 im renommierten wissenschaftlichen Fachmagazin PNAS veröffentlicht worden war.
Wie viele politische Morde sind Tätern mit linker oder rechter Ideologie anzulasten?
Tatsächlich gehen die allermeisten der seit 2018 in den USA verübten politischen Morde oder Mordversuche auf das Konto von rechtsgerichteten Tätern.
Hier eine Auswahl relevanter Gewalttaten:
- 2018 wird ein registrierter Republikaner zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Rohrbomben an neun führende Demokraten geschickt hatte, darunter Barack Obama, Hillary Clinton und Joe Biden.
- 2020 verschwören sich 13 dem Rechtsextremismus zugeordnete Männer, um Michigans demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer zu entführen und einen Umsturz zu provozieren.
- 2020 erschiesst ein glühender Trump-Anhänger und Mitglied der extremen Rechten den Menschenrechtsanwalt Marc Angelucci. Dann versucht der Täter, die Bundesrichterin Esther Salas zu ermorden, erschiesst ihren Sohn und verletzt ihren Ehemann schwer.
- 2022 versucht Quintez Brown den demokratischen Bürgermeisterkandidaten von Louisville, Craig Greenberg, zu ermorden. Browns politische Ansichten werden mit schwarzem Nationalismus, Panafrikanismus und revolutionärem Sozialismus verbunden.
- 2022 bricht ein Trump-naher Rechtsextremist in das Haus der 85-jährigen demokratischen Politikerin Nancy Pelosi ein. Er attackiert den Ehemann der Sprecherin des Repräsentantenhauses mit einem Hammer und verletzt ihn schwer.
- 2022 heuert Solomon Peña, ein Republikaner und gescheiterter Kandidat für ein politisches Amt, bewaffnete Männer an, um auf die Häuser demokratischer Abgeordneter in New Mexico zu schiessen.
- 2023 wird ein Armeeveteran mit rechtsradikalen Ansichten vom FBI erschossen, nachdem er unter anderem Präsident Joe Biden bedroht hatte.
- 2024 wird Donald Trump selbst bei einer Kundgebung in Pennsylvania Opfer eines politischen Anschlags. Der Schütze tötet einen Besucher und verletzt drei weitere, darunter Trump. Der Täter ist ein im Wahlregister eingetragener Republikaner.
- 2024 wird ein weiterer Trump-Anhänger wegen eines weiteren Mordanschlags auf den US-Präsidenten angeklagt. Das Verfahren läuft noch.
- Ende 2024 wird der CEO des US-Versicherungskonzerns United Healthcare erschossen. Der Terrorismusvorwurf gegen den mutmasslichen Täter, Luigi Mangione, einen Absolventen einer US-Elite-Universität, wird im September 2025 fallengelassen.
- Im April 2025 versucht ein Mann den demokratischen Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, zu töten, indem er dessen Haus in Brand steckt. Der mutmassliche Täter soll psychisch krank sein, aber entgegen anderslautender Social-Media-Postings kein Trump-Anhänger, wie ein Faktencheck zeigte.
- Im Juni 2025 erschiesst ein registrierter Republikaner und Trump-Anhänger die Sprecherin des Repräsentantenhauses von Minnesota, die demokratische US-Politikerin Melissa Hortman, und ihren Ehemann Mark. Der Täter versucht anschliessend, den demokratischen Senator John Hoffman zu töten, wobei dieser und seine Frau schwer verletzt werden.
- Im September 2025 wird der rechtsextreme Influencer Charlie Kirk während eines öffentlichen Auftritts in Utah erschossen. Der mutmassliche Täter entstammt einer republikanischen Mormonenfamilie.
Gary LaFree, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der University of Maryland und Co-Autor einer der oben erwähnten Studien, sagte, die Attentatsversuche auf Trump im Jahr 2024, die Tötung eines leitenden Angestellten des Gesundheitswesens in New York City im selben Jahr und Kirks Ermordung in der vergangenen Woche könnten auf eine Wende hindeuten. Er warnte jedoch davor, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Das «Time»-Magazin hat mit Colin Clarke gesprochen, einem leitenden Forscher am Soufan Center, spezialisiert auf inländischen und transnationalen Terrorismus. Dieser erklärt, die Daten zu den politischen Morden zeigten eine klare Diskrepanz zwischen der Tödlichkeit politischer Gewalt zwischen links und rechts.
Welche Rolle spielt Trump?
Nach der Ermordung des rechtsextremen Influencers Charlie Kirk hat sich der Kampf um die Deutungshoheit verschärft. US-Präsident Trump goss sofort Öl ins Feuer und behauptete fälschlicherweise, die politische Gewalt der radikalen Linken habe «zu vielen unschuldigen Menschen geschadet und zu viele Leben gekostet».
Der 45. und 47. Präsident der US-Geschichte gilt selbst als einer der grössten Beschleuniger von politischer Gewalt im Land. Bis Mitte 2024 hatte er mehr als 40 Mal öffentlich zu körperlichen Angriffen auf politische Gegner aufgerufen. Statistiken des FBI bestätigten zudem einen starken Anstieg der Gewaltkriminalität ab 2016. Damit wurde ein jahrzehntelanger Rückgang umgekehrt. Trumps erste Amtszeit war von 2017 bis 2021.
Die Trump-Regierung geht ausserdem systematisch gegen unabhängige wissenschaftliche Institutionen und die Veröffentlichung unliebsamer Studien vor. Dies bestätigt nun auch der Kriminologie-Professor Gary LaFree:
Anzumerken bleibt, dass es schon während Trumps erster Präsidentschaft Warnungen aus dem Inneren der US-Regierung gegeben hatte. Die Republikanerin Elizabeth Neumann, die als stellvertretende Ministerin im Heimatschutzministerium (DHS) zurücktrat, warf der Trump-Regierung vor, die Bedrohung durch rechtsgerichtete Terroristen herunterzuspielen. Und die Expertin für Inland-Terrorismus wies schon damals auf die Gefahren durch rechtsextreme Online-Radikalisierung hin:
Quellen
- 404media.co: DOJ Deletes Study Showing Domestic Terrorists Are Most Often Right Wing (16. Sept., Artikel hinter Paywall)
- time.com: Trump Called for a Crackdown on the ‘Radical Left.’ But Right-Wing Extremists Are Responsible for More Political Violence
- huffpost.com: Trump Keeps Blaming ‘The Left’ For Political Violence — After Stoking It For Years (15. Sept.)
- unredacted.info: Far-Right Extremism is the Leading Source of Domestic Terrorism in America (13. Sept.)
- newsweek.com: Trump is Allowing Right-Wing Extremists to ‘Start a Race War,’ Ex-DHS Official Says (Aug. 2020)
